LA STRANIERA
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Musikverein
8.2.2013 & 18.2.2013
Konzertante Aufführung

Dirigent: Pietro Rizzo

Münchener Opernorchester
Philharmonia Chor Wien

Alaide - Edita Gruberova
Isoletta - Sonia Ganassi

Graf Arturo - José Bros
Baron Valdeburgo - Paolo Gavanelli
Osburgo - Randal Bills
Prior - Sung-Heon Ha
Montolino - Leonard Bernard

Konzertante Aufführung am 18.2.2013

Der Jahrestag des 45. Bühnenjubiläums von Edita Gruberova wurde im Wiener Musikverein ebenfalls mit einer Aufführung von Vincenco Bellinis “La Straniera” begangen. Die Besetzung war mit dem Konzert vom 8. Februar identisch.

Der Abend begann mit einleitenden Worten der Moderatorin Barbara Rett, die einer Live-Übertragung per Webstream eine kurze Würdigung des Anlasses und eine Inhaltsangabe der Oper voranstellte. Auf einige „Lauter”-Rufe aus dem Publikum reagierte sie schlagfertig – und reichte das Missfallen über die schlechte Akustik der Lautsprecheranlage gleich an die Direktion des Musikvereins weiter.

Der „Goldene Saal” war sehr gut besucht, das Orchester an diesem Abend besser disponiert als in der Aufführung der ersten „Straniera“, die man im Rückblick als „Generalprobe“ für das Jubiläumskonzert bezeichnen könnte. Die Jubilarin selbst wirkte stimmlich gelöster und lockerer als im ersten „Straniera“-Durchgang – und so stand einem umjubelten Abend und einem glanzvollen Abschluss dieser dreiteiligen konzertanten „Jubiläumsfeier“ nichts im Wege. Der Schlussapplaus dauerte rund 25 Minuten lang.

Zusammenfassend lässt sich sagen: die „Anna Bolena“ am 3. Jänner war eine Sternstunde der Sängerin, und es ist zu hoffen, dass die Aufführung mitgeschnitten wurde. Die Aufführungen der „Straniera“ litten ein wenig unter der Schwäche des Werkes. Außerdem war das Edita Gruberova begleitende SängerInnen-Ensemble Bellini stimmlich schon etwas entwachsen.

Nachstehend der Bericht zur Aufführung am 8. Februar.

 


„Bellini-Ausgrabung

(Dominik Troger)

Der zweite konzertante Opernabend im Wiener Musikverein zum 45-jährigen Bühnenjubiläum von Edita Gruberova galt Vincenzo Bellinis „La Straniera“. Die Oper wurde 1829 mit Erfolg an der Mailänder Scala uraufgeführt. Das Libretto steuerte Felice Romani bei. „La Straniera“ wurde im 20. Jahrhundert kaum gespielt – und das hat Gründe.

Die Handlung spielt im späten Mittelalter. König Philipp IV. von Spanien hat seine Gemahlin Alaide verstoßen, weil er sich in eine Herzogstochter verknallt hat. Die Gemahlin wird in die Bretagne geschickt und dem Schutz ihres Bruders unterstellt. Sie macht sich aber selbstständig und lebt heimlich am Ufer eines Sees. Weil sie nur verschleiert ausgeht, wird sie von den Bewohnern der Gegend angefeindet und nur „die Fremde“ genannt.

Arturo, Graf von Ravenstel, soll Isoletta heiraten, verliebt sich aber in die „Fremde“. Alaida verliebt sich ihrerseits in den Grafen, aber natürlich kann sie als verheiratete Königin dieser Liebe nicht nachgeben. Sie erklärt das auch dem Grafen. Isolettas Vertrauter ist zufälliger Weise der Bruder von Alaide. Es kommt zu einem Wiedersehen zwischen Schwester und Bruder. Der Graf, der den Bruder jetzt für seinen Widersacher hält, stellt diesen rasend vor Eifersucht zum Duell. Der Bruder stürzt – offenbar tödlich getroffen – in den See. Alaide ist entsetzt. Sie macht dem Grafen klar, dass er gerade ihren Bruder gemeuchelt hat. Jetzt ist der Graf entsetzt und springt ebenfalls in den See, wohl um den Bruder zu retten. Alaide bleibt zurück samt blutigem Schwert und wird des Mordes bezichtigt – und bekennt sich im Zuge einer tiefergehenden Verwirrung sogar noch dazu.

Zum Glück tauchen am Beginn des zweiten Aktes, als über Alaides Schuld verhandelt wird, zuerst Arturo und dann auch der Bruder frisch und munter wieder auf. Die Sache scheint bereinigt. Der Graf überwindet sich zur Heirat mit Isoletta. Bei der Vermählung, an der auch Alaide teilnimmt, wird das Geheimnis der Fremden gelüftet: Ihre Rivalin sei gestorben, sie könne jetzt als Königin wieder an den Hof zurückkehren. Als Arturo das hört, ersticht er sich, Alaide verfällt in Wahnsinn.

