WOZZECK

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Berg-Portal

Österr. Erstaufführung einer Fassung für Kammerorchester von John Rea
Jugendstiltheater Baumgartnerhöhe
31.10.2002


Dirigent: Walter Kobéra

Inszenierung: Anton Nekovar
Ausstattung: Susanne Thomasberger
Dramaturgie: Siegfried Joh. Pfeifer
Lichtdesign: Norbert Chmel

Produktion der Neuen Oper Wien
Orchester: Ensemble "die reihe"

Wozzeck -Rupert Bergmann
Tambourmajor - Walter Raffeiner
Andres - Noriyuki Sawabu
Hauptmann - Camillo dell´Antonio
Doktor - Alfred Werner
Narr - Alexander Kaimbacher
Marie - Ingrid Habermann
Margret - Ulrike Dorner

1. Handwerksbursch - Michael Wagner
2. Handwerksbursch - Marco di Sapia
Ensemble - Dritan Luca, Ester Font-Bardolet


"Roter Faden" gesucht
(Dominik Troger)

Bis auf den Grund der nackten Existenz – wortwörtlich – und Regisseur Anton Nekovar hätte dem Wozzeck gewiss auch noch die Haut abgezogen, wäre er dadurch nicht seines Hauptdarstellers verlustig gegangen.

(1) Es muss eine seltsame Mischung aus berechenbarem Kalkül und Respektlosigkeit gewesen sein, die Nekovar dazu bewogen haben mag, Wozzeck splitternackt im Sumpf verschwinden zu lassen – noch dazu, wo er mit einem als Jesus Christus getarnten „Pin-up-Narren", Szenen zuvor schon das Fluidum männlicher Erotik gleichsam auf Hochglanz-Cover-Niveau gepusht hatte. Und dann diese arme Wozzeck-Kreatur, nicht einmal mit einer schamhaften Verhüllung geziert, dem Untergang preisgegeben. Offenbar sollte gerade auf diese Weise Wozzecks Ende die eigentliche existentialistische Weihe erfahren: die nackte, schutzlose Kreatur Mensch, in den Tod und Wahnsinn getrieben, die hier auf der kleinen, aber so schmucken Bühne des jugendstiligen Steinhoftheaters verkommt. Die Selbstentäußerung, mit der Rupert Bergmann als Wozzeck dieser Aufgabe nachkam, war bewundernswert, aber sie trug – für mein Empfinden – nichts zur dramatischen Verschärfung der Situation bei. Im Gegenteil, derart bloßgelegt verlor die dargestellte Metaphorik rasch ihre Wirkungskraft – und wo sich einem als Zuhörer ein mitleidendes Seufzen entringen sollte, quittierte man diesen Kunstgriff des Regisseurs eher mit verhaltenem, mitleidigem Lächeln.

(2) Alban Bergs „Wozzeck“ als österreichische Erstaufführung? JEIN. Es handelte sich um die österreichische Erstaufführung einer Anfang der Neunziger Jahre von John Rea erstellten „Kammermusik“-Fassung für das Nouvel Ensemble Moderne. Rea selbst nennt es eine „Re-Orchestration“ und betont, (zitiert nach dem Programmheft): „Meine Arbeit ist nicht ein Umkomponieren und auch ganz bestimmt kein Arrangement. (...) Bei meiner Arbeit galt es vielmehr um jeden Preis Bergs instrumentale Klangfarben so gut als möglich und im Sinne der Partitur zu wahren. (...) Letztendlich wollen wir an eine solche akustische Illusion glauben: so, als ob Berg selbst diese instrumentale 'Bearbeitung‘ in der eigenen Partitur vorgesehen hätte, wenngleich ausgedehnt.“ Mit diesem Vorsatz ging also Rea ans Werk und schuf eine maßstabsgetreue Miniatur des Berg’schen Meisterwerkes; einen „Wozzeck“ der Feinmechanik, einen „Wozzeck“ komprimiert zu luzider Transparenz.

