FIDELIO

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Staatsoper
16. Dezember 2025
Premiere

Dirigent: Franz Welser-Möst

Inszenierung: Nikolaus Habjan
Bühne: Julius Theorod Semmelmann
Kostüme: Denise Heschl
Figurenbauer: Bruno Belil
Licht: Franz Tscheck
Video: Judith Selenko


Leonore - Malin Byström
Florestan - David Butt Philip
Don Pizarro - Christopher Maltman
Rocco - Tareq Nazmi
Marzelline - Kathrin Zukowski
Jaquino - Daniel Jenz
Don Fernando - Simonas Strazdas
1. Gefangener - Daniel Lökös
2. Gefangener - Panajotius Pratsos

Puppenspieler: Manuela Linshalm, Max Konrad,
Angelo Konzett, Alexandra Pecher


„Verpuppter Fidelio
(Dominik Troger)

Das Aussortieren bewährter Produktionen an der Wiener Staatsoper geht munter weiter. Jetzt hat es den Otto Schenk’schen „Fidelio“ erwischt. Nikolaus Habjan durfte mit seinen Puppen Beethoven an die Hand gehen. Das Ergebnis war nicht frei von Banalitäten und hat vor allem eine Frage aufgeworfen: Sollte es im „Fidelio“ nicht zuallererst um Menschen (!) gehen?

Aber das ist Theater, wird man jetzt sagen – und Nikolaus Habjan arbeitet eben mit Puppen. Doch den im Kerker darbenden Florestan als Puppe zu zeigen und den Sänger schwarz gekleidet daneben zu stellen, damit er dieser Puppe (!) seine Stimme leihe, entpersonalisiert die Bühnenfigur. Florestan als Puppe ist eine Verniedlichung seines kreatürlichen Aufschreis mit dem Beethoven Kerkerschmerz und Befreiungsvision beschwört. Sie enthebt den Sänger und das Publikum des Mitgefühls.

Welchen Mehrwert haben dann also diese beiden Puppen? (Habjan hat sich glücklicher Weise auf eine Leonoren- und eine Florestan-Puppe beschränkt.) Bedarf der „Fidelio“ einer Abstraktionsbene? Bedürfen Leonore und Florestan überhaupt eines Alter Egos? Lenken diese Puppen nicht vor allem ab? Entziehen sie nicht den beiden Bühnenfiguren die Aufmerksamkeit des Publikums? Wurde es im kleinen Bühnenkerker dann nicht schon fast zu eng vor lauter Personal: Rocco, Pizarro, Florestan, Leonore, die Puppen, die Puppenspieler? Und diese beiden Puppen waren nicht von der Bühne zu kriegen, drängten sie sich wie ein Fremdkörper in diesen jubelnden Aufschrei zweier Menschen (!!): „Oh namelose Freude!“

Otto Schenk ist es damals gelungen (und das ist über fünfzig Jahre her) solche Emotionen ohne „Schnickschnack“ zu visualisieren, ohne dabei in Pathos zu verfallen oder szenische Banalitäten abzusondern – und nur weil etwas „alt“ und „schlicht“ aussieht, muss es noch lange nicht „unzeitgemäß“ und „schlecht“ sein. Schenk hat zum Beispiel aus dem Auftritt des Gefangenenchors ein kleines intensives „Drama“ gemacht: Die Gefangenen kommen nach und nach auf die Bühne, sie können zuerst gar nicht glauben, dass sie ans „Sonnenlicht“ dürfen – umso größer ist ihr Schmerz, wenn sie wieder zurück in den Kerker müssen. In dem der Chor diese Szene nachspielt, vermittelt er zugleich auch visuell viel stärker die Emotionen der Gefangenen, lässt er das Publikum an ihrem Schicksal teilhaftig werden, ganz im Sinne der Musik. In der neuen Inszenierung stehen die Gefangenen in Zellen, die in einer flachen Bühnenwand in Stockwerken übereinander angeordnet sind. Eine komplexe Chorregie hat sich der Regisseur damit erspart, aber es wirkt dann auch so: nüchtern, ohne das Geheimnis dieses Sonnenlichts zu beschwören, mit dem Beethoven sein Hoffnungsmoment auf die Gefangenen überträgt – so wie plötzlich Licht durch dichten Nebel bricht.

Oder der Auftritt Pizarros: Bei Habjan wird er in eine Pressekonferenz über „automatisierte Gefangenenlogistik“ umgedeutet, sogar mit kurzer Videoeinspielung garniert, abgehalten vor vielen Journalisten. Schenk hat hingegen Pizarro und seine abgrundtiefe Bosheit in den Mittelpunkt gestellt, ganz ohne Ablenkung, die Wachen hielten sich in respektvollem Abstand. (Die Depeschen wurden von Habjan gestrichen.). Und dann erst das Schenk‘sche Finale: eine breite Zugbrücke senkt sich herab, das Volk samt Minister begrüßen jubelnd Leonore und Florestan, die wieder vereint sind. Das Bühnengeschehen wird zu einem sinnstiftenden Akt der Befreiung und der erfüllten (!) Hoffnung – ganz so wie es Beethovens Musik in ihrem jubelnden Bekenntnis ausformuliert. Aber Otto Schenk hat eben Beethovens naiver Humanität vertraut.

