LULU

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Staatsoper
3. Dezember 2017
Premiere

Dirigent: Ingo Metzmacher

Inszenierung: Willy Decker
Szenische Einstudierung: Ruth Ortmann
Ausstattung: Wolfgang Gussmann
Kostümmitarbeit
: Susana Mendoza

Lulu - Agneta Eichenholz
Gräfin Geschwitz - Angela Denoke
Dr. Schön/Jack the Ripper - Bo Skovhus
Alwa, sein Sohn - Herbert Lippert
Schigolch, ein Greis - Franz Grundheber
Theatergarderobiere/Mutter - Donna Ellen
Gymnasiast/Groom - Ilseyar Khayrullova
Medizinalrat - Konrad Huber
Maler/Neger - Jörg Schneider
Tierbändiger/Athlet - Wolfgang Bankl
Prinz/Kammerdiener/Marquis - Carlos Osuna
Theaterdirektor/Bankier - Alexandru Moisiuc
Polizeikommissär - Konrad Huber
Fünfzehnjährige - Maria Nazarova
Kunstgewerblerin - Bongiwe Nakani
Journalist - Manuel Walser
Diener - Ayk Martirossian


Lulu auf der Analysecouch
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper nimmt einen neuen Anlauf, um Alban Bergs „Lulu” im Repertoire zu platzieren. Es ist nicht der erste – und alle sind nach wenigen Jahren gescheitert. Warum sollte es diesmal gelingen?

Beginnen wir am besten mit der anschaulichen Statistik: Neuinszenierungen der „Lulu“ im Haus am Ring gab es in den Jahren 1968, 1983 (dreiaktige Fassung) und 2000. Die erste Produktion brachte es laut Online-Staatsopernarchiv bis 1973 auf 20 Vorstellungen, die zweite Neuproduktion bis 1984 auf 10, und die Produktion aus dem Jahr 2000 auf 21 Vorstellungen bis zum Jahr 2005. Das ist nicht gerade eine berauschende Bilanz.

Für die aktuelle Premiere – die im Wesentlichen auf der Produktion aus dem Jahr 2000 beruht, ergänzt um den von Friedrich Cerha vervollständigten 3. Akt – hat sich das Publikum auch nicht um die Karten gerissen. Dass im Theater an der Wien am selben Abend die Premierenserie der dekonstruktiven „Ring-Trilogie” zu Ende gegangen ist, hat außerdem Opernliebhaber von der Staatsoper abgezogen. Aber im Vergleich zu diesem Theater an der Wien-”Ring” war die “Lulu”-Premiere die reinste Erholung: endlich wieder ein erstklassiges Opernorchester und als Draufgabe gab es noch eine seriöse Regiearbeit.

Die Inszenierung von Willy Decker aus dem Jahr 2000 wurde aufgefrischt und die durch Friedrich Cerha musikalisch ergänzten Teile hinzugefügt. Die Handlung spielt in einem Einheitsbühnenbild, einer Zirkusarena nachempfunden. An die Arena schließen sich in der Höhe Zuschauerränge an, Auftritte erfolgen auch mit Leitern von diesen Rängen aus, aber auch durch die vielen Türen in der hohen Holzverkleidung des Arenarunds. Ansonsten wird an Requisiten genommen, was gebraucht wird – auch das rote Kusssofa ist wieder mit von der Partie. Ein wichtiges Requisit sind die Bilderrahmen für Lulus Konterfei. Und nach der Hinmetzelung durch Jack the Ripper (alias Dr. Schön) wird sie blutüberströmt die letzten Takte als starre Ikone begehrter Männerlust in einem solchen schwarzen Bilderrahmen verbringen.

Decker lässt Lulu nicht nur von Jack the Ripper, sondern von vielen Männern ermorden. In schwarze Mäntel gehüllt und mit schwarzen Hüten „getarnt“, verrichten sie ihr blutiges Werk mit großen Dolchen ausgestattet. Ansonsten wird vor allem die Handlung erzählt. Und Publikum geht und kommt, und blickt als Zuschauer in dieses helle Zirkusrund. Die Inszenierung hat einen Hang zum „Stilisieren“, die bereits erwähnte Helle des Bühnenbildes erzeugt keine erotische „Plüschstimmung“. Eine gewisse Distanz wird spürbar, die im weiten Rund des Staatsopernraums die erotische Lust und die Gier mehr als abstrakte Erscheinungen menschlicher Existenz verhandelt. Trotzdem ist man rasch von der Handlung gefesselt. Sie kommt gleichsam von selbst zur Wirkung, ihr wird durch manch klugen Einfall, aber nicht durch Lächerlichkeiten, auf die Sprünge geholfen. Die Ergänzung der Inszenierung um die Szene in Paris mit Partyhütchen garniert und „Jungfrauaktien“ fügte sich konsequent ein, fiel insgesamt im Vergleich aber etwas ab. Das Schlussbild mit den vielen leeren Bilderrahmen war dann auch das sichtbarste äußere Zeichen für diese Abstrahierung, die alles vermied, um aus dieser Story einen lüsternen Groschenroman zu machen.

