WOZZECK |
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Theater an
der wien Dirigent:
Leo Hussain Inszenierung:
Robert Carsen |
Wozzeck - Florian Boesch |
Im Theater an der Wien wird Wozzeck in der Hierarchiemühle einer Kaserne zermahlen. Die Neuproduktion in der Inszenierung von Robert Carsen warf einen ziemlich einseitigen Blick auf die Alban Berg’sche Büchner-Vertonung. Grünbrauner Tarnanstrich und Military-Look verbannen aus diesem „Wozzeck“ alle Anflüge von Natur oder greller expressionistischer Farbgebung. Es gibt auf der karg ausgestatteten Bühne keinen Mond und keinen Teich und kein Stöckeschneiden, sondern alles spielt in einer Kaserne. Dort wird gesoffen, gehurt und gerauft und Wozzeck – an der untersten Stelle der Hierarchie – wird mehr oder weniger subtil gequält und als medizinisches Versuchskaninchen missbraucht. Diese Wozzeck-Demütigung hat Carsen mit Akribie durchgezogen – bis zur Defäkation in einem vor dem Arbeitstisch des Doktors aufgestellten Leibstuhl. Wozzecks wahngetriebener Selbstmord zwischen auf dem Kasernenhof verstreut liegenden Soldaten – Besoffene, Schlafende, Verwundete, Tote? – macht aus dem Stück allerdings ein antimilitaristisches Manifest, dass mit Bergs Oper nur mehr wenig zu tun hat. Dazu gesellt sich eine rauschgiftsüchtige Marie, die sich einen Schuss setzt, und die Berg’sche Harfenklänge dabei anturnen, ehe sie wieder ganz vom Alltagstrott einer Soldatenhure eingeholt wird. Leider hat Carsen viel zu viel auf den schon erwähnten Tarnanstrich gegeben, als auf der Bühne einen roten Mond aufzuziehen, der als letzter Trigger für den Mord an Marie die Handlung mit markanter Symbolik ausleuchtet. Dass Mariens Knabe am Schluss mit einem Gewehr anstelle eines Steckenpferdes „Hopp-Hopp“ macht, ist aber konsequent zu Ende gedacht. Es gab also einige Unterschiede zum Libretto – kein Rasieren des Hauptmanns, kein sich „rasiermesserscharf“ bewegender Wozzeck und statt dem Stöckeschneiden wurde der Kasernenhof angemalt und ein breiter Malerpinsel zum „Igel“. Neue Erkenntnisse hat das keine gebracht. Gut gelöst war der Auftritt des Narren, mit Blut überströmt, dessen Hände zuerst oben an einem vorgezogenen Zwischenvorhang (einer „Brechtgardine“) sichtbar wurden: ein Moment der Irrationalität, in dem Wozzecks Phantasie deutlich „Blut“ leckt. Die Wahnvorstellungen Wozzecks sind in dieser durchmilitarisierten Gesellschaft natürlich als ihr Resultat zu begreifen, scheint Carsen nahe zu legen. Es braucht keine Natur mehr und keinen Mond, damit sich Wozzecks Schicksal erfüllt.. Dieser Wozzeck wurde von Florian Boesch großartig gespielt und gesungen, eine tickende Zeitbombe mit viel Aggressionspotenzial, die Seele eingesperrt wie in einem Druckkochtopf. Boeschs Wozzeck war kraftstrotzend, auch stimmlich, und man spürte die emotionale Spannung, die dieser Bühnenfigur zusetzt, ganz ohne die Beigabe neurotischer Manierismen und ohne Anflug von romantisierendem Humanismus. Stefan Cerny war gesanglich und darstellerisch der zweite große Pluspunkt des Abends: ein Doktor, in dem sich die Gier nach Wissen mit einem menschenverachtenden Zynismus paart. Der Hauptmann von John Daszak hätte im Zuschnitt noch eine Spur pointierter sein können, während Ales Briscein dem Tambourmajor bizepsschwangere Manneskraft verlieh. Lise Lindstrom gab stimmlich solide die gebrochene Marie, die wie Wozzeck ihrem Unterschichtenschicksal nicht entkommen kann. Benjamin Hulett als Andres, Juliette Mars als Margret und die weiteren Nebenrollen waren von Carsen perfekt in sein Konzept eingearbeitet worden. Dirigent Leo Hussain hat mit den Wiener Symphonikern eine von Eberhard Kloke verfertigte Kammermusikfassung der Oper einstudiert. Wahrscheinlich wollte man damit dem kleineren Haus des Theaters an der Wien entgegenkommen, auch betreffs der Größe des Orchestergrabens – aber es wurde trotzdem laut genug gespielt. Die von Kloke „versprochene“ bessere Sprech- und Gesangsnuancierung sowie eine bessere Durchhörbarkeit konnte ich nicht wahrnehmen. Das
Publikum dankte mit starkem Applaus. |