(3) Beim Zuhörer brauchte das naturgemäß eine gewisse Adaptionsphase, weil man das Werk auf diese Art noch nie gehört hat, und man versucht ist, diese akustische „Leichtigkeit“ auch als zu „leicht“ zu befinden. Aber es stellte sich bald heraus, dass der Kritikpunkt der Aufführung nicht in Reas Neufassung lag – sondern in der Umsetzung des Ensembles „die reihe“ unter Walter Kobéra. Dieser hielt es mehr mit der klotzigen Regie, verzichtete auf die leiseren Töne, und suchte die Kompaktheit eines großen Opernorchesters, wo die feinfühlige Resonanz eines Kammerensembles am Platz gewesen wäre. Die Chance dieser Orchester-Neu-Fassung, liegt, wie mir scheint, nämlich gerade darin, den „Wozzeck“ „aufzufächern“ in ein buntes Kaleidoskop seelischer Regungen, und dabei Bergs vielfältiges Spiel mit Ton- und Klangfarben zu nutzen. Eine kammermusikalische Fassung des „Wozzeck“ hat keine Chance, will sie sich mit Aufführungen „klassischer Provenienz“ messen.

(4) Leider meinte auch die Inszenierung von Anton Nekovar, sie müsse dem „Wozzeck“ ein bedeutungsschwangeres, nein, viele(!) bedeutungsschwangere Mäntelchen verpassen. So erzählt sie eine obskure Geschichte von Menschenversuchen, militärischer Gewalt, „fehlgeleiteter“ Burschenschaftsromantik, Religionskritik, die, mit dem schon erläuterten abschließenden existentiellen Kick und ein paar aktuellen parteipolitischen Zitaten im Programmheft, zu einem Surrogat verrührt wird – aus dem er dann einen schwammigen Zeigefinger formt, der sich moralisierend in die Luft streckt und nach allen Himmelsrichtungen droht. Dabei scheut Nekovar schon von Beginn an vor „tiefen“ Einblicken nicht zurück, wenn Wozzeck dem Hauptmann die Scham- oder zumindest die Oberschenkelhaare rasiert, als Barbier und Masseur in einem. Die (Ver)-Derb(t)heit der menschlichen Existenz ist ihm ein großes Anliegen. Sie resultiert für ihn anscheinend aus dem „Dunstkreis“ der Burschenschaften, die die Szene im Wirtshausgarten zu einem bierschwangeren Budenfest umgestalten, über dem auf einer Art schmucklosem Altartorso, der als Bühnenbild die ganze Aufführung bestimmt, jener ebenfalls schon erwähnte jünglingsschöne Jesus mit weißem Schamtuch in Golgotha-Position thront, ehe er sich als der „Narr“ entpuppt. Daher kommt also das „Böse“!? Zitate eines „recht(s)“-gläubigen Volksanwalts im Programmheft stellen dann den Aktualitätskonnex her – und hieven Büchners Vorlage und die Berg’sche Komposition auf die billige Agitationsbühne einer Wahlkampfveranstaltung. Nekovar kann aber die andere Seite des „Wozzeck“ natürlich nicht leugnen, diese aus Wozzecks Innerem herauskriechende zunehmende Irritation, die ja auch in seiner spezifischen Art zu sterben so überdeutlichen Ausdruck erfährt. Aber diese Wozzeck’sche Innenwelt wird durch die Assoziationsfülle der ihn bedrückenden Außenwelt ziemlich niedergehalten.

