WOZZECK

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Wiener Staatsoper
15.5.2010
Premiere

Dirigent: Daniel Harding

Inszenierung und Bühne: Stéphane Braunschweig
Kostüme
: Thibault Vancraenenbroeck

Mahler Chamber Orchestra
Arnold Schönberg Chor


Eigenproduktion der Wiener Festwochen

Wozzeck - Georg Nigl
Tambourmajor - Volker Vogel
Andres - Eric Stoklossa
Hauptmann - Andreas Conrad
Doktor - Wolfgang Bankl
Narr - Heinz Zednik
Marie - Angela Denoke
Margret - Magdalena Anna Hofmann

1. Handwerksbursch - Tijl Faveyts
2. Handwerksbursch - Christian Miedl
Knabe - Timotheus Hollweg
Soldat - Nenad Marinkovic


Zu einfach gestrickt?
(Dominik Troger)

Das Opernprogramm der Wiener Festwochen startete mit einer Eigenproduktion von Alban Bergs „Wozzeck“ im Theater an der Wien. Der starke Schlussapplaus kündet von einem Erfolg.

Die Inszenierung von Stéphane Braunschweig wickelte das „Wozzeck“-Drama auf einer weitgehend leeren Bühne ab. Die Bühne blieb auch während der kurzen Zwischenspiele offen, es gab keine deutlich markierten Szenenwechsel. Die Kontinuität der Entwicklung sollte nicht unterbrochen werden, der Sog des „Dramas“ alles mit sich reißen.

Braunschweig hielt sich stark an die „Kreatur“ – verwendete fast keine Requisiten, der offene Bühnenraum zeigte sich eher dunkel gehalten, aber wenn es passend schien, dann drohte der rote Mond als große Scheibe, dann klaffte ein Spalt, der bühnenmittig parallel zum Orchestergraben lief, und den man sich als Teich vorzustellen hatte. Mutig vertraute Braunschweig auf die Mitwirkenden und seine Personenführung – und das funktionierte soweit ganz gut. Was Braunschweigs Sichtweise aber fehlte, war der Blick für die groteske Überzeichnung und für die absurde Weltwahrnehmung der Büchner’schen Figuren. Außerdem wirkte die symbolhafte Leere der Bühne letztlich zu leer, um einen zwingenden Rahmen für die Geschichte abzugeben, die in ihr handelt.

Dabei blieb Braunschweig vor allem Nacherzähler, stark auf die Hauptperson fixiert, während die übrigen Figuren weniger zum Tragen kamen. Müsste man beim Hauptmann nicht die groteske Verzweiflung spüren, die ihn plagt, beim Doktor die zynische Wissenschaftlichkeit, hinter der er sich verschanzt? Die schroffen Abgründe einer inwendig hohlen Welt, an der Wozzeck zerbricht, gaben sich konventionell, ohne expressionistischer Überzeichnung oder pathologischer Ausdeutung. Ist es zu wenig, in Wozzeck nur den „Sozialfall“ zu sehen? Wie ist es um seine Weltwahrnehmung wirklich bestellt?

Im Programmheft zur Aufführung spricht Braunschweig zwar von einer „verschobenen“ Realität der Hauptperson, aber er vermeidet es, diese zu hinterfragen. Das geht auch schwer, wenn man fast alle Requisiten verbannt, wenn man Wozzeck gleich am Beginn aus der Szene „herausstellt“ und ihn das Gespräch mit dem Doktor beim Rasieren „erinnern“ (!) lässt. Letztlich war sogar die Mordszene zu berechenbar gestaltet, Wozzeck zu selbstgewiss, und auch sein Tod im Teich entwickelte nicht jene Mischung aus mitleidheischendem Grauen und Gänsehaut, die man erwarten würde: der Spalt war harmlos, die Einfachheit visueller Darstellung zeigte abermals ihre Grenzen.

Diese „szenische Simplifzierung“ ging mit einer musikalischen Hand in Hand. Von expressionistischen Farbenspielen schien Daniel Harding am Pult des Mahler Chamber Orchestras wenig zu halten, nüchtern und staubtrocken wurde Bergs Partitur exekutiert. Da und dort wurden aus der Streichern noch ein paar Seelenregungen gepresst, die aber mehr von Hoffnungslosigkeit sprachen als von Mitgefühl. Vorherrschend war eine brutale Kühle, manchmal sehr laut artikuliert, eine „Norm des Faktischen“ etablierend, die keine abmildernden Fußnoten und Pointen mehr zu kennen schien, keine Momente der Verinnerlichung, um hinter dem schrecklichen Geschehen nach einer humanistischen Zweckbestimmung zu forschen. Es war, als sollte man als Zuhörer vom Schicksal Wozzecks „erschlagen“ werden.

Das Sängerensemble war den Anforderungen gewachsen, ohne zu einer expressiven Ausdeutung ihrer Bühnenfiguren gedrängt zu werden. So umgab schon den Wozzeck (Georg Nigl) eine etwas einförmige, sich später zunehmend brutalisierende Haltung, die zu wenig existentielles Mitgefühl evozierte. Dadurch wurde man als Zuschauer viel zu sehr in „Sicherheit“ gewiegt, weil einem die Subtilität des wozzeckimmanenten psychischen Prozesses – der ja ebenso subtil von den äußeren Vorgängen angeregt werden müsste – vorenthalten wurde.

Diese regie- und musikalisch bedingte Verflachung der Charaktere war auch beim Hauptmann (Andreas Conrad) und Doktor (Wolfgang Bankl) feststellbar, die in Summe viel zu gemütlich und konturlos erschienen. Marie (Angela Denoke) und Tambourmajor (Volker Vogel) hatten es insofern leichter, weil ihre Charaktere einfacher gestrickt sind. Das „Schöne-Augen-machen“ und das Büßergesicht standen Denoke gut an. Der Tambourmajor hätte seinen Tenor expressiver herausstellen können, damit das karikaturhafte seiner Erscheinung noch deutlicher zum Tragen kommt. Eric Stoklossa sang einen wenig markanten Andres. Beeindruckend Heinz Zednik in der Kurzpartie des Narren – und zugleich wehmütige Erinnerung an frühere Wozzeck-Aufführungen an der Wiener Staatsoper ...

Nach der Vorstellung gab es längeren starken Beifall, die Produktion wurde widerspruchslos vom Publikum akzeptiert.