LES TROYENS

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Konzerthaus
26. Oktober 2013
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Valery Gergiev

Orchester des Mariinski Theaters St. Petersburg,
Chor des Mariinski Theaters St. Petersburg

Wiener Singakademie,

Énée - Sergey Semishkur
Cassandre, Fantôme de Cassandre - Mlada Khudoley
Didon - Ekaterina Semenchuk
Anna - Zlata Bulycheva
Chorèbe, Fantôme de Chorèbe - Alexei Markov
Ascagne - Anastasia Kalagina
Panthée - Nikolai Kamensky
Narbal - Eduard Tsanga
Iopas - Dmitry Voropaev
Hécube – Elena Vitman
Hylas / Helenus - Alexander Timchenko
Priam / 2eme soldat Troyen / Fantôme de Priam / Mercure / Fantôme d’Hector - Vladimir Felyauer
Hylas / Helenus - Alexander Timchenko
Capitaine Grec / 1er Soldat Troyen - Alexander Nikitin


Les Troyens im Konzerthaus

(Dominik Troger)

Am Nationalfeiertag sind „Les Troyens“ im Konzerthaus aufmarschiert. Die konzertante Opernaufführung fand im Rahmen eines Gastspiels des Mariinski Theaters St. Petersburg unter Valery Gergiev statt, das nur einem Komponisten gewidmet war: Hector Berlioz.

So eine geballte Ladung Berlioz bekommt das Publikum in Wien selten zu hören. Von Freitag bis Sonntag wurden drei Konzerte gegeben, die dem exzentrischen Franzosen huldigten. Der zweiten Tag des Gastspiels galt einer Aufführung von „Les Troyens“: Vier Stunden und 45 Minuten lang (Beginn 18:00, mit zwei Pausen) dauerte die fünf aktige Reise vom Untergangs Trojas bis zu Didos heroischem Ende. Der Abend war zuerst sehr gut besucht, aber mit den Pausen stieg die „Drop-out-Quote“ wie an den freien Plätzen deutlich abzulesen war. Doch wer zu früh ging, brachte sich um Didos Tod, ein pathetisch-erotisches Abschiednehmen, das Äneas das Herz gebrochen hätte, wäre er nicht schon per Schiff nach Italien unterwegs gewesen: „En mer! En mer! Italie! Italie!“ Aber die politische, reichbegründende Aufgabe des Helden geht natürlich vor.

„Les Troyens“ ist in Wien schon lange nicht mehr aufgeführt worden. Die Oper wurde ab 1976 an der Staatsoper gespielt. Nach keinen zehn Aufführungen wurde der Untergang Trojas gekappt und eine „Kurzversion" unter dem Titel „Die Trojaner in Karthago“ gegeben – aber schon 1981 verschwand diese Fassung von der Bühne. Der Publikumszuspruch hielt sich damals in Grenzen. Doch „Les Troyens“ hat viel zu bieten – von manchmal fast ein bisschen platt klingender Programmmusik (Marke: „Morgenstimmung in einem afrikanischen Wald“) bis zu an der „großen Oper“ geschulten Effekten, atemberaubend instrumentiert und kalkuliert, Klangräume und -träume die Geistererscheinungen und kollektive Schmerzerfahrungen, exotische Spielereien und kriegerische Marschmusik zu einem riesigen Antiken-Tableau zusammenfassen.

Es wird nicht überraschen, dass an diesem Abend deutlich wurde, wieviel die russischen „Klassiker“ der französischen Musik verdanken – aber auch wie modern Berlioz kompositorisch gedacht hat. Valery Gergiev, der mit ruhigen, fast sachlich anmutenden Bewegungen Orchester, Chor und Solisten dirigierte, entwickelte ein von den kernigen Streichern ausgehendes Panorama, dass Szenen von großer Tragik ebenso auszukosten wusste wie fast mit Strauß’scher Geläufigkeit absolvierte Ballettmusik. Gergiev durchmaß dabei die ganze dynamische Bandbreite bis hin zu feinem Piano, und das Orchester spielte mit „Biss“ und jenem versachlichten Pathos, das mehr das Lebensdrama in einem eher heroischen Sinne begreift und weniger die daraus erwachsenden „Sentimentalitäten“.