Es fällt auf, dass die Oper in den einzelnen Szenen und Auftritten der Protagonisten ziemlich unproportional geraten ist. Die Titelfigur hat im Verhältnis zur Länge der Oper eigentlich recht wenig zu singen, der Tenor darf dafür sein „Ich-kriege-die-Frau-nicht-die-ich-liebe“-Geklage genüsslich ausbreiten. Der Mezzo (Isoletta) kommt am Beginn vor und meldet sich spät im zweiten Akt unvermutet als „Frau ex machina“ mit einer klagenden Arie zurück, um das Spiel von Liebe und Eifersucht am Leben zu erhalten.

Auch musikalisch hat Bellini hier noch nicht die Reife seiner späteren Opern erreicht, was dem Werk eine gewisse stilistische Uneinheitlichkeit verleiht. Manches nimmt schon mit blumig-schüchterner „Romantik“ die „Schlafwandlerin“ vorweg, anderes spielt mit Freischütz-Anklängen: Da gibt es nicht nur einen Jägerchor, sondern auch eine düstere Gewitterszene im ersten Akt, in der der Chor in Arturo die Eifersucht schürt – wie ein aus seinem Unterbewusstsein aufbrechender Verdacht. Wenn sich beim Bariton plötzlich Takte einschleichen, die schon den Papa Germont aus der Traviata vorwegnehmen, dann ist man überrascht, und natürlich genießt man die beiden brillanten Aktschlüsse, bei denen Bellini endlich gewillt ist, ein kurzes musikalisches Feuerwerk abzubrennen. Den ersten Auftritt der „Fremden“ könnte man sogar als „prototypisch“ für die romantische Oper bezeichnen: Viele Noten für ein einfaches „Ah“, die wie ein Windhauch traurig an Arturos Ohr streifen. Hier wird das Gefühl ganz zur Musik gemacht.

Es könnte nun jemand der Meinung sein, dass diese Oper ohnehin nur als Vehikel für Koloratursoprane diene – aber gerade Edita Gruberova hat bewiesen, dass man außer virtuosem Gesang auch einen starken Charakter in diesen Belcanto-Schönheiten entdecken kann. Bei der Straniera ist das allerdings schwierig, lebt sie doch vom ersten „Ah“ an nur eine traurige, schablonenhafte Existenz.

Mit der Straniera hat sich die Sängerin eine neue Rolle erarbeitet, und sie sang die Partie zum ersten Mal 2012 in München – und jetzt zum ersten Mal in Wien. Edita Gruberova wusste das Publikum natürlich wieder zu verzaubern und zu Ovationen hinzureißen. Doch im Vergleich mit der konzertanten „Anna Bolena“-Aufführung, die Anfang Jänner die „Edita-Gruberova-Festspiele“ im Musikverein eingeläutet hat, fand ich diesen Abend nicht so zwingend. Das Orchester erwies sich als zu laut und zu grobschlächtig für Bellinis feinfühlige Art. Nicht minder robust ging Paolo Gavanelli als Baron Valdeburgo ans Werk, der kräftig und mit guter Höhe, aber im Detail schon viel zu veristisch sang. José Bros sang einen liebestollen und eifersucht-erglühenden Arturo. Er legte sich schon ein wenig über Gebühr ins Zeug. Sonia Ganassi harmonierte bei ihrer Arie für meinen Geschmack am ausgewogensten mit dem Bellini-„Sound“. Sung-Heon Ha sang den Prior, ein Bass, den man gerne einmal in einer gängigeren Partie hören würde. Der Schlussjubel des Publikums dauerte fast 20 Minuten lang.

Am 18. Februar gibt es noch eine Gelegenheit, diese Oper im Musikverein zu hören und besser kennenzulernen: exakt am Jahrestag des 45. Bühnenjubiläums von Edita Gruberova. Womöglich eröffnen sich auch mir dann neue Ein- und Ausblicke. Der erste Eindruck von einem Werk tendiert meist dazu, die Schwächen zu sehen.

PS: Auf die szenische (!) Umsetzung von „La Straniera“, die 2014 für Zürich angekündigt wurde (2015 auch im Theater an der Wien), darf man wirklich gespannt sein. Christof Loy soll das Kunststück zu Wege bringen. Die Webseite der Oper Zürich verrät, dass man die Oper ohne Pause spielen wird – möglicherweise also stark gekürzt? Die im Musikverein gespielte Fassung war laut Programmheft ungekürzt, was eine reine Spielzeit von etwa zweidreiviertel Stunden ergeben hat.