NORMA
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Premiere
Theater an der Wien
16. Februar 2025

Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta

Inszenierung: Vasily Barkhatov
Bühne: Zinovy Margolin
Kostüm: Olga Shaishmelashvili
Licht: Alexandfer Sivaev
Live Action Design: Ran Arthur Braun

Norma - Asmik Grigorian
Pollione - Freddie De Tommaso
Oroveso - Tareq Nazmi
Adalgisa - Aigul Akhmetshina
Clotilde - Victoria Leshkevich
Flavio - Gustavo Quiaresma


Revolution in der Keramikfabrik
(Dominik Troger)

Die neue „Norma“ im Theater an der Wien beschallt das Publikum mit robuster Lautstärke und die Inszenierung verströmt den Charme eines sozialkritisch angehauchten Groschenromans. Zwischen kulissenbraunem Faschistenmief und Grabengelrelikten müht sich Vorarbeiterin Norma mit ihren Gefühlen ab. Und am Schluss verhindert Pollione sogar noch ihren Suizid.

Ursprünglich war diese „Norma“-Produktion von Stefan Herheims Intedantenvorgänger Roland Geyer geplant worden. Die Premiere im Mai 2020 wurde allerdings durch den COVID-Lockdown verhindert. Das für 2020 vorgesehene Regieteam ist auch 2025 angetreten – von der ursprünglich geplanten Besetzung nur Asmik Grigorian. Insofern haben es die Wiener Opernfreunde 
COVID zu verdanken, dass sie jetzt innerhalb von einer Woche gleich mit zwei szenischen Neuproduktionen dieser Oper „verwöhnt“ werden – denn am kommenden Wochenende folgt die Wiener Staatsoper.

Die letzte szenische Neuproduktion der „Norma“ in Wien gab es 1997 an der Volksoper. Es folgten konzertante Aufführungen an der Wiener Staatsoper, die der unvergessenen Edita Gruberova die Möglichkeit boten, gegen Ende ihrer Karriere auch noch in Wien diese ikonische Rolle zu gestalten. Jetzt war also das Theater an der Wien an der Reihe, sich szenisch in die Wiener Aufführungsgeschichte der „Norma“ einzubringen, die im Jahr 1833 begonnen hat (nicht 1835, wie es ein Tippfehler im Programmheft des Theaters an der Wien zur Aufführung angibt).

Nun war bereits zur Pause dieser „Norma“-Premiere klar, dass sich die Inszenierung in eine schier endlose Reihe von Regieentwürfen einreiht, die die innere Dramaturgie der zur Diskussion gestellten Werke verdrehen. Denn das Schicksal von Bellinis Norma ist ohne ihre priesterliche Funktion und ihre Stellung zum „Numinosen“ nicht nachvollziehbar: Das gibt in gewisser Weise sogar der Regisseur zu, der im Programmheft zur Aufführung mit den Worten zitiert wird, Norma dürfe als Priesterin (!!)  „weder Kinder bekommen noch eine Beziehung zu einem Mann unterhalten“. Als Priesterin ist Norma mit einer ganz besondere Würde ausgestattet, mit eine ganz besonderen Verantwortung – und ihrer Schuld droht ein göttliches Verdammungsurteil.

Vasily Barkhatov wollte sich darauf aber augenscheinlich nicht einlassen – ihn hat etwa Anderes interessiert. Er wollte nach seinen Worten zeigen, wie sich eine Gesellschaft unter einer Diktatur verändert (was nicht das Thema von Bellinis „Norma“ ist!). Er lässt die Handlung nach einem politischen und gesellschaftlichen Umbruch spielen. Es gibt keine externe Besatzungsmacht wie sie bei Bellini die Römer in Gallien darstellen. Er hat die priesterliche Funktion Normas so stark verwässert, dass man sie nicht mehr als Grundkonstante ihres Bühnendaseins wahrgenommen hat. Außerdem hat er einen Unterschied zwischen Norma selbst und der Gesellschaft, der sie vorsteht, konstruiert. Norma, so Barkhatov, vertritt womöglich archaische Werte, die – sinngemäß formuliert – gar nicht mehr zur Zeit passen, in der sie lebt. Das ist bezogen auf Bellinis „Norma“ natürlich falsch, weil Normas Schicksal eng mit ihren gesellschaftlichen Beziehungen verknüpft ist. Wie sonst würde Norma eine solche Autorität im Volk genießen, wenn sie nicht als allgemeines Vorbild für die in dieser Gesellschaft gelebten Werte dienen könnte?

Aber genug der Theorie. In dieser Inszenierung ist Norma  offensichtlich Vorarbeiterin in einer von düsteren Schergen überwachten Keramikfarbrik, die nach einem politischen Umsturz statt bigotter Grabengel und dergleichen Dikatorenbüsten produziert. Warum der Chor unter strenger Bewachung stehend seine Befreiungspläne so offen vor sich hin „murmelt“, ist gleich einmal das erste große Rätsel dieser Inszenierung. Orovesos unterschwellig provokantes Verhalten, wenn er den Feinden Rache androht, ist bei der deutlichen Bühnenpräsenz, die die Machthaber zeigen, ziemlich unglaubwürdig. Genauso unglaubwürdig ist es, dass sich die Arbeiter in eben dieser Fabrikshalle zusammenfinden, um dort einer geheimen Zusammenkunft zu pflegen.

