FIDELIO

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Theater an der Wien
24. Oktober 2017
Konzertante Aufführung

Dirigent: René Jacobs

Freiburger Barockorchester
Zürcher Sing-Akademie
(Ltg. Florian Helgath)

Leonore - Marlis Petersen
Florestan - Maximilian Schmitt
Don Pizarro - Johannes Weisser
Rocco - Dimitry Ivashchenko
Marzelline - Robin Johannsen
Jaquino - Johannes Chum
Don Fernando - Tareq Nazmi


„Fidelio in der Fassung von 1805
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien lud zu einer konzertanten Aufführung der Erstfassung des „Fidelio“ von 1805. René Jacobs stellte zusammen mit dem Freiburger Barockorchester seine Sicht der Dinge dem Wiener Publikum vor.

René Jacobs hat im Programmheft seine Einschätzung des „Fidelio 1805“ dargelegt. Kurz gesagt: Für ihn ist die Urfassung die gelungenste. Jacobs führt einige Gründe an, wobei vor allem der dramaturgische Aspekt ins Auge springt: Der „Fidelio“ bestand ursprünglich aus drei Akten, die Fassung von 1814 besitzt nur mehr zwei Akte. Der erste Akt war 1805 nur der Singspielhandlung im Hause Rocco vorbehalten gewesen, der Auftritt Pizarros und die dramatische Verschärfung der Situation erfolgte erst mit dem zweiten Akt. Auch der dritte Akt wirkt in der Erstfassung „dramatischer“. Leonore und Florestan bleiben im Kerker zurück, Rocco hat Leonore entwaffnet und geht mit Pizarro ab. Das Liebespaar hat das Trompetensignal gehört, weiß aber nicht, ob es die Rettung bedeutet. Die Spannung bleibt bis zum Auftritt des Ministers, der im Kerker erscheint, aufrecht.

Jacobs hat für diese konzertante Fassung die Dialoge bearbeitet, modernisiert und erweitert. (Nicht immer ganz glücklich wie ich finde, abgesehen von einzelnen Begrifflichkeiten – warum z.B. musste aus der „Vorsehung“ ein „Schutzengel“ werden – waren die Dialoge etwas zu lange und „erklärend". Marzelline trällerte am Beginn das Beethoven-Lied „Zärtliche Liebe“. Damit wollte Jacobs wahrscheinlich Marzellinens Arie vorbereiten, die in dieser Fassung bekanntlich als erste Nummer gegeben wird). Entscheidend ist aber, dass er die Dialoge als wichtiges Element für das Verständnis der Handlung bewahrt hat, um einen geschlossenen Gesamteindruck zu erzielen.

Musikalisch hat Jacobs einen sehr detailfreudigen Zugang gefunden und versucht, zusammen mit dem Freiburger Barockorchester, die Partitur wirklich durchhörbar zu machen, sowie auch dynamisch viele Schattierungen herauszuarbeiten. Das wurde schon in der eingangs gespielten zweiten Leonoren-Ouvertüre deutlich. Die Violinen waren im Klang reduziert, die Bässe traten stärker hervor, die reichhaltige Bläserinstrumentation war sehr deutlich herausgearbeitet und kam sehr gut zur Wirkung. Die Tempi waren teilweise recht flott gewählt (die ersten beiden Nummern viel zu schnell). Jedenfalls bot dieser Abend eine gute Gelegenheit, den „Fidelio 1805“ als „eigenständige“ Oper kennenzulernen, die sich von der Letztfassung auch in vielen musikalischen Details deutlich unterscheidet.

Diese Unterschiede betreffen nicht nur gestrichene Arien, sondern zum Beispiel auch gestrichene Koloraturen in der großen Arie der Leonore oder die „visionslose“ Florestanarie. Der „Fidelio 1805“ sperrt sich noch, wenn man das so ausdrücken kann, gegen die in der späteren Fassung vorgenommene Idealisierung Leonorens und des damit verbundenen Humanitätsideals, zu dem für heutige Exegeten die Reste der Singspielhandlung um Marzelline nicht mehr zu passen scheinen. (Sie passt auch nur mehr bedingt, weil sie dramaturgisch zu lückenhaft übernommen worden ist.)

Die Aufführung fand in den militärischen Tarnfarbenkulisse der aktuellen „Wozzeck“-Produktion des Theaters an der Wien statt – die zugezogene Brechtgardine als Hintergrund. Dieses Ambiente war für die Gefängnisatmosphäre des „Fidelio“ nicht unpassend. Die Sängerinnen und Sänger sangen auswendig. Leonore trat mit Jeanskappe als „Bursche verkleidet“ auf, Florestan kam mit bloßen Füßen und gefesselten Händen auf die Bühne und musste auf einem Schemel sitzen. Im Zuge der Befreiungstat ging Leonore sogar zu Boden – es war also eigentlich schon eine szenische Aufführung, die mit sehr einfachen Mitteln umgesetzt worden ist. Das Programmheft weist keine Regie aus.

Marlis Petersen sang die Leonore. Als „geborene“ Singschauspielerin war sie in diesem abgespeckten Bühnensetting ideal eingesetzt. Die Partie der Urfassung kommt ihrer Stimme entgegen, weil sie eines lyrischeren und flexibleren Soprans bedarf. Maximilian Schmitt sang mit einem schon ins Zwischenfach hineinwachsenden, hellen Tenor den Florestan. Mit schlankem, aber mächtigem Bass war Tareq Nazmi ein angenehm klingender Don Fernando, der sich Gehör zu verschaffen wusste. Johannes Chum sang den Jaquino mit bewährtem (Spiel-)tenor, die Marzelline der Robin Johannsen hätte noch ein bisschen „sopranduftiger“ ausfallen können. Dimitry Ivashchenko steuerte einen jugendlich-rüstigen Rocco bei, der Pizarro des Johannes Weisser wirkte vor allem in den Dialogen noch nicht so richtig befehlsgewohnt. Die Zürcher-Singakademie bewährte sich als Gefangene und Volk.

Das Publikum im (geschätzt) zu zwei Drittel gefüllten Theater an der Wien spendete knapp sieben Minuten lang Schlussapplaus.