„Revolution in der Keramikfabrik“
(Dominik Troger)
Die
neue „Norma“ im Theater an der Wien beschallt das Publikum mit robuster
Lautstärke und die Inszenierung verströmt den Charme eines
sozialkritisch angehauchten Groschenromans. Zwischen kulissenbraunem
Faschistenmief und Grabengelrelikten müht sich Vorarbeiterin Norma mit
ihren Gefühlen ab. Und am Schluss verhindert Pollione sogar noch ihren
Suizid.
Ursprünglich war diese „Norma“-Produktion von Stefan Herheims
Intedantenvorgänger Roland Geyer geplant worden. Die Premiere im Mai
2020 wurde allerdings durch den COVID-Lockdown verhindert. Das für 2020
vorgesehene Regieteam ist auch 2025 angetreten – von der ursprünglich
geplanten Besetzung nur Asmik Grigorian. Insofern haben es die Wiener
Opernfreunde COVID
zu verdanken, dass sie jetzt innerhalb von einer Woche gleich mit zwei
szenischen Neuproduktionen dieser Oper „verwöhnt“ werden – denn am
kommenden Wochenende folgt die Wiener Staatsoper.
Die letzte szenische Neuproduktion der „Norma“ in Wien gab es 1997 an
der Volksoper. Es folgten konzertante Aufführungen an der Wiener
Staatsoper, die der unvergessenen Edita Gruberova die Möglichkeit
boten, gegen Ende ihrer Karriere auch noch in Wien diese ikonische
Rolle zu gestalten. Jetzt war also das Theater an der Wien an der
Reihe, sich szenisch in die Wiener Aufführungsgeschichte der „Norma“
einzubringen, die im Jahr 1833 begonnen hat (nicht 1835, wie es ein
Tippfehler im Programmheft des Theaters an der Wien zur Aufführung
angibt).
Nun war bereits zur Pause dieser „Norma“-Premiere klar, dass sich die
Inszenierung in eine schier endlose Reihe von Regieentwürfen einreiht,
die die innere Dramaturgie der zur Diskussion gestellten Werke
verdrehen. Denn das Schicksal von Bellinis Norma ist ohne ihre
priesterliche Funktion und ihre Stellung zum „Numinosen“ nicht
nachvollziehbar: Das gibt in gewisser Weise sogar der Regisseur zu, der
im Programmheft zur Aufführung mit den Worten zitiert wird, Norma dürfe
als Priesterin (!!) „weder Kinder bekommen noch eine Beziehung zu einem Mann unterhalten“.
Als Priesterin ist Norma mit einer ganz besondere Würde ausgestattet,
mit eine ganz besonderen Verantwortung – und ihrer Schuld droht ein
göttliches Verdammungsurteil.
Vasily Barkhatov wollte
sich darauf aber augenscheinlich nicht einlassen – ihn hat etwa Anderes
interessiert. Er wollte nach seinen Worten zeigen, wie sich eine
Gesellschaft unter einer Diktatur verändert (was nicht das Thema von
Bellinis „Norma“ ist!).
Er lässt die Handlung nach einem politischen und gesellschaftlichen
Umbruch spielen. Es gibt keine externe Besatzungsmacht wie sie bei
Bellini die Römer in Gallien darstellen. Er hat die priesterliche
Funktion Normas so stark verwässert, dass man
sie nicht mehr als Grundkonstante ihres Bühnendaseins wahrgenommen hat.
Außerdem hat er einen Unterschied zwischen Norma selbst und der
Gesellschaft, der sie vorsteht, konstruiert. Norma, so Barkhatov,
vertritt womöglich archaische Werte, die – sinngemäß formuliert – gar
nicht mehr zur Zeit passen, in der sie lebt. Das ist bezogen auf
Bellinis „Norma“ natürlich falsch, weil Normas Schicksal eng mit ihren
gesellschaftlichen Beziehungen verknüpft ist. Wie sonst würde Norma
eine solche Autorität im Volk genießen, wenn sie nicht als allgemeines
Vorbild für die in dieser Gesellschaft gelebten Werte dienen könnte?
Aber genug der Theorie. In dieser Inszenierung ist Norma
offensichtlich Vorarbeiterin in einer von düsteren Schergen überwachten
Keramikfarbrik, die nach einem politischen Umsturz statt bigotter
Grabengel und dergleichen Dikatorenbüsten produziert. Warum der Chor
unter strenger Bewachung stehend seine Befreiungspläne so offen vor
sich hin „murmelt“, ist gleich einmal das erste große Rätsel dieser
Inszenierung. Orovesos unterschwellig provokantes Verhalten, wenn er
den Feinden Rache androht, ist bei der deutlichen Bühnenpräsenz, die
die Machthaber zeigen, ziemlich unglaubwürdig. Genauso unglaubwürdig
ist es, dass sich die Arbeiter in eben dieser Fabrikshalle
zusammenfinden, um dort einer geheimen Zusammenkunft zu pflegen.