Bei dieser Zusammenkunft gibt es natürlich keinen Mond, sondern Leuchtstoffröhren, die ihr „poetisches“ Licht verbreiten. Das  „Casta Diva“ richtet sich an bigotte Tonengelreste, die als Erinnerungsstücke an bessere Fabrikszeiten erinnern und heimlich verwahrt worden sind. Und dafür soll die Vorarbeiterin Norma ein Keuschheitsgelöbnis abgelegt haben? Damit steht und fällt aber die ganze Geschichte, die Bellini erzählt – und übrig bleibt die von Barkhatov in das neorealistische Design alter Filme getauchte triste Story von einer Frau, der ein Mann zwei Kinder gemacht hat, um sich dann in eine ihrer jüngeren Arbeitskolleginnen zu verlieben. Asmik Grigorian ließ Norma zudem einen ans Hysterische streifenden „psychologischen Hyperrealismus“ angedeihen. Dass sich Grigorians Figurenzeichung nicht mit Bellinis erotischen Kantilenen vertrug, war aber keine Überraschung: Die Sängerin hat schon vorab in Interviews durchblicken lassen, dass sie auf Verismo statt auf Belcanto setzen wird.

Stefan Herheim, der am Beginn vor das Publikum trat, hat Asmik Grigorian wegen einer Erkältung angesagt, überhaupt sei das Ensemble von der grassiernden Grippewelle betroffen gewesen. Grigorian begann dementsprechend eher verhalten, steigerte sich im Laufe der Aufführung aber deutlich, auch die zuerst etwas prekären Spitzentöne zeigten dann mehr Leuchtkraft. Grigorians Sopran wirkte dabei insgesamt mehr sportlich schlank als gerundet, sang sich sehr „bestimmt“ und ohne viel Sinn für das Anbringen von belcantesken „Girlanden“ durch die Partitur. Insgesamt kam mir ihre Norma wie eine gut gemeinte „Themaverfehlung“ vor, bei der ihr ausgezeichnetes Spiel dem Gesang hinzufügte, was diesem an stilistisch ausgefeilter Gestaltung abging.

Aigul Akhmetshina hatte als Adalgisa mehr an „Stimme“ zu bieten: ein frischer, leicht dunkler Mezzo,  der sich aber nicht mit einem sinnlichen Novizinnentum zufrieden gab, sondern für das Theater an der Wien teilweise zu kräftig loslegte. Vielleicht lag es zum Teil auch am Bühnenbild. Normas ärmliche Wohnung beispielsweise  (der Nachttopf lachte unter dem Stahlrohrbett hervor) war durch eine Bühnenblende in der Höhe reduziert und nicht sehr tief gebaut. Dort traf Adalgisa Norma zum liebebeichtenden Kaffeeplausch – und als Norma vor Schreck über die ganzen Kalamitäten eine Kaffeetasse klirrend fallen ließ, fiel es mir nicht schwer, dieser Inszenierung die letzten Reste meines noch vorhandenen Wohlwollens zu entziehen.

Dazu gesellte sich dieser Pollione mit Hitlerbärtchen: Am Schluss verhindert er Normas Suizid und drückt sich um den eigenen herum. Es gibt also keinen gemeinsamen Gang der beiden in den Flammentod. Nun könnte man sagen, dass sei menschlich. Es ist auch menschlich, aber es ist nicht tragödisch! In dieser Neuproduktion verpfuscht Pollione Norma sogar noch den „Heldinnentod“. Nun ist dieser Pollione keine Bühnenfigur zum „Liebhaben“. Und Freddie De Tomaso sang, als wollte er mit viel Krafteinsatz großen Sängervorbildern nacheifern, wirkte dabei aber zu einförmig, mit seinem etwas breiten, in der Höhe kaum aufblühenden Tenor. Vielleicht ein Pollione mit Buchhalterseele? Vor diesem Hintergrund wird die Rettung Normas im Finale schon wieder fast verzeihlich.

Oroveso ging in diesem „Konzept“ auf „Tauchstation“, so als wisse man nicht mehr, wozu er gut sein soll. Zuerst darf er ein bisschen mit den Wachmannschaften herumschubsen, wie Fussballspieler nach einem Foul. Später ist er mehr „Chorist“ unter seinesgleichen. Tareq Nazmi hat der Figur auch kaum Ausstrahlung verliehen, ein älterer, würdevollerer Bass hätte nicht geschadet. Aber kann man hier noch fair urteilen, wenn eine Figur durch die Inszenierung ins Abseits gedrängt wird? Laut Libretto sollten sich Oroveso und seine Mannen in einem heiligen Hain versammeln und in keiner überwachten Fabrikshalle. Im ersten Fall würde sich Orovesos Auftreten viel würdevoller gestaltet haben. Das hätte den Auftritt seiner Tochter Norma auch besser vorbereitet: Norma blättert vor dem „Casta Diva“ an einem schäbigen Tisch sitzend Listen durch, vielleicht mit den Namen der Arbeiterinnen und Abeiter?  Was für eine schwache szenische Lösung für das „Entree“ einer der schillerndsten Bühnenfiguren der Operngeschichte!

Der Arnold Schönberg Chor war mit all seiner darstellerischen und gesanglichen Anpassungsfähigkeit in die verordnete Rolle von Farbriksarbeitern geschlüpft. Die Wiener Symphoniker unter Francesco Lanzillotta hätten mehr an der Dynamik feilen sollen, die schwebende Sinnlichkeit von Bellinis Musik wurde zugunsten einer dramatischen Zuspitzung ganz im Sinne des szenischen Konzepts „vulgarisiert“. Die Latte für die kommende Staatsoperpremiere am Samstag liegt nicht allzu hoch.

Der Schlussapplaus lag bei rund zehn Minuten. Beim Auftritt des Regieteams gab es ein paar Buhrufe. Dem starken Applaus nach zu schließen ist die Aufführung recht gut beim Publikum angekommen.