FIDELIO

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Theater an der Wien
9.8.2005
Erstfassung von 1805

Dirigent: Bertrand de Billy
Inszenierung: G.H. Seebach
Bühne: Hartmut Schörghofer
Kostüme: Klaus Bruns
Licht: Kurt Schöny
Choreinstudierung: Erwin Ortner/Ottokar Prochazka

Orchester: RSO Wien
Arnold Schönberg Chor

Eine Produktion des Klangbogen Wien
(Premiere 5.8.05)

Don Fernando - Ralf Lukas
Don Pizarro - Gerd Grochowski
Florestan - Kurt Streit
Leonore - Camilla Nylund
Rocco - Peter Rose
Marzelline - Brigitte Geller
Jaquino - Dietmar Kerschbaum
1. Gefangener - Thomas Ebenstein
2. Gefangener - Markus Raab



200 Jahre Fidelio

(Dominik Troger)

„Same station“, aber nicht „same time“: 200 Jahre nach der Uraufführung steht Beethovens erste Fidelio-Fassung wieder auf dem Spielplan des Theaters an der Wien. Der „große Wurf“ ist dem Wiener Klangbogen Festival mit dieser Produktion aber nicht gelungen.

[1] Interessant ist es allemal, einen Blick in Beethovens „Opernwerkstatt“ zu werfen. Die Erstfassung des „Fidelio“ ist dreiaktig – und behandelt die Verhältnisse im Hause Rocco weniger kursorisch als die Letztversion. Dadurch gewinnen Marzelline, Rocco, Jaquino an Profil. Allerdings harmoniert die Singspielhandlung nur bedingt mit den hehren Ansprüchen des Beethoven'schen Humanitätsideals. Man kann das auch daran ersehen, was in der heute gängigen Fassung aus dem Jahre 1814 davon übrig geblieben ist: der utopisch anmutende Anspruch der befreienden Gattenliebe hat sich über die einfachen Wünsche nach häuslichem Glück deutlich hinweggesetzt. 1805 währte das Singspiel immerhin einen Akt lang, Pizarro erschien erst im zweiten.

[2] Opernhistorisch betrachtet ist in diesem „Ur-Fidelio“ sowohl die Entwicklung der deutschen Spieloper als auch die des Musikdramas in Wagner'schem Sinne angelegt. Der „homogene Opernkosmos“, den Mozart durch seine Musik noch zusammengehalten hat, ist so disparat geworden, wie die schroffe, schicksalshafte Leonore II, die als Ouvertüre der Urfassung des Fidelio vorangeht – und das muss auch heute noch Auswirkungen auf jede Aufführung haben. Wie heldisch sollen/dürfen/können Fidelio und Florestan an die Partien herangehen? Wieviel „Singspiel“ gesteht man einer Aufführung zu? Die szenische Auflösung ist ohnehin problematisch, wird durch die von Marzelline, Jaquino und Rocco vermehrt zur Schau gestellte Häuslichkeit nicht gerade erleichtert.

[3] Der forsche Einstieg mit der Leonore II macht es für den folgenden Singspiel-Akt doppelt so schwer. Das biedere Duett zwischen Marzelline und Jaquino, das hier erst als Nr. 2 nach Marzellines Arie („O, wär ich schon mit dir vereint“) folgt, ist meilenweit vom anspruchsvollen Gestus der Ouvertüre entfernt. Und auch Fidelio sieht sich vor der Herausforderung, in beiden Welten bestehen zu müssen: eineinhalb Akte als Liebesobjekt Marzellines und eineinhalb Akte als liebende, durchsetzungskräftige Gattenbefreierin. Da gibt es beispielsweise im zweiten Akt ein Duett zwischen Marzelline und Fidelio („Um in der Ehe froh zu leben“, Nr. 10), ein hübsches Stück Musik in der Mozartnachfolge, erfrischend natürlich im Wechselspiel zwischen solistischem Violin- und Celloeinsatz, das später ebenfalls Beethovens Fidelio-Revision zum Opfer gefallen ist.

[4] Für diese Aufführung hatte man SängerInnen verpflichtet, die eher einem mehr Mozart zugewandten Stilempfinden nacheifern – was der fortschrittlichen Musikdramatik der Kerkerszenen und des Schlussbildes weniger zu Gute kam. Vor allem Florestan wurde, so mein Eindruck, damit kein guter Dienst erwiesen. Mozartspezialist Kurt Streit, eben noch gefeierter Lucio Silla, entledigte sich der Aufgabe mit viel Geschick, der auflodernde Beethoven’sche Impetus blieb ihm jedoch versagt. Dazu kam die wenig hilfreiche Regie, die Florestan ein Bad in knöcheltiefem Wasser verordnet hatte: ein zisternennahes Kerkerloch für tenorale Wasserspiele. Außerdem erwies sich die Musik – von Bertrand de Billy am Pult geschürt – als stürmische Bannerträgerin von Beethovens Aufklärungspropaganda und weckte bei den Zuhörern heldische Ansprüche, die leider weder Florestan noch Fidelio (Camilla Nylund) einzulösen im Stande waren. Nybergs Fidelio gelang zwar der stilistische Spagat zwischen Koloratur und Musikdrama, wirklich sieghaft und strahlend wurde es im dritten Akt dann aber doch nicht.

