FIDELIO

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Volksoper
25. Mai 2014
Premiere

Dirigentin: Julia Jones

Regie: Markus Bothe
Bühnenbild: Robert Schweer
Kostüme: Heide Kastler

Leonore - Marcy Stonikas
Don Pizarro - Sebastian Holecek
Florestan - Roy Cornelius Smith
Rocco - Stefan Cerny
Marzelline - Rebecca Nelsen
Jaquino - Thomas Paul
Don Fernando - Günter Haumer
1. Gefangener - Marian Olszewski
2. Gefangener - Woo-Chul Eun


„Leonore in der Vorstadthölle
(Dominik Troger)

Die Wiener Volksoper hat sich nach rund 70 Jahren Aufführungspause an Ludwig van Beethovens „Fidelio“ herangewagt – und das Ergebnis hat an diesem Premierenabend weder musikalisch noch szenisch überzeugt.

Regisseur Markus Bothe wird in einem Kurier-Interview (24. Mai 2014) mit dem Ausspruch zitiert, der „Fidelio” sei eine „Todesfalle für jeden Regisseur”. An der Volksoper konnte das Premierenpublikum Bothe zweieinhalb Stunden lang in dieser Falle zappeln sehen. Aber keine Sorge, als Schlusspunkt des Abends wurde nur der böse Pizarro guillotiniert.

Regisseur Markus Bothe und sein Bühnenbildner Robert Schweer siedelten den ersten Aufzug der Oper in einem mit weißem Zäunchen eingegrenzten Gärtlein an, dessen penetrant grüner Rasen als beständiges optisches Ärgernis wohl die spießige Kleinbürgerwelt von „Familie Rocco“ charakterisieren sollte (und stark an das beruhigend uniforme Ambiente amerikanischer Vorabendserien erinnerte). Im Bühnenhintergrund schaukelten weiße Wölkchen, von einem Gefängnis war keine Spur zu sehen. Allerdings leuchteten zwei signalfarbene Drehverschlüsse verdächtig aus dem Rasen – ein unterirdischen Tresor, eine Atombunkerschleuse, eine Tiefgarage? Nein, natürlich ein als Schrebergarten getarntes Hochsicherheitsgefängnis, ein begrüntes Guantanamo, eine heimlicher Strafvollzug im Keller so biederer Staatsbürger wie Familie Rocco es vorstellt plus den vermeintlichen Schwiegersöhnen.

In diesem Gärtlein, das nur die Bühnenmitte umfasste und rechts und links einigen Platz ließ, musste sich Marzelline beim Bügelbrett als blonde Tussi hysterisch den Annäherungsversuchen Jaquinos erwehren, der dazwischen auch mal rasch unter der Rasenklappe verschwand wie ein Rumpelstilzchen. Papa Rocco machte es sich bald darauf gemütlich, zog sein Jackett aus und ließ sein Goldkettchen blitzen, setzte sich und lehnte die Füße auf den Zaun, um zum Marsch No. 6 mit den Zehen den Takt zu schlagen. Dazu wurde ein Kaffeekränzchen abgehalten, dessen Tassen Marzelline praktischer Weise aus einem Karton fischte (zuvor hatte schon Florestan die Ketten in einem ähnlichen Karton angeliefert und sich dabei sehr bemüht, diesen umständlich über den Zaun zu heben, anstatt nach dem Gartentor zu suchen).

Da sitzt nun Familie Rocco beim Kaffee und eigentlich – so denkt der bildungsbürgerliche Zuschauer – müsste der böse Pizarro jetzt vorbeischauen, samt ein paar Wachen, die er schneidig kommandiert: „Drei Schildwachen auf den Wall!“ Aber Familie Rocco hat den Braten gerochen und ganz, ganz schnell das Kaffeekränzchen abserviert. Pizarro bekommt also doch keinen Kaffee, regt sich deshalb fürchterlich auf, und der Schildwachenchor singt dazu aus dem Orchestergraben (!!) – und dann soll Rocco Pizarro offenbar rasieren. Pizarro setzt schon dazu an, sich das Gesicht einzuseifen, unterlässt es aber doch. Die Sache mit Florestan scheint wichtiger zu sein.

Fidelio bekommt natürlich mit, dass es um den besagten Gefangenen geht, legt heimlich sogar mit der Pistole auf Pizarro an, entschließt sich aber, den Abend nicht vorzeitig zu beenden, sondern seine Arie zu singen. Jetzt kommt plötzlich Bewegung in die Bühne, das Gärtlein verschwindet, eine Art Gefängnis taucht auf, der Bühnenhintergrund wird aber dunkel, während Florestan ein bisschen Striptease macht, sich das Hemd auszieht und den shirtbedeckten Busen flach bindet. Wahrscheinlich soll dadurch angedeutet werden, dass Florestan eine Frau ist. Das Gärtlein taucht rechtzeitig wieder auf, damit die Gefangenen, einer nach dem anderen, durch die Schleuse ans Sonnenlicht marschieren können. Seltsam sind sie angezogen und kahlgeschoren, einer Mönchsversammlung ähnlich, die dann solange von dem weißen Zaun bewacht herumsteht, bis sie wieder gemütlich abtreten darf.

