LA SONNAMBULA
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Wiener Staatsoper
7. Jänner 2017

Musikalische Leitung: Guillermo Garcia Calvo

Graf Rodolfo - Luca Pisaroni
Teresa - Rosie Aldrige
Amina - Daniela Fally
Elvino - Juan Diego Floréz
Lisa - Maria Nazarova
Alessio - Manuel Walser
Ein Notar - Thomas Köber

„Tenoral durchglühte Kältewelle
(Dominik Troger)

Nach vier Jahren Absenz wandelt Vincenzo Bellinis „Sonnambula“ wieder über die Bühne der Wiener Staatsoper. Jede Menge an Wiener Rollendebüts und vor allem Juan Diego Floréz als Elvino prägten die 51. Aufführung dieser Produktion aus dem Jahr 2001.

Im zweiten Akt dieser von Regisseur Marco Arturo Marelli in ein Bergsanatorium verlegten „Nachtwandlerin“ wird die emotionale Krise durch eine Lawine dargestellt, deren eisigkalte Zunge durch eine aufgestoßene Glastüre in den Festsaal leckt. Einen Konzertflügel hat sie dabei zertrümmert, den Amina wie einen dunkelgezackten Berggrat schlafwandelnd zu überwinden hat. Man mag diese sehr konzeptionelle Lösung kritisieren, die sich der Regisseur hier ausgedacht hat, in Anbetracht der herrschenden Außentemperaturen konnte das Publikum an diesem Abend aber zumindest die Kälte mitfühlen, die die nackten Sopranzehen gequält haben würden, wäre der Schnee echt gewesen.

Ich glaube mich zu erinnern, dass anlässlich der Premiere oder einer der Reprisen in den frühen 2000er-Jahren in einer Rezension der Hoffnung Ausdruck verliehen wurde, Graf Rudolf möge in dieser Szene seinen üppigen Pelzmantel über Aminens Schultern legen, damit sich die so unglücklich Liebende keine Lungenentzündung hole. Nein, bei dem aktuellen, für Wiener Verhältnisse schon grimmigen Winterwetter mit minus fünf Grad und darunter, bei den Schneeflocken, die das Publikum nach Ende der Vorstellung umwirbelten, versteht man das schon und meint es gar nicht mehr „ironisch“.

Aber jenseits aller Meteorologie durchglühte ohnehin Juan Diego Floréz den Abend. Er schien allen Mitwirkenden das Banner Bellinis voranzutragen wie ein jugendlicher Heerführer. Floréz hat Anno Domini 2001 schon die Premiere bestritten und zuletzt 2010 am Haus in dieser Rolle brilliert. Der Weg, den der Sänger in diesen 16 Jahren als Elvino beschritten hat, ist insofern unglaublich, weil sich Floréz schon 2001 die Latte sehr hoch gelegt hat. Aber damals war sein Elvino noch mehr der unerfahrene Jüngling, der von der Regie als Muttersöhnchen in eine pubertäre, leicht erregbare Eifersucht gedrängt worden war. Und für Floréz, vor sechzehn Jahren in seiner Bühnenwirkung von musterschülerhafter Zurückhaltung, schien dieses Konzept wie maßgeschneidert. Sein Tenor war damals außerdem schlanker als heute, noch mehr Rossini geeicht, aber in jeder Faser dazu bereit, in diese „unendlichen“ Bellini’schen Belcantomelodien hineinzuwachsen.

Und jetzt ist er mit ihnen verwurzelt, jetzt hat sein Tenor jene geschmeidige Sattheit, mit der der Jüngling zum Mann geworden ist. Er bettet die stimmliche Eloquenz auf ein dunkles, kernigfülliges Samtband, das den reichlich und mit Lust gespendeten Acuti eine mit Métalliséglitzer besetzte Bordüre flicht, die den leicht maschinellen jugendlichen Charakter Rossinis in eine virile Erotik kleidet, die Bellinis Musik das zurück gibt, was bei Aufführungen heutzutage so oft verloren geht: eine schwebende Sinnlichkeit wie ein fester, langer, inniger Kuss.

Darstellerisch ist er allerdings der jugendlichen Eifersucht Elvinos entwachsen, fällt es vielleicht ihm selbst inzwischen schwer, sie noch ganz ernst zu nehmen. Wenn er Ende des ersten Aktes den Hochzeitsschleier zerreißt, als wolle er daraus Konfetti machen, dann handelt er nicht mehr als Jüngling von 2001. In diesem Punkt widerspricht die Regie seiner gesanglichen und darstellerischen Weiterentwicklung und seiner unglaublichen Perfektion. Der Sänger schien aber viel Spaß zu haben, es war spürbar, wie er selbstbewusst aus seiner tenoralen Fülle schöpfte, wie er genoss, was ihm seine Stimme an diesem Abend so erfrischend ermöglichte – und wie sich das Publikum begeistern ließ.

Daniela Fally als Sonnambula? Bisher hat sich die Sängerin doch eher im komödiantischen Umfeld bewegt – oder sollten die Fiakermilli, die Zerbinetta, die Olympia plötzlich ihre romantische Ader entdeckt haben? Daniela Fally hat den Spagat – den sie sonst an der Staatsoper als Fiakermilli balletttechnisch auf die Bühne zaubert – diesmal als Sängerin geschafft. Allerdings benötigte sie bei diesem Staatsopern-Rollendebüt etwas Anlaufzeit und ganz perfekt lief der Abend noch nicht für sie. Es schien ein wenig, als müsse sie erst ihr „keckes“ Temperament abstreifen und auch ihre Stimme ein wenig „einölen“. Aber nach und nach fand sie, befeuert von den Duetten mit Juan Diego Floréz, in denen sie eher zurückhaltend agierte, immer mehr in die bellinische Kantilene hinein – außerdem harmonierten beide im Spiel sehr gut. Fally sang dann ein inniges „Ah! Non credea“, das sie im Finale mit feinen Koloraturen schmückte. Das den Abend beschließende „Ah! non giunge” servierte sie mit Verve und einem etwas soubrettigen, bei den Spitzentönen auf einem schon etwas straff gespannten Seil balancierenden „Champagnerfeeling".

Maria Nazarova – ebenfalls mit Rollendebüt am Haus – war für die undankbare Partie der Lisa zuständig. Vom Typ ein wenig Daniela Fally ähnlich hat sie die Begehrlichkeiten dieser Figur sehr aktiv vertreten und je nach Laune dem Grafen oder Elvino schöne Augen gemacht. Ihr Spiel machte viel Eindruck, gesanglich schien sie mit der Kavatine im ersten Akt und der Arie im zweiten an diesem Abend aufgrund der schmal und „unrund“ klingenden Spitzentöne einige Mühe zu haben.

An stimmlicher Eleganz konnte an diesem Abend ohnehin nur Luca Pisaroni mit Floréz mithalten. Pisaroni stellte bei seinem Rollendebüt am Haus einen noblen, (sehr) zurückhaltenden Conte Rodolfo auf die Staatsopernbühne. Rosie Aldrige sang eine mütterliche Teresa, der Sanatoriumschor sorgte sich passend um das Geschehen, und das mit wenig Esprit agierende Orchester unter Guillermo Garcia Calvo begleitete solide mit einigem Optimierungsbedarf für die nächsten Aufführungen.

Der vor allem Floréz und Fally umjubelnde Schlussapplaus dauerte etwa sechs bis sieben Minuten lang.