[5] Die Singspielqualitäten des Werkes wurden wenig genützt. Das Orchester spielte mehr zügig als pointiert, dynamisch wenig abgestuft, und übte sich den ersten Akt lang im oberflächlichen Dahineilen. Format gewann die Aufführung für mich erst ab Mitte des zweiten Aktes, jedenfalls ab der großen Arie des Fidelio. Da schälten sich langsam aber sicher die Konturen eines packenden Musikdramas heraus, das de Billy mit viel theatralischem Spürsinn schließlich in ein mitreißendes Finale steuerte. Schade wars trotzdem um Beethovens musikalische Charakterzeichnungen, die auch für Marzelline und Rocco, ja selbst für Jaquino, einiges bereithalten. Ich denke da nicht nur an Roccos goldlüsterne Arie, die bei dem Kerkermeister auch eine gewisse Raffgierigkeit enthüllt. Denn so harmlos sind diese Singspielfiguren nicht, wie man meinen könnte. Beethoven gesteht ihnen durchwegs moralische Qualitäten zu (etwa, wenn Rocco Pizarros „Geld-gegen-Mord-Angebot“ ablehnt).

[6] Insgesamt erfüllte die Besetzung die Anforderungen eines anspruchsvollen Sommerfestivals, auch im Vergleich mit den letzten Jahren. Für das 200 Jahr Jubiläum der „Fidelio“-Uraufführung hätte ich mir jedoch mehr gewünscht: einen weicheren, volleren Singspielton bei der Marzelline von Brigitte Geller; eine dämonischere Boshaftigkeit beim gut geifernden Pizarro (Gerd Grochowski), einen verschmitzteren und hintergründigeren Rocco (Peter Rose). Dietmar Kerschbaum gab gesanglich einen hübschen, von der Regie ein wenig als Faktotum gezeichneten Jaquino; Ralf Lukas war ein würdiger Minister. Aber der Weg zur prägnanten Bühnenpersönlichkeit ist weit – und die Regie hatte sichtlich wenig Hilfestellung geleistet. Jubiläumsreif war der Arnold Schönberg Chor.

[7] Ein paar Anmerkungen zur Inszenierung müssen sein. Regisseur G.H. Seebach war der positive Schluss des „Fidelio“ ein Riesendorn im Auge: beide Gatten kriegen sich wieder, was ist das nur für ein schrecklich naives Happy-end. Seebach nimmt das Publikum bei der Hand und erklärt ihm, dass das nur eine Utopie sei, Beethovens Hoffnung auf eine bessere Welt. Man brauche nur nach da und dort zu schauen, zum Beispiel in den Irak, um zu sehen, was es mit solchen Hoffnungen auf sich habe. Und deshalb lässt er den befreiten Florestan von dem plötzlich zurückkehrenden Pizarro kidnappen: schwarze spitzhütige Maske über das Gesicht und ab mit ihm – Leonore bleibt allein zurück. Das Publikum belohnte diese Aufklärungsarbeit auch in der zweiten Aufführung mit deutlichen Buhrufen, die Bravos kamen erst mit dem Erscheinen des Ensembles zum Schlussapplaus.

[8] Eventuell hätte man diese Schlusspointe stillschweigend zur Kenntnis genommen, wäre Seebach im Laufe des Abends nicht immer wieder ins Fettnäpfchen einer Bildersprache getreten, die als theatralisches Abziehbild realer Vorgänge und in den Medien breitgetretener Fotos nur mehr lächerlich wirken konnte. Sobald das Theater reale Dinge nachstellt, sitzt es zwangsläufig auf dem kürzeren Ast. Wenn Seebach auf der Bühne Folterfotos von irakischen Gefangenen unter US-„Obhut“ zitiert, dann tritt er in Wettbewerb mit einer Wirklichkeit, die viel grausamer ist, als es eine Aufführung von Beethovens „Fidelio“ jemals sein könnte – und, nicht zu vergessen, das Publikum weiß sehr genau zwischen Theater und Wirklichkeit zu unterscheiden. Jedes „authentische Foto“ hat mehr Gänsehautpotential als ein armer gefolterter Statist, dem im Halbdunkeln ein Ohr abgeschnitten wird (natürlich „in unecht“). Solcher „Realismus“ wirkt leicht unkreativ und provinziell. Auch bei Florestans gefluteter Kerkerzelle, wenn es den armen Gefangenen spastisch vor Kälte schüttelt, wurde mir die Diskrepanz des Dargestellten zum wohltemperierten Theatersaal schnell zu groß. Das Theater ist kein Kino, sondern ein symbolischer Raum, der nach eigenen Gesetzen funktioniert – die Oper in ihrer ganzen Künstlichkeit der Darstellungsform („gesungene (!) Sprache“) sowieso.

[9] Das teils mit modernen Ingredienzen versehene Bühnenbild ergab zusammen mit den historischen Kostümen ein nicht störendes, aber auch nicht begeisterndes Stilgemisch. Den ersten Akt beherrschte Roccos Familienidylle (unter einem Aquarium hat er seine Schätze versteckt, ein hübscher Zug ins Spießbürgerliche) – und dass sich im zweiten Akt ein Gefängnisraum mit blutbeschmierten Wänden öffnet, kann man nicht als Themaverfehlung werten. Die meterhohe Spindwand, angefüllt mit den Kleidern der Häftlinge, war zwar nicht schön anzuschauen, aber nicht unpassend.

[10] Die Aufführung dauerte, inklusive einer Pause, drei Stunden. Bis auf die Buhrufe gleich am Schluss, gab es viel Applaus für alle Beteiligten. Weitere Temine: 11.8, 16.8., 18.8.