Das Ensemble war natürlich mit russischen Sängerinnen und Sängern besetzt – und das wirft Fragen des Stils auf und auch des Gebrauches der französischen Sprache, denen man nachgehen könnte. Bei einem Konzert zu Gergievs 60. Geburtstag diesen Mai in London wurde der V. Akt von „Les Troyens“ gespielt und das Französisch der Sänger in einigen Rezensionen sehr bekrittelt. Aber achtet jemand bei einer Didon wie der von Ekaterina Semenchuk überhaupt noch auf die Aussprache? Ihr erotisches Pathos schlug einen in Bann – und ihre gewagte, oberweitenbetonende Garderobe hat zudem die ganze Tragödie sehr anschaulich den Punkt gebracht: So viel Liebe! So viel Begehren! Und zugleich erfüllte einen als Zuseher der traurige Gedanke, dass sich diese mit Reizen wohlausgestattete Didon so schnell wegen eines dahergelaufenden Helden das Leben nehmen würde. Aber das ist eben ihr Schicksal, ein heroisches Schicksal! Man könnte Didon sicher verletzlicher Darstellen, feinfühliger, aber das wäre bei Semenchuks etwas dunklem, saftigen Mezzo wohl die falsche Strategie gewesen. Die Sängerin hat das Geschehen mimisch und gestisch außerdem sehr gut illustriert und ihre Rolle leidenschaftlich vermittelt.

Vor allem als Held wurde der Énée, gesungen von Sergey Semishkur, begriffen. Er war mehr jugendlicher Krieger denn Liebhaber, seine hell gefärbte Stimme leuchtete in der Attacke wie ein zum Kampf vorangestrecktes Schwert: sehr „slawisch“ vom Charakter, mit starkem Eindruck in den martialischen Passagen. Überhaupt war der ganze Abend frei von „Selbstmitleid“: auch Cassandre, Mlada Khudoley, wusste das Pathos zu schüren und ihren Tod zu inszenieren. In der Tiefe etwas abgeschwächt, aber sonst mit leicht gestähltem Sopran beschwor sie den Trojanern das drohende Unheil – ebenso wie Semenchuk ihr Schicksal mimisch und gestisch erläuternd: statische Opernposen, die aber eine konzertante Aufführung durchaus beleben können, wenn sie so glaubhaft gesanglich gestützt werden. Alexei Markov ließ als Chorèbe einen bemerkenswerten, leicht samtig gefärbten Bariton hören, mit kräftigem Kern und phrasierungsfähig: Das machte Lust auf viel mehr – leider hat Berlioz der Partie nach dem Untergang Trojas nur mehr einen kurzen Auftritt als „Schatten Chorèbes“ zugestanden.

Etwas dunkler und noch „satter“ der Mezzo von Didones Schwester Anna, Zlata Bulycheva, die sich dadurch reizvoll von der Königin abhob. Das karthagische Gefolge erweiterte der Bassbariton Eduard Tsanga als Narbal – Einspringer für Yuri Vorobiev, der seinerseits wieder als Einspringer für Mikhail Petrenko fungiert hätte. Aber Tsanga machte auf mich den Eindruck, als sei er verkühlt und seine Stimme klang recht rau. Die übrige Besetzung hatte mehr punktuelle Einsätze, wobei die tieferen Männerstimmen für meinen Geschmack besser reüssierten. Sehr gut der um die Singakademie verstärkte Chor des Mariinski Theaters.

Anschaulich waren die Geistererscheinungen gelöst, die Sänger traten in dem Säulenumgang oberhalb des Podiums auf, wobei sie ganz oder teilweise von den Säulen verdeckt blieben. Die Zeitangabe des Konzertschlusses im Konzerthaus-Programmheft war diesmal nur um eine halbe Stunde zu früh angesetzt (22:15 statt 22:45). Der starke Schlussapplaus dauerte fast zehn Minuten lang und beschloss einen beeindruckenden Opernabend.