Ich persönlich halte diese von Friedrich Cerha ergänzte Fassung für die dramaturgisch sinnvollere, weil sie Lulus Schicksal konsequent zu Ende erzählt. Sie bietet auch der Sängerin der Titelpartie die Chance, diesen Abstieg emotional nachzuvollziehen, vielleicht auch eine Wandlung in Lulus Charakter selbst anzuregen. Als Publikum kann man dabei spüren, wie Lulus existentiellen Nöte zunehmen, wie zugleich ihr Bedürfnis nach „echter“ Liebe wächst, so wie eine Pflanze sich nach dem lebenspendenden Sonnenlichte dreht. Aber das kindlich-naive Moment ist bei Lulus Charakter vielleicht das doch entscheidendere, weil es die erotischen Wünsche der Männer nicht festlegt, sondern deren Phantasie mit ihr spielen lässt. Ihre eigenen Lebens- und Liebesbedürfnisse regen sich mehr unterbewusst, brechen dann und wann zerstörerisch hervor, und verlöschen zuletzt in der emotionalen Selbstaufgabe einer Dirnenexistenz.

Agneta Eichenholz musste sich bei ihrem Hausdebüt (!) gleich einer so schwierigen Aufgabe stellen, und sie hat offensichtlich einen mehr kühlen, überlegten Zugang zu dieser Rolle gefunden, einen mehr erwachsenen, selbstbestimmten. Aber dieses „Eis“ schmolz langsam auf, zeigte nach und nach die emotionale Auszehrung dieses Menschen, und seinen hoffnungslosen Kampf um Lebensglück. Auch wenn erotische Posen nicht zu kurz kamen, Eichenholz entzog sich einem Voyeurismus seitens des Publikums und kreierte eine Lulu, die sich nicht als Schablone männlicher Wünsche gebrauchen lässt. Während diese Rollenzeichnung im dritten Akt Vorteile mit sich brachte, weil Eichenholz letztlich die „Vermenschlichung“ Lulus zeigte, blieb ihre Wirkung in den ersten beiden Akten etwas blass. Dieser Werdegang der Titelpartie passte gut zur Stimme, die ein wenig kühl, in der Höhe etwas enger werdend, Lulu nicht mit locker perlender „Champagnererotik“ versah. Die Stimme kam mir auch etwas leicht vor, für ein großes Haus eine Spur zu wenig raumfüllend.

Angela Denoke hat sich als Geschwitz jedenfalls leichter „Gehör“ verschafft als Lulu, und stach ebenso wie der sehr gute Maler des Jörg Schneider aus dieser unter einer guten „Ensembleleistung“ zu subsumierenden Premiere. Bo Skovhus war ein bühnenpräsenter und letztlich auch schwer verzweifelter Dr. Schön, aber sein inzwischen schon recht trockener Bariton betonte mehr die sachliche „Business“-Seite des Charakters. Franz Grundheber – im Jahr 2000 noch selbst Dr. Schön – trat diesmal als Schigolch an. Grundheber ist ja wirklich nicht mehr jüngste und es war sehr erfreulich, ihm wieder einmal auf der Staatsopernbühne begegnen zu dürfen. Der Sänger befindet sich sozusagen im besten „Schigolch-Alter“, aber so richtig gepackt hat mich seine Rollengestaltung dann auch wieder nicht. Sie war wohl zu geradlinig für diesen undurchsichtigen, „gossenhaften“ Überlebenskünstler. Herbert Lippert als Alwa war nicht immer ganz textsicher und sein Tenor ist auch nicht mehr so ganz der feurige Liebhaber. Wolfgang Bankl konnte als Tierbändiger und Athlet die seit dem Jahr 2000 verstrichene Zeit nicht ganz vergessen machen, ich habe seine Rollenzeichnung pointierter in Erinnerung, mit einer Spur mehr „Schaustellerschmäh“.

Das Orchester unter Ingo Metzmacher klang anfangs sehr kammermusikalisch, pointiert im Bühnendialog, in manchen Details mit zärtlicher Nuancierung, im Klang aber doch etwas spröde und gewissermaßen Lulus Kühle im Orchestergraben weiterspinnend. Die sehnsucht-sinnliche Mahlererotik, die Alban Berg in den Streichern versteckt hat, und die Richard Strauss’sche Sentimentalität wurde einem mehr nach Vernuftprinzipien geordneten Geist geopfert. In den Zwischenspielen klang es symphonischer, brutaler, lauter. Im Parisbild war das Orchester stellenweise für die Sänger schon zu laut. Insofern eröffnete der Abend weniger die erotischen Abgründe des Sujets, sondern bot mehr die Spannung eines durchanalysierten und gesellschaftskritisch angehauchten Kriminalromans.

Rund 10 Minuten Schlussapplaus und Jubel für alle Beteiligten beendeten die Aufführung.

Friedrich Cerha und seine Gemahlin wohnten der Aufführung bei, Cerha saß neben dem Direktor des Hauses in der 1. Rang Loge Nr. 13, rechts.