LA SONNAMBULA
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Wiener Staatsoper
9. September 2023

Musikalische Leitung: Giacomo Sagripanti

Graf Rodolfo - Roberto Tagliavini
Teresa - Szilvia Vörös
Amina - Pretty Yende
Elvino - Javier Camarena
Lisa - Maria Nazarova
Alessio - Jack Lee
Ein Notar - Johannes Gisser

„Herzberührende Amina
(Dominik Troger)

„Für uns gibt es wenig so aufreibende Geduldproben, wie diese Musik mit ihrer geistlosen, einförmigen Wehmut, ihrer erbärmlichen Harmonie und Instrumentierung, ihren geradezu komischen Bauernchören.” Der Musikkritiker Eduard Hanslick war kein Fan von Vincenzo Bellinis „La sonnambula“. Das Werk wurde im Haus am Ring auch viele Jahrzehnte lang nicht gespielt. Erst Direktor Ioan Holender hat der Oper im Jahr 2001 wieder einen Platz im Repertoire verschafft.

Hanslick hat aber auch angemerkt, dass es aus seiner Sicht einen Sinn habe, das Werk aufzuführen „wenn ganz ungewöhnliche Talente uns die Hauptrollen vorführen”. In seinem Artikel, der am 25. Jänner 1870 in der Neuen Freien Presse anlässlich einer „Sonnambula“-Aufführung im alten Haus der Hofoper erschienen ist, nennt er dann Namen wie Jenny Lind und Adelina Patti.

Bellinis „Nachtwandlerin“ wurde zwei Jahre später zum ersten Mal im neuerbauten Hofopernhaus gegeben und hielt sich dort knapp zwei Jahrzehnte auf dem Spielplan. Dann wurde es laut dem Onlinearchiv der Staatsoper bis auf zwei Vorstellungen im Jahr 1935 im Haus am Ring nicht mehr gespielt. Erst 2001 kehrte das Werk ins Repertoire zurück, Marco Arturo Marelli sorgte für die Inszenierung, Stefania Bonfadelli und Juan Diego Floréz verkörperten das Brautpaar. Über 50 Aufführungen haben seither bestätigt, dass außergewöhnliche Sängerinnen und Sänger mit Bellinis „einförmiger Wehmut“ viel Erfolg haben können, wenn es ihnen gelingt, die Herzen des Publikums zu rühren.

Nach sechseinhalb Jahren wurde das Werk jetzt für drei Aufführungen wieder in den Spielplan aufgenommen. Die „ungewöhnlichen Talente“, die an diesem Samstag die 55. Aufführung in dieser Inszenierung bestritten haben, waren Pretty Yende als Amina, Javier Camarena als Elvino und Roberto Tagliavini als Graf Rodolfo. (Pretty Yende hat die Aufführung am Mittwoch noch absagen müssen und kam deshalb erst mit dieser Vorstellung zu ihrem Wiener Rollendebüt, Brenda Rae war am Mittwoch für sie eingesprungen.)

Pretty Yende hat die Wehmut dieses romantischen Frauenschicksals – um noch einmal die Diktion von Eduard Hanslick zu verwenden – alles andere als „einförmig“ gestaltet. Am Beginn klang ihr Sopran aber noch etwas angespannt, ihr leicht dunkles, cremiges Timbre hat sich erst nach und nach erwärmt. Aber sie gewann schon vor dem schlafwandlerischen „Ah! Non credea mirarti” mit ihrer rührenden, Aminas Seele offenlegenden Art die Herzen des Publikums. (Zwar möchte man Amina beständig davor warnen, sich ja nicht mit diesem krankhaft eifersüchigen Kerl einzulassen, aber liegt in der Trauer dieses mädchenhaftes Gemüts nicht auch die ganze Hoffnung, Elvino könnte seine emotionale Verwirrung wieder ablegen und sich erneut ihr zuwenden?)

Die sicheren Spitzentöne gelangen Yende meist etwas isoliert und abgesetzt, und für das „champagnerperlende“ Schlussfurioso hatte sie ihre nachtwandlerische Verinnerlichung nach meinem Eindruck noch nicht ganz ablegt und Aminas Glück sprühte vielleicht nicht ganz so feurig wie die Inszenierung es einfordert: Wenn sich der Vorhang langsam über dem Ensemble schließt und Amina plötzlich in rotem Kleid wie ein Star die Bühne betritt. (Dieser Schlussgag ist schon deshalb fragwürdig, weil das Publikum jedesmal zu Klatschen beginnt, sobald sich der Vorhang schließt, der Dirigent aber gerne weitermachen würde und die aufgebaute Spannung verpufft.)

Neben der Nachtwandlerszene hat vor allem das Turteln des Brautpaares im ersten Akt begeistert, bevor die Handlung zum Grafen und Lisa überblendet. Yende und Javier Camarena haben ihren ganzen gesanglichen Charme in die Waagschale geworfen und sich auf Bellinis zarte Liebesregungen eingelassen. Camarena war sehr gut bei Stimme mit sicheren „Acuti“, nach der Pause weckte ein tenoraler „Kratzer“ allerdings kurz Befürchtungen. Sein Tenor ist über die Jahre etwas fester geworden, viriler, ist bereits dabei, sich im Verdifach zu etablieren. (Er sowie Roberto Tagliavini feierten mit dieser Aufführungsserie ebenfalls Rollendebüt am Haus.)

Roberto Tagliavini hat als Graf Rodolfo seinen leicht körnigen „Kavaliersbass“ verströmt: ein nobler Graf mit viel Bühnenpräsenz und edler Stimme, der seine dramaturgisch wichtige Funktion mit jedem „Zoll“ und jeder Note auszufüllen vermochte. Maria Nazarova hatte bei gutem Spiel gesanglich mit der Lisa einige Mühe. Die Partie ist undankbar, gewährt der Sängerin nicht einmal einen Sympathiebonus, weil Lisa der Nachtwandlerin übel mitspielt. Szilvia Vörös sang eine gute Teresa. Als Alessio und Notar kamen Jack Lee und Johannes Gisser zum Einsatz. Der Chor sorgte für eine zweckmäßige „Belegung“ des inzwischen sattsam bekannten Marellischen Sanatoriums, das sich seit der Premiere jedesmal erneut als seltsamer Schauplatz der Handlung erweist.

Viel träge aneinander gereihtes Stückwerk und wenig Glanz tönte aus dem Orchestergraben in dem Giacomo Sagripanti den Stab führte. Der Dirigent musste beim Schlussvorhang sogar einige Buhrufe hinnehmen. Für das Ensemble gab es viel und dankbaren Applaus.