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Lulu - Anat Efraty |
Von der uneinlösbaren Macht
des Mythos "Frank Wedekind nannte seine
Lulu-Tragödie ein Lesedrama." Mit diesem Zitat beginnt Willy Decker
seine Anmerkungen zu dieser, seiner Lulu-Inszenierung (nachzulesen im
Programmheft der Wiener Staatsoper) - und er fährt fort: "Diese Bezeichnung
weist auf einen Grundwiderspruch, ein Grundproblem jeder Lulu-Aufführung:
die Tatsache des Widerspruchs zwischen der Ungreifbarkeit, der Unergründbarkeit
und der Irrealität der Lulu-Figur und der Notwendigkeit, diese Figur von
einem realen Menschen aus Fleisch und Blut darstellen zu lassen."
Das Problem ist eben ein grundsätzliches
und beginnt bei der Figur der Lulu, die kindhaft erotisch-naiv und zugleich
durchtrieben die männlichen Vorstellungen von Weiblichkeit objektiviert
- so, wie sie sich in der Dekadenz des zu Ende gehenden Fin de siecle
subsummiert haben. Man könnte die "Lulu" ja fast als "Zeitstück" abtun,
dass seine Schuldigkeit längst getan hat - wäre da nicht Bergs traumhaft
sichere Musik, die den Mythos zu einem packenden Konversationsstück transformiert,
das neben dem Freud und Leid der Lust auch so viel Action bietet wie ein
Kriminalroman. Aber der Mythos? Wenn es gelänge den oben angesprochenen
Mythos aller männlichen Weiblichkeitsfantasien auf die Bühne zu bringen,
dann müsste das schon ein verdammter Glücksfall sein. Decker verließ
sich also doch auch lieber auf die Action, das heißt, er sorgte für stete
Bewegung und gute Personenregie, für laszive Gesten, die nie unter die
Gürtellinie abrutschten und für eine wohlaufgeräumte Einheitsbühne, die
zusätzlich wenige erotische Anreize bot. Nur das rote "Kuss"-Sofa, den
geschwungenen Lippen eines Mundes nachgeformt, hätte als Ausstattungsstück
auch in einschlägigen Etablissements seine Verehrer gefunden. Aus obigem lässt sich schon
ableiten, dass dieser Abend weniger den Sängerpersönlichkeiten als viel
mehr der Ensembleleistung gehörte. Und beim "Wettbewerb" der Kollektive
hatte diesmal das Orchester die Nase vorn. Michael Boder sorgte von den
Orchestermusikern klangvoll unterstützt für einen symphonisch aufbereiteten
Alban Berg, der in dieser Aufmachung geradezu "klassisch" wirkte. Aus
dem Orchestergraben kamen die eigentlichen Impulse, dort lohnte es sich,
nach einem Substrat jenes oben beschwörten Mythos zu suchen - nach einem
archaischen triebhaften Urgrund menschlichen Seins, dass sich dann schicksalshaft
in der Bühnenhandlung manifestiert. Das Sängerensemble hatte es da schwerer,
mitzuhalten. Während es an stimmlicher Präsenz nicht ermangelte, war die
schauspielerische Überzeugungskraft schon härter erkämpft. Aber wie
wollte man zum Beispiel die Leistung einer Lulu auch wirklich bemessen,
die etwas zu sein hat, was sie eigentlich nicht sein kann? |
"Arena der Begehrlichkeit" titelte Ljubisa Tosic im "Standard" vom 14.2. und resümiert: "Schlussendlich jedoch ereignete sich an diesem Abend das seltene Wunder einer ungeteilten Zustimmung, die einmal auch den wohl erleichterten Regisseur nicht ausklammerte. War alles vielleicht doch etwas zu brav und solide?" In der Nachkritik der "Kronen Zeitung" vom 13.12. notiert Karlheinz Roschitz : "Eine Zirkusmanege mit schwarzen Fauteuils, einer roten Sitzbank, Porträts Lulus... Decker und Bühnenbildner Gussmann verdichten das Geschehen zu einer Folge von Kampfszenen, in denen die Figuren wie in einem Mahlstrom ihrem Untergang entgegentreiben. ... Überraschung des Abends ist die junge Anat Efraty, die das 'wilde schöne Tier ohne Seele' als Geschöpf voller Ungreifbarkeit und Unergründlichkeit zu gestalten versucht." In der Nachtkritik vom "Kurier" am 13.2. befand Franz Endler: "So viel Zustimmung erreicht Alban Berg in den letzten Jahren immer: Auch diesmal jubelte das Publikum nach Lulu in der Wiener Staatsoper den Interpreten zu und meinte ohne Zweifel auch das Werk." "Decker betont in dem Wedekind-Stoff vor allem den Kampf der Geschlechter, und so ist der Austragungsort folgerichtig in einer Arena angesiedelt, die zum Zuschauerraum hin offen ist." beschreibt H. G. Pribil in der "Wiener Zeitung" vom 14.2.00. Viel Lob gibt es von ihm auch für die musikalische Umsetzung: "Boder betont immer wieder auch die Süße dieser Meisterpartitur, bleibt aber andererseits auch der Expressivität und schneidenden Schärfe nichts schuldig, lässt die Musik messerscharf in das Bewusstsein eindringen. ... Mit der Titelpartie hat sich Anat Efraty auf ein sehr großes Wagnis eingelassen - und gewonnen. Mit halsbrecherischer Bravour stürzt sie sich in das stimmliche Abenteuer dieser mörderischen Partie und bleibt ihr nichts an Intensität schuldig." In den "Oberösterreichischen Nachrichten" vom 14.2. schreibt Walter Beyer: "Anders als Boulez und Maazel, welche die von Friedrich Cerha vollendete dreiaktige Fassung gewählt haben, entschied man sich diesmal für die vollendet-unvollendete zweiaktige Version mit dem Tode Lulus, was sich dramaturgisch als absolut richtig erwies." Beyer ist mit der Inszenierung vollauf zufrieden. Auch Anat Efraty hat überzeugt: "Wie sie zwischen Kindlichkeit und Laszivität balanzierend mit den enormen Schwierigkeiten dieser Partie zurecht kommt verdient Hochachtung. ... Rollendeckend und stimmlich erstklassig wie immer Franz Grundheber als Dr. Schön. Ein Sonderlob dem Tierbändiger und Athlet von Wolfgang Bankl." Im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" befand Micahel Struck-Schloen, dass es sich bei dieser Art von "zweiaktigem Torso" um ein Auslaufmodell handelt: "So wirkte die Wiener Version nicht wie ein inszeniertes Fragment, sondern wie eine rückamputierte Regie, die hinter den Stand der Lulu-Rezeption (...) zurückfällt". Viel Lob für Anat Efraty "eine Lulu der Sonderklasse" und Michael Boder: "Und sicher war es der sehnsüchtige, verführerische Streicherklang der Philharmoniker, dieses stete Changieren zwischen zwölftöniger Schärfe und boudoirhaft-romantischem Parfüm, was dem Wiener Alban Berg für sein letztes großes Werk vorgeschwebt haben muss". |