„Neue Norma“
(Dominik Troger)
Während
über Wien ein Wolkenbruch niederging, entlud sich in der Staatsoper das
Gefühlsgewitter zwischen Norma, Pollione und Adalgisa. Die Seelen der
drei rieben sich heftig: ein Abend großer Gefühle und eher unsubtilen
Gesangs. Berichtet wird von der letzten Vorstellung der aktuellen
Aufführungsserie.
Vincenzo Bellinis „Norma“ hat in dieser Wiener Opernsaison ein
kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben: zwei szenische Produktionen
boten Vergleichsmöglichkeiten. Die Produktion des Theaters an der Wien
ist inzwischen nach Berlin weitergewandert, die Staatsoper hat das Werk
nach der Premiere im Februar jetzt noch einmal in den Spielplan
aufgenommen. Bis auf die Norma und Pollione waren alle maßgeblichen
Rollen premierenbesetzt, wobei Freddie de Tommaso als Einspringer für
Juan Diego Floréz die Partie bereits einmal in der Premierenserie
verkörpert hat.
Wirklich neu war also „nur“ die Norma: die junge russische Sopranistin Lidia Fridman
feierte ihr Hausdebüt in der Titelpartie. Laut der englischen Wikipedia
ist Fridman noch keine dreißig Jahre alt und hat 2019 debütiert. Ihr
Repertoire spannt sich von der Donna Elvira über die Salome bis zur
„Wozzeck“-Marie, die Lady Macbeth und Abigaille finden sich
ebenso darunter wie die Amelia oder zuletzt die Anna Bolena im Teatro
La Fenice.
Diese Durchmischung verblüfft – und nach den ersten Norma-Tönen der
schlanken, hochgewachsenen Sängerin ist man noch mehr überrascht: eine
dunkle, mezzoartige Stimme tönt durchs Auditorium, vibratolastig, und
in eine etwas harsche Metallfolie gepackt. Diese Norma weiß zu kämpfen,
denkt man sich, und bei den ihr von Bellini vorgegebenen Spitzentönen
mischt sich Mezzotimbre mit Sopranverve – und ergibt eine eigenartige
Mischung.
Für das sensible, silbrige Schimmern des „Casta Diva“
war das keine ideale Voraussetzung, aber das ist natürlich nur eine
Teilmenge dieser gallisch-römischen Beziehungskiste. Fridmans
gesangliche Stärken lagen trotz des vorhandenen Gestaltungswillens
ohnehin nicht in der sinnlich-poetischen Erfassung von Normas
Emotionen, sondern in einer etwas ungeschlachten Expressivität
gleichsam als „Surrogat“ für Normas durchgebeutelten Gefühlshaushalt.
Bei einem Vergleich der Normas – Asmik Grigorian (Theater an der Wien)
und Federica Lombardi (Staatsoper) – spielt Fridman in der „Außenseiterrolle“:
Sie besitzt weder die schauspielerische Präsenz und das veristische
Kalkül Grigorians noch bietet sie eine weichere Ausformung der
Bellinischen Romantik wie Federica Lombardi. Ihre Norma ist zwar
charakterstark, wirkt gesanglich aber mehr wie eine „Naturgewalt“:
die Stimme guttural unterlegt und (zu) unausgegoren – und wie es um die
Nachhaltigkeit dieser Blitzkarriere wirklich bestellt ist, werden die
nächsten Jahre zeigen.
Freddie de Tommaso passte
zu Normas Expressivität, selbst kein Stilist, sondern sich mit
Kraft durch die Partie „powernd“. In der Kavatine war es schon zu
viel des Guten, es besserte sich. Leider blieb sein Tenor in der Höhe
etwas baritonal „gedeckt“ und derart fehlte der Dauerattacke die Würze.
Die Mittellage besitzt ausreichend Virilität, wenn auch keinen
„Schönklang“: ein Rollenporträt, das keinen Enthusiasmus weckt, aber
seinen Platz behauptet.
Vasilisa Berzhanskaya hat
stilistisch von den Genannten am besten bei Bellini „angedockt“. Sie
ist dem Publikum zwar immer noch als Angelina und Rosina in Erinnerung,
aber die dort geübte stimmliche Flexibilität und Präzision ist von
Vorteil. Allerdings ist ihr Mezzo nicht so saftig timbriert, dass das
Schicksal der jungen Novizin in Liebe und Leid so richtig aufblühen
würde, was Adalgisa ein wenig an Mitgefühl kostet. Ildebrando D'Arcangelo wurde vor der Vorstellung angesagt. Vielleicht klang seine Stimme etwas rauer als gewohnt?
Das Staatsopernorchester war stellenweise etwas langsam unterwegs, wurde von Antonino Fogliani
aber zweckmäßig geführt. Die feine Poesie Bellinischer Romantik, in der
die Premierenserie geschwelgt hat, ist einem kapellmeisterlichen
Pragmatismus gewichen, gegen den man im Repertoire schwer etwas
einwenden kann. Auch die Inszenierung von Cyril Teste hat den Sprung
ins Repertoire geschafft. Sie rückt zwar die Kinder Normas (eigentlich
zwei Söhne, hier Tochter und Sohn) durch großflächige
Videoeinspielungen über Gebühr ins Zentrum, stört aber ansonsten nicht.
Vor allem macht sie aus der „Norma“ keine „Opera buffa“. Muss man als
Publikum heutzutage nicht auf alles gefasst sein?
Der Schlussbeifall war nach fünf Minuten vorbei. Vor allem für
Norma, Adalgisa und Pollione gab es viel Applaus und Bravorufe.
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