Dankenswerter Weise wurde nach der Pause dem Publikum das Gefängnis unter dem Rasen gezeigt und somit endlich klar gemacht, was da eigentlich wirklich abgeht in dieser Stadtrandsiedlung. Leider blieb die Personenführung oft unplausibel, und wozu Rocco die ganze Zeit einen Spaten mit sich herumschleppt, um ihn kein einziges Mal (!) zu verwenden – auch das ist eines der ungelösten Rätsel dieser Produktion. Der Kerker wurde auf der Drehbühne turmartig in die Höhe gebaut, Florestan natürlich ganz unten „verortet“. Rocco und Leonore steigen von oben abwärts, vorbei an ein paar halbtoten Gefangenen, singen vom „Graben“ und „Steinewegräumen“, ohne auch nur andeutungsweise eine derartige Tätigkeit auszuführen, und scheinen panische Angst davor zu haben, länger als notwendig bei Florestan zu verweilen. Nein, kaum sind sie unten, steigen sie wieder in den „ersten Stock“ des Gefängnisturms hinauf, Rocco leuchtet immer mit einer Taschenlampe, damit sie nicht stolpern; Leonore holt Wasser, steigt zu Florestan hinunter, steigt wieder in den ersten Stock, steigt wieder mit einem Stück Brot hinunter – viele sinnlose Bühnenkilometer werden hier absolviert.

Rocco zeigt dann Mumm und kommt Leonore zu Hilfe, bedroht den tatentschlossenen Pizarro ebenfalls mit einer Pistole. Das anschließende „Oh namenlose Freude“ wird zu einer Technikdemonstration der Drehbühne genützt, singend marschieren Florestan und Leonore stiegenaufwärts, während sich der Gefängnisturm dreht und dreht und dreht. Im Finale folgen weitere „Umkleidespielchen“, die befreiten Gefangenen schlüpfen in graue Anzüge, wohl um anzudeuten, dass ihre Freiheit auch nur ein Gefangensein in gesellschaftlichen Normen bedeutet. (Marzelline wehrt sich gegen das graue Gewand, und Jaquino kriegt sie offenbar nicht.) Ganz am Schluss wird Pizarro guillotiniert – zack! – und immerhin Florestan nicht abserviert.

Musikalischer Motor des Abends war Julia Jones am Pult, die das Orchester straff und ruppig durch die Letztfassung des Werkes ohne eingeschobene Leonoren-Ouvertüre führte, und viele Nuancen dabei flach bügelte. Das Finale wurde sehr forciert gespielt und gesungen, auch der Chor klang öfter zu inhomogen. Dazu kamen einige Unsicherheiten bei den Bläsern. Den Sängerinnen und Sängern blieb kaum Raum tiefere Empfindungen zu zeigen, beziehungsweise waren sie womöglich von der Aufgabe an sich schon stark gefordert. Das wenig überzeugende Resultat ließ sich zum Beispiel an der Marzelline von Rebecca Nelsen ablesen, deren an und für sich hübscher, aber schon recht leichter Sopran, hysterisch zugespitzt erklang, und die auch in ihrer Arie kaum Momente fand, um ihrer Liebeshoffnung etwas innigeren Ausdruck zu verleihen.

Roy Cornelius Smith begann mit einem leicht heiseren „Gott“, fing sich rasch, sang dann mit trockenem Timbre, um gegen den Schluss hin schon ziemlich ins Forcieren zu geraten. Marcy Stonika als Leonore schlug sich bei ihrem Hausdebüt wacker, der da und dort schon leicht flackrige Sopran der jungen Sängerin hatte einige Power, klang bei den Spitzentönen aber schon ein bisschen scharf – auch bei ihr zeigte sich die Tendenz, mit zuviel Druck zu singen. Emotionale Facetten konnte sie der Partie kaum abgewinnen. Die Frage, ob hier eine junge Sängerin nicht als Leonore verheizt wird, liegt einem auf der Zunge – auch wenn Stonika in einem Interview davon geschwärmt hat, wie toll und locker sie dramatische Partien zu singen vermag.

Sebastian Holecek ließ als Pizarro nichts „anbrennen“ – nun, bei seinem Bariton geht das schon, das ist sogar imposant, ergab aber insgesamt dann doch einen zu einförmig lospolternden Bösewicht. Der Rocco von Stefan Cerny passte im Aussehen nicht wirklich zum Rollenklischee und hatte gesanglich bei prinzipiell guter „Performance“ in der Tiefe zu wenig väterlichen Rat zu bieten. Die Regie machte aus ihm einen „g’raden Michel“ – dafür wurde Jaquino zum Verräter und unsympathischen Karrieristen aufgebaut, Thomas Paul schlug sich stimmlich gut; zu blass in Spiel und Gesang geriet der Minister von Günther Haumer.

Auf der Galerie waren viele Sitzplätze leer geblieben – und den verstreuten, aber deutlichen Buhrufen, die die Regie ausfasste, wurde nicht gerade heftig widersprochen. Ansonsten gab es gar nicht sooo viel Applaus für eine szenisch ungenügende und musikalisch zu ungeschliffene Aufführung, die auch in der Darbietung der Dialoge schwächelte.