FIDELIO (Urfassung) |
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Staatsoper Dirigent:
Tomàs Netopil |
Leonore - Jennifer
Davis |
Die dritte Premiere der laufenden Spielzeit an der Wiener Staatsoper galt Ludwig van Beethovens „Fidelio“-Erstfassung aus dem Jahr 1805. Das Haus am Ring gönnte sich sogar den Luxus einer szenischen Produktion und den Programmzettel schmückte der Hinweis: „Erstaufführung an der Wiener Staatsoper“. Für das Wiener Opernpublikum ist diese Urfassung nichts Neues: Das Theater an der Wien hat in den letzten Jahren sogar alle drei Fassungen des „Fidelio“ gespielt. Die Erstfassung stand an der Weinzeile szenisch im Jahr 2005 und konzertant im Jahr 2017 auf dem Spielplan, die Zweitfassung von 1806 konzertant im Jahr 2016. Das Fazit dieser Bemühungen lautet: Es besteht wohl kein Grund zur Annahme, dass die Letztfassung von 1814 ihren bevorzugten Platz im Repertoire verlieren wird. An der Wiener Staatsoper hat man es freilich geschafft, mittels der szenischen Lösung von Amélie Niermeyer den Blick auf die Urfassung dermaßen zu verstellen, dass man schon fast von Etikettenschwindel sprechen muss. Wer zum Beispiel die Inhaltsangabe des Staatsopern-Programmheftes zu dieser Neuproduktion aufschlägt, der wird dort ohne erläuternden Hinweis erfahren, dass sich die Figur der Leonore durch die Entführung Florestans traumatisch bedingt in zwei Personen aufspaltet (auf der Bühne von einer Sängerin und einer Schauspielerin dargestellt), dass die Figur mit sich einen inneren Dialog führt, dass Pizarro Leonore ersticht (!!!), und dass Leonore das Finale mit der Befreiung Florestans als „utopische Todesvision“ erlebt. Wenn sich Leonore und Florestan zur Ouvertüre sektlaunig auf der Bühne im Bett vergnügen, Florestan dann hinter einer Türe verschwindet, um nicht mehr aufzutauchen, und die zuerst lüsterne, dann besorgte Leonore dort ein blutiges Hemd findet, ja dann ahnen die Besucher schon, was an diesem Abend auf sie zukommen wird: Opernregie als banalisierender „Soap-Opera-Abklasch“, der in diesem Fall noch von einer neu verfassten, mit zeitgeistigen und sonstigen Platitüden angereicherten Dialogfassung von Moritz Rinke ergänzt wird. (Immerhin weiß das Publikum jetzt durch dieses Leonoren-Selbstgespräch: „Das ist Pizarro. Das ist dein Feind.“) Das Ganze war zudem handwerklich und dramaturgisch schlecht gelöst: Die einzelnen Musiknummern standen oft beziehungslos nebeneinander, weil der neu erfundene innere Dialog den Handlungsfaden kappte, die Personenregie wirkte oft unbedarft, die Leerräume der Bühne wurden mit allerhand Beiwerk gefüllt (antransportierte Gefangene, Essensausgabe etc.). Zum Duett zwischen Marzelline und Leonore erschien Marzelline plötzlich in einem Brautkleid und durfte Leonore ein wenig begrapschen. Es gab viele unmotiviert wirkende Auf- und Abtritte und die Hallenbeleuchtung wurde ebenso unmotiviert mal heller und mal dunkler geschaltet, Florestan wurde bei seiner Arie sogar vom Rund eines Suchscheinwerfes lauernd umkreist. Geradezu peinlich gestaltete sich die Inszenierung nach der Pause im dritten Akt: Die erstochene Leonore muss an der Rampe mit blutiger Bluse noch das ganze Finale „überleben“, während ihr zweites Ich, also die Leonoren-Schauspielerin, keck mit Florestan „flirtet“. Dann tritt der Chor in Glitzerkostümen (!) auf, und der Minister überreicht aus unerfindlichen Gründen der Schauspielerin-Leonore einen Blumenstrauß. Beide Leonoren geben sich ganz entsetzt und abwehrend, als das „Wer ein solches Weib errungen“ anhebt, weil das eine, so die Regisseurin im Programmheft „extrem schwierige Textpassage“ sei, da die Gesellschaft gerne große Ideen vereinnahme und entwerte. Schlussendlich sind beide Leonoren tot – und der Vorhang fällt nach drei Stunden, die man besser bei einem gediegenen Abendessen verbracht hätte. Musikalisch war der Abend auch kein „Glücksfall“: der Sopran von Jennifer Davis (Leonore) war von starkem Oszillieren geprägt und bewegte sich an der Grenze zur Überforderung. Chen Reiss erwischte wohl auch nicht gerade ihren besten Tag, die Stimme klang vor allem in der Höhe forciert und wenig klangschön. Thomas Johannes Mayer hatte mit dem Pizarro viel Mühe und war neben der Regie der weitere ganz große Schwachpunkt des Abends, aber auch der Minister von Samuel Hasselhorn „schwächelte“. Jörg Schneider bot als Jaquino gesanglich die homogenste Leistung, gefolgt von Benjamin Bruns als Florestan, dessen Tenor in forcierten Passagen aber schon ein wenig unstet und leicht grellfärbend klang. Falk Struckmann war in früheren Karrierejahren ein ganz böser Pizarro, als solider Rocco fehlte ihm die Tiefe und jener leicht „schmähhafte“ Charme eines subalternen Beamten – aber der war in dieser Inszenierung ohnehin nicht gefragt. Am Staatsopernchor lag es nicht, dass der Abend insgesamt einen so überraschend mäßigen Eindruck hinterließ. Das Staatsopernorchester ging phasenweise recht forsch zur Sache, konnte mit ambitioniertem Spiel den Abend auch nicht retten. Die Singspielhandlung ging in dem szenischen Stückwerk unter. Thomás Netopil am Pult vermittelte zudem nicht den Eindruck, dass er zu dieser eine besondere Affinität verspüren würde. Außerdem hat die Inszenierung die Schwächen der Fassung – wie eine gewisse Langatmigkeit – nur noch verdeutlicht. Das Publikum bedankte sich beim Regieteam mit einem nahezu einhelligen Buhorkan – da gab es kaum Bravorufer, die sich zur Rettung von Niermeyer & Co berufen fühlten – und der Applaus wäre nach keinen fünf Minuten verebbt, wenn nicht eine Handvoll Klatscher noch einmal das Sängerteam vor den Vorhang geholt hätten. Fazit: Das war keine Werbung für die Urfassung des „Fidelio“. |