Nun hat Habjan zwar bei diesem Finale Anleihe genommen, aber den Fehler begangen, dass die meiste Zeit die Bühne von dieser „Gefängniswand“ begrenzt bleibt, erst ganz am Schluss teilt sie sich und gibt den Blick auf eine viele Meter hohe Statue frei, die wahrscheinlich Leonore darstellen soll, schlank gebaut und mit zu einer „Anbetungsgeste“ erhobenen Armen. Dazu geht das Licht im Zuschauerraum an – und an solchen überflüssigen Details erkennt man, wie sehr sich das Regieteam mit dieser Neuinszenierung geplagt hat. Die neuen Dialoge (Fassung: Paulus Hochgatterer) sind über weite Strecken ohnehin nur eine Adaption des Librettos, für die es keinen eigenen Autor gebraucht hätte – ein versierter Hausdramaturg müsste das „im Schlafe“ bewerkstelligen. Und als sich der als widerlicher Handlager Pizarros beweisende Jaquino über „Gutmenschen“ ereiferte, war förmlich zu hören, wie das Publikum aufstöhnte, von solch „korrektem“ Zeitbezug gequält.

Das Bühnenbild war zum Teil praktikabel, allerdings hat eine weit herabgezogene Blende am Portal die Sicht in die Bühnentiefe von der Galerie Seite in einigen Szenen eingeschränkt. Am Beginn sieht man Marzelline mit Wäsche der Gefangenen hantieren, wobei es sehr automatisiert zugeht. Jaquino reißt sie einmal an den Haaren, damit jeder im Zuschauerraum weiß, wie böse er ist, und wie arm Marzelline, wenn sie den Kerl heiraten muss. Die Wohnung Roccos ist hellbraun (offenbar mit Holzmöbeln verbaut) und gepflegt. Als Häppchen stehen Gugelhupf und Punschkrapferl auf dem Couchtissch bereit – offenbar als Chiffre für kleinbügerliche Verhaltensweisen. Das Kerkerbild ist vom Bau an und für sich gut gelöst, aber es wird nicht die ganze Bühnenbreite genützt. Zumindest ist gut erkennbar, dass Florestan ganz tief im „Keller“ versteckt ist.

Das alles summierte sich samt dem musikalischen Part zum Eindruck eines empathielosen „Unpersönlichen“. Das begann schon beim Dirigat von Franz Welser-Möst, der im Graben einen harschen Ton Anschlug, sehr strikt durch die Vorstellung führte, um sich in einer rasanten Schlusssteigerung fast selbst zu überholen. Die Leonore III, für deren Einbeziehung in die Produktion sich der Dirigent dankenswerter Weise stark gemacht hat, erstand in aller Brillanz. Doch – hat sie berührt?

Aber waren die aufgebotenen gesanglichen Kräfte, die in Summe nicht den Eindruck eines erlesen und durchwegs rollengerecht besetzten Premierenabends aufkommen ließen, überhaupt in der Lage zu berühren? Wie sollte Leonorens große Arie zu Wirkung kommen, wenn sich Malin Byström um ihre Ausführung viel zu sehr „bemühen“ musste und insgesamt zu ungeschliffen Leonorens Liebe und Treue besang? Welchen Eindruck hinterließ der Florestan von David Butt Philip, der zu allererst ein so halb verzittertes „Gott“ von sich gab, dass man meinte, seine Nervosität zu spüren, und der dann weiter mit „engem“, angestrengtem Tenor sein sängerisches Glück zu machen suchte? Welches Bedrohungspotential entwickelte Christopher Maltman als Pizarro, der vor allem den Eindruck eines Schreibtischtäters hinterließ? War ihm zuzutrauen, in einem finsteren Kerker seinen Widersacher zu meucheln?

Welche Wirkung erzielte der etwas flachbassige Rocco des Tareq Nazmi, der in der Goldarie noch dazu von der Regie angehalten wurde, wie ein Schmierenkomödiant aus jeder Kulissenecke ein Goldketterl oder ähnlichen Plunder herauszukramen, um sie dem Publikum als Beweis seiner Geldgier vor die Augen zu halten? Auch Kathrin Zukowski hat sich am Haus schon überzeugender präsentiert als dieses Mal, mit einer von etwas angespanntem Sopran gekennzeichneten Marzelline. Bleibt noch Daniel Jenz als rollenkonformer Jaquino, von der Regie als „rechter“ Kollaborateur entlarvt. Der Minister war nicht ganz die Sache von Simonas Strazdas, aber der hatte zumindest eine kräftige Stimme. Die Problematik für den Chor wurde bereits erwähnt.

Die Missfallensbezeugungen für die Regie hielten sich in Grenzen, waren zum Teil auch zu schwach, um zur Bühne durchzudringen. Die kräftigen Buhrufer im Stammpublikum hatten es offenbar vermieden, sich diese Premiere anzutun. Der Schlussapplaus brachte es auf zehn oder elf Minuten – und das hat in Anbetracht der mangelnden Premierenqualität dieses neuen „Fidelio“ dann doch überrascht. Aber vielleicht ist man letztlich auch dafür dankbar gewesen, dass die Oper szenisch nicht bis zur „Unkenntlichkeit“ entstellt worden ist. Dafür gibt es inzwischen ja genug Beispiele – auch an der Wiener Staatsoper.