WOZZECK

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Wiener Staatsoper
10.4.2005
Musikalische Neueinstudierung

Dirigent: Seiji Ozawa

Wozzeck - Franz Halwata
Tambourmajor - Wolfgang Schmidt
Andres - Benedikt Kobel
Hauptmann - Michael Roider
Doktor - Walter Fink
Narr - Peter Jelosits
Marie - Deborah Polaski
Margret - Janina Baechle

1. Handwerksbursch - Johann Wiedecke
2. Handwerksbursch - Hans Peter Kammerer
Knabe - Tobias Ofner
Soldat - Franz Gruber
Wirt - Wolfram Igor Derntl


Zu wenig expressiv?
(Dominik Troger)

Wozzeck ist ein expressives Stück Musiktheater. Ruhelos und getrieben arbeitet die menschliche Kreatur ihr Schicksal ab – bis zum blutigen Ende. Das Werk steht jetzt wieder auf dem Spielplan der Staatsoper: der Expressionismus hält sich dabei in Grenzen.

Irgendwie war mir das ein zu gemütlicher Abend im Verhältnis zu dem, was er hätte sein können. Der Hauptmann meint ja von Wozzeck, er laufe wie ein „offenes Rasiermesser" herum. Da müsste man sich also auch als Zuschauer dran schneiden können?! Wozzecks Wahn & Sinn bricht nicht erst am Schluss auf, wenn er Marie „eine rote Schnur“ um den Hals legt. Es geht mehr um das Sichtbarmachen einer starken Grundspannung, die von Innen und Außen an diesem armen Menschen zerrt. Das müsste man von der ersten Szene an spüren, sehen und hören. Das "Langsam, Wozzeck, langsam!" des Hauptmanns, die ersten Worte, die auf der Bühne fallen, sagen schon sehr viel aus über Wozzecks Befindlichkeit.

Dieser Wozzeck war mir zu wenig expressiv und gefährdet. Wozzeck steckt von Beginn an im Teichsumpf, zuerst symbolisch, dann „in echt“ mit lethalem Ausgang. Für mich war Franz Hawlata erst gegen Ende sehr einprägsam, dieses lauernde Abschiednehmen von Marie, zwischen Mordekel und Berührungssehnsucht, mit plötzlich brachial aufbrausender Stimme. Aber das ist wohl leichter in den Griff zu bekommen als diese latente, verhetzte Verzweiflung.

Die Marie der Deborah Polaski punktete mit emotionaler Wärme, vor allem in der ersten Szene des dritten Aktes, bibelblätternd. Sie ist nicht unbedingt der Typ, der mit greller Schminke den Tambourmajor zum Stelldichein herausfordert. Allerdings wies ihre Brünnhildenstimme den männlichen Gockelstolz eines soldatischen Prachtexemplars kraftvoll in die Schranken – kurz zumindest. Das Fleisch ist schwach. Diesen Tambourmajor hat Wolfgang Schmidt gut gezeichnet. Ein ziemlich widerlicher Kraftlackel. Da traf die expressionistische „Überformung" der Figuren, die sich auch in der Musik immer wiederfindet. Der Andres lag bei Benedikt Kobel in guten Händen.

Der Hauptmann von Michael Roider bringt die Pointen noch nicht so auf die Reihe, Walter Fink (Doktor) traf sie besser. Da hätte sich noch viel aus den Partien herausholen lassen. Es gehört ein eigener Stil dazu, der an der Staatsoper über die Jahre wieder verloren gegangen ist? Ich beäuge den guten alten Adorno meist eher skeptisch, aber wenn er in Sachen Wozzeck die „plangemäße Ausbildung eines prinzipiell neuen Opernstils“ in Erwägung zieht (anlässlich einer Aufführung der Frankfurter Oper im Jahr 1931), dann würde ich eine Mischung aus Gesang und Deklamation darunter verstehen, keine klassische Opernsemantik, sondern eine moderne „musikdramatische Rhetorik“. Seiji Ozawa hat Bergs Herkommen aus der romantischen Tradition nicht missen mögen und war auch um Ecken und Kanten bemüht. Manchmal etwas spröd im Klangbild, fehlte aber auch hier die Pointe und zugleich die Verinnerlichung des Geschehens. Die Schlüsselszene, das Wirtshaus im zweiten Akt, wenn der Chor verzerrt und wie vom Wind herbeigetragen durch Wozzecks Ohren weht, wäre so eine Herausforderung. Ich denke mir dieses Bild immer aus der Sicht Wozzecks begriffen. Der Auftritt des einprägsamen Narren (Peter Jelosits) bezeichnet für alle – und für ihn selbst – den Kulminationspunkt. Wozzeck überschreitet den Rubikon.

Was mich zu einem kleinen Rückblick verleitet: Die derzeitige Inszenierung (Dresen/Kapplmüller) hat fast 20 Jahre auf dem Buckel. Sie war allerdings schon bei der Premiere ein schwacher Abklatsch jener legendären, aus den frühen 50er Jahren stammenden Wozzeck-Inszenierung von Schuh/Neher. Diese Produktion war 1981 noch einmal aufgenommen worden mit Walter Berry in der Titelrolle und Heinrich Hollreiser am Pult – beides zum damaligen Zeitpunkt sehr Wozzeck-erfahrene Künstler. Aber was ist trügerischer als die Erinnerung!?

Sehr erfreulich ist, dass Wozzeck anscheinend kein Publikum mehr aus dem Haus scheucht und dass die Sitzplätze weitaus besser bestückt waren als bei der Peter Grimes-Wiederaufnahme – sogar der Stehplatz. Der Applaus war stark, wenn auch bei den Bravos etwas dünner als gewohnt. Insofern war es sicher ein Erfolg. (Der Bericht fokussierte die zweite Aufführung der laufenden Serie.)