FIDELIO

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Staatsoper
29. April 2019

Dirigent: Adam Fischer

Leonore - Anne Schwanewilms
Florestan - Brandon Jovanovich
Don Pizarro - Thomas Johannes Mayer
Rocco - Wolfgang Bankl
Marzelline - Chen Reiss
Jaquino - Michael Laurenz
Don Fernando - Clemens Unterreiner
1. Gefangener - Dritan Luca
2. Gefangener - Ion Tibrea


„Fidelio mit großen Schwächen
(Dominik Troger)

Bevor nächste Saison das Beethoven-Jahr auch die Erst- und Zweitfassung des „Fidelio“ auf die Wiener Opernbühnen hieven wird, konnte man sich in der Staatsoper noch einmal ganz ohne „Jubiläumsstress“ von der Qualität der Letztfassung überzeugen.

Das mit den „Fidelio“-Fassungen ist eine Wissenschaft für sich. Füllt nicht schon die Frage, ob man die „Goldarie“ spielen oder streichen soll, Bibliotheken? Auch über die Interpretation lässt sich trefflich streiten. Nikolaus Harnoncourts Tempowahl zum Beispiel oder seine Meinung, er höre in der Orchesterbegleitung der „Goldarie“ Roccos Wahnsinn „klimpern“.

Die Otto-Schenk’sche-Staatsoperninszenierung weiß davon natürlich nichts, stammt sie doch aus einer Zeit, als der „Fidelio“ noch nicht auf die Streckbank der Dramaturgen gespannt worden ist. Und Wolfgang Bankls Rocco ist auch kein „Wahnsinniger“, sondern er verkörpert die Figur mit einem „Wienerischen Schmäh“, der sich von einem Papageno vor allem durch die Berufswahl unterscheidet. Bankl stellte den Rocco passender Weise als Figur des Singspiels auf die Bühne, und nicht als Vollzugsbeamten gefängniswärterischen Grauens – aber stimmlich hätte dieser Rocco für meinen Geschmack noch eine gute Portion „profunder“ ausfallen können.

Aber immerhin sorgte seine Tochter für die gesanglich profilierteste Leistung des Abends. Der Sopran von Chen Reiss besitzt allerdings eine melancholische Tönung, die Beethovens Hoffnungspathos ein wenig unterläuft. Schon in der Szene mit Jaquino war diese Marzelline mehr verdrossen als keck – auch wenn sie Jaquino behe(ä)nde mit Bügelwasser anspritzte. Jaquino selbst wandelte etwas unbeholfen auf Freiersfüßen. Michael Laurenz zeigte Jaquino mehr von der tollpatschigen Seite, mit noch etwas mehr Geschmeidigkeit erfordernden lyrischen Tenor versehen. Dass er sich eine Blume hinters Ohr gesteckt hat und diese samt Eheantrag Marzelline offeriert, ist, wie mir scheint, eine neue Idee. (Diese erste Szene ist übrigens ein Beispiel für angewandte Logistik in der Oper – und die Pakete sind seit damals sicher nicht weniger geworden.)

Anne Schwanewilms hätte 2016 ihr „Leonoren“-Debüt an der Wiener Staatsoper geben sollen, musste damals aber krankheitsbedingt absagen. Inzwischen hat sich die Sängerin stark auf den Liedgesang konzentriert. Auch ihre Leonore wurde mehr liedhaft als operndramatisch gestaltet. Diese, über weite Strecken erfolgreiche gesangliche „Risikominimierung“ hat die Figur um die großen Gefühle und um die Wirkung ihrer großen Arie gebracht. Immerhin konnten Opernenthusiasten noch ein paar schöne Piani mit nach Hause nehmen.

Thomas Johannes Meyer scheint derzeit stimmlich etwas angeschlagen, vielleicht haben der Orest plus dreimal Amfortas sein Organ ermüdet. Meyer kämpfte sich durch die bekannte Arie voller Rachegefühle und wird schlussendlich froh gewesen sein, die Vorstellung noch über die Runden gebracht zu haben.

Brandon Jovanovich sang einen „robusten“ Florestan – und hustete (viel zu) oft, um die Kerkerqualen des Gefangenen zu unterstreichen. Das „Gott“ führte er zu einem ungeschlachten Fortissimo, ein bisschen mehr an gesanglichem Feingefühl hätte nicht geschadet. Aber im Vergleich zu seiner Gemahlin und zu dem ihm bedrohenden Don Pizarro hatte Jovanovich keine offensichtlichen Stimmprobleme zu kaschieren oder zu bewältigen. Clemens Unterreiner war ein fescher Minister, stimmlich nicht so in Geberlaune wie gewohnt.

Der Staatsopernchor hat beim Gefangenenchor schon kompakter geklungen – aber in Summe war es Adam Fischer am Pult, der den Abend (und Anne Schwanewilms durch ihre große Arie) getragen hat. Was bei Fischer so überzeugt: dieser feste, warmtemperierte, „Klassizismus“ , der Beethoven als Nachfahre Mozarts und Haydns ausweist und im Klang und Ausdruck eine zu „romantische“ Überfrachtung vermeidet. Dazu gesellt sich eine natürliche Tempowahl, die die Singspielhandlung flott, aber nicht zu flott abhandelt, und die Spannung ohne „Manierismen“ auf- oder abbaut. Das sorgt für eine lebendigen Vortrag und für eine Leonore III, die schließlich mit Enthusiasmus ins „Ziel“ einläuft.

Der starke Schlussapplaus für die dritte Aufführung der laufenden Serie lag bei – gefühlten – fünf Minuten.