(5) Deshalb gleich noch ein paar weitere Inszenierungs-Schnappschüsse, die beweisen sollen, dass hier – ganz unabhängig vom Aussagewert der evozierten Bilder – viel zu viel hineingepackt worden ist; auf Kosten eines klar strukturierten Handlungsverlaufs: Erster Akt, viertes Bild: der Doktor untersucht Wozzeck und setzt ihn auf eine Art elektrischen Stuhl, Wozzeck bekommt einen Elektroschock; zweiter Akt zweites Bild: Doktor und Hauptmann auf einem Laufband, man trainiert, körperliche Ertüchtigung ist schließlich wichtig und schafft Klassenbewusstsein – die ganze Szene lang posiert ein nackter, nur mit rotglänzender, knapper Unterhose bekleideter Jüngling, der oben auf dem mittleren „Altar“-Aufsatz steht, in erotisierenden Posen (dort wird dann ja auch „Jesus“ alias „Narr“ auftauchen); dritter Akt, erste Bild: Marie als Ehebrecherin mit Nonnenhaube, geißelt sich selbst; Schlussbild: das „Hopp, hopp“ singt nicht Mariens Kind, sondern es singen Marie und Wozzeck selber (begleitet von den übrigen Protagonisten als Chor), sie sind aus dem Moor (ein zweigeteilter länglicher glasartiger Quader vor diesem „Altaraufsatz“) wiederauferstanden, der adamskostümierte Wozzeck darf sich dabei zu Marie unter ein hüllendes Tuch kuscheln.

(6) Die Sänger legten sich alle mächtig ins Zeug. Rupert Bergman, Wozzeck, war durch einen Nasenbeinbruch gehandicapt, der einer Verschiebung der Premiere um drei Tage zur Folge gehabt hatte. Camillo dell‘ Antonio hatte das Nieselwetter auf die Luftröhre geschlagen, und er musste sich als indisponiert ansagen lassen. Trotzdem schlugen sich alle – verstärkt wurde das junge Ensemble von „geprüften“ Opern-Haudegen wie Walter Raffeiner als Tambourmajor und Alfred Werner als Doktor – einigermaßen ansprechend.

(7) Der insgesamt nicht so berauschende Gesamteindruck schlug sich in dezent-höflichen Publikumsreaktionen nieder. Beim Auftritt des Regieteams brach der Applaus deutlich hörbar ein. Vereinzelte Bravorufe für die Sänger. Die Aufführung war gut besucht, aber in den letzten vier Reihen (von fünfzehn) nur mehr rudimentär besetzt.

Die ekr gezeichnete Besprechung in der Presse vom 4.11. (Online-Ausgabe) findet, dass in der Inszenierung die "kleinen und großen Grausamkeiten" denen der Mensch "in den Machtbeziehungen von heute ausgesetzt ist, gebündelt sichtbar" werden. Er findet weiters, dass das von Walter Kobéra geleitete Ensemble"überfordert" wirkt, "durch die kompakte 'Re-Orchestration', wodurch die Musik verflacht". Die Sänger würde manchmal in der "kammerorchestralen Klangwolke untergehen".

Edwin Baumgartner in der Wiener Zeitung vom 4.11. (Online-Ausgabe) spricht sogar von einem "eklatanten Fehlschlag". Wobei er grundsätzlich bezweifelt, ob es Sinn macht, wenn die Neue Oper Wien Weltrepertoire in "Sparversion" spielt. Er ist mit der Re-Orchestrierung von Rea nicht zufrieden "Keine Verfälschung, aber eine Verarmung." Er wirft Nekovar vor, "ohne Konzept" zu inszenieren (die Abänderung der Schlussszene hält er für "blanken Unsinn"). Ein "Pluspunkt" ist für ihn Rupert Bergmann in der Titelpartie. Gelobt wird das Dirigat als "einer der wenigen uneingeschränkten Lichtblicke des Abends".

In der Onlineausgabe des Standard zeigte sich Stefan Ender gar nicht besonders erbaut: "Wozzeck und das Grauen" nennt er seine Premierenbesprechung. Er macht den Regisseur als "Hauptverantworlichen" aus, weil er "die Oper zum verklemmt-pseudopornografischen Grusical" umfrisiert hätte. Dieser hätte beim Publikum dann auch als Schlussapplaus "paralysiertes Geplätscher" hervorgerufen. Ziemlich scharf geht er mit dem Sänger der Titelpartie ins Gericht, dem er "Dillentatismus" vorwirft - ohne das allerdings näher zu spezifizieren.