Bei dieser Zusammenkunft gibt es natürlich keinen Mond, sondern
Leuchtstoffröhren, die ihr „poetisches“ Licht verbreiten. Das
„Casta Diva“ richtet sich an bigotte Tonengelreste, die als
Erinnerungsstücke an bessere Fabrikszeiten erinnern und heimlich
verwahrt worden sind. Und dafür soll die Vorarbeiterin Norma ein
Keuschheitsgelöbnis abgelegt haben? Damit steht und fällt aber die
ganze Geschichte, die Bellini erzählt – und übrig bleibt die von
Barkhatov in das neorealistische Design alter Filme getauchte triste
Story von einer Frau, der ein Mann zwei Kinder gemacht hat, um sich
dann in eine ihrer jüngeren Arbeitskolleginnen zu verlieben. Asmik Grigorian
ließ Norma zudem einen ans Hysterische streifenden „psychologischen
Hyperrealismus“ angedeihen. Dass sich Grigorians Figurenzeichung nicht
mit Bellinis erotischen Kantilenen vertrug, war aber keine
Überraschung: Die Sängerin hat schon vorab in Interviews durchblicken
lassen, dass sie auf Verismo statt auf Belcanto setzen wird.
Stefan Herheim, der am Beginn vor das Publikum trat, hat Asmik
Grigorian wegen einer Erkältung angesagt, überhaupt sei das Ensemble
von der grassiernden Grippewelle betroffen gewesen. Grigorian begann
dementsprechend eher verhalten, steigerte sich im Laufe der Aufführung
aber deutlich, auch die zuerst etwas prekären Spitzentöne zeigten dann
mehr Leuchtkraft. Grigorians Sopran wirkte dabei insgesamt mehr
sportlich schlank als gerundet, sang sich sehr „bestimmt“ und ohne viel
Sinn für das Anbringen von belcantesken „Girlanden“ durch die Partitur.
Insgesamt kam mir ihre Norma wie eine gut gemeinte „Themaverfehlung“
vor, bei der ihr ausgezeichnetes Spiel dem Gesang hinzufügte, was
diesem an stilistisch ausgefeilter Gestaltung abging.
Aigul Akhmetshina hatte
als Adalgisa mehr an „Stimme“ zu bieten: ein frischer, leicht dunkler
Mezzo, der sich aber nicht mit einem sinnlichen Novizinnentum
zufrieden gab, sondern für das Theater an der Wien teilweise zu kräftig
loslegte. Vielleicht lag es zum Teil auch am Bühnenbild. Normas
ärmliche Wohnung beispielsweise (der Nachttopf lachte unter dem
Stahlrohrbett hervor) war durch eine Bühnenblende in der Höhe reduziert
und nicht sehr tief gebaut. Dort traf Adalgisa Norma zum
liebebeichtenden Kaffeeplausch – und als Norma vor Schreck über die
ganzen Kalamitäten eine Kaffeetasse klirrend fallen ließ, fiel es mir
nicht schwer, dieser Inszenierung die letzten Reste meines noch
vorhandenen Wohlwollens zu entziehen.
Dazu gesellte sich dieser Pollione mit Hitlerbärtchen: Am Schluss
verhindert er Normas Suizid und drückt sich um den eigenen herum. Es
gibt also keinen gemeinsamen Gang der beiden in den Flammentod. Nun
könnte man sagen, dass sei menschlich. Es ist auch menschlich, aber es
ist nicht tragödisch! In dieser Neuproduktion verpfuscht Pollione Norma
sogar noch den „Heldinnentod“. Nun ist dieser Pollione keine
Bühnenfigur zum „Liebhaben“. Und Freddie De Tomaso
sang, als wollte er mit viel Krafteinsatz großen Sängervorbildern
nacheifern, wirkte dabei aber zu einförmig, mit seinem etwas breiten,
in der Höhe kaum aufblühenden Tenor. Vielleicht ein Pollione mit
Buchhalterseele? Vor diesem Hintergrund wird die Rettung Normas im
Finale schon wieder fast verzeihlich.
Oroveso ging in diesem „Konzept“ auf „Tauchstation“, so als wisse man
nicht mehr, wozu er gut sein soll. Zuerst darf er ein bisschen mit den
Wachmannschaften herumschubsen, wie Fussballspieler nach einem Foul.
Später ist er mehr „Chorist“ unter seinesgleichen. Tareq Nazmi
hat der Figur auch kaum Ausstrahlung verliehen, ein älterer,
würdevollerer Bass hätte nicht geschadet. Aber kann man hier noch fair
urteilen, wenn eine Figur durch die Inszenierung ins Abseits gedrängt
wird? Laut Libretto sollten sich Oroveso und seine Mannen in einem
heiligen Hain versammeln und in keiner überwachten Fabrikshalle. Im
ersten Fall würde sich Orovesos Auftreten viel würdevoller gestaltet
haben. Das hätte den Auftritt seiner Tochter Norma auch besser
vorbereitet: Norma blättert vor dem „Casta Diva“ an einem schäbigen
Tisch sitzend Listen durch, vielleicht mit den Namen der Arbeiterinnen
und Abeiter? Was für eine schwache szenische Lösung für das
„Entree“ einer der schillerndsten Bühnenfiguren der Operngeschichte!
Der Arnold Schönberg Chor war mit all seiner darstellerischen und
gesanglichen Anpassungsfähigkeit in die verordnete Rolle von
Farbriksarbeitern geschlüpft. Die Wiener Symphoniker unter Francesco Lanzillotta
hätten mehr an der Dynamik feilen sollen, die schwebende Sinnlichkeit
von Bellinis Musik wurde zugunsten einer dramatischen Zuspitzung ganz
im Sinne des szenischen Konzepts „vulgarisiert“. Die Latte für die
kommende Staatsoperpremiere am Samstag liegt nicht allzu hoch.
Der Schlussapplaus lag bei rund zehn Minuten. Beim Auftritt des
Regieteams gab es ein paar Buhrufe. Dem starken Applaus nach zu
schließen ist die Aufführung recht gut beim Publikum angekommen.
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