FIDELIO

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Staatsoper
24. Mai 2017

Dirigent: Cornelius Meister

Leonore - Camilla Nylund
Florestan - Peter Seiffert
Don Pizarro - Albert Dohmen
Rocco - Günther Groissböck
Marzelline - Chen Reiss
Jaquino - Jörg Schneider
Don Fernando - Boaz Daniel
1. Gefangener - Dritan Luca
2. Gefangener - Johannes Gisser


„Fidelio ohne Regie-Fragezeichen
(Dominik Troger)

Leonorens Befreiungstat darf wieder die Herzen des Staatsopernpublikums rühren: Die aktuelle „Fidelio“-Serie brachte die Wiener Rollendebüts von Camilla Nylund als Leonore, Günther Groissböck als Rocco und Chen Reiss als Marzelline. Cornelius Meister dirigierte seinen ersten Staatsopern-„Fidelio“.

„Fidelio“ an der Wiener Staatsoper, das lädt zu einem „klassischen“ Opernerlebnis ein: Die Inszenierung von Otto Schenk aus dem Jahr 1970 erzählt die Geschichte „vom Blatt“, sie lässt – wenn auch gekürzt – die Dialoge sprechen, sie glaubt an die Gattenrettung und an die Gerechtigkeit, und sie zweifelt nicht an der konkreten Bühnenwirklichkeit von Beethovens Humanismus. Angesichts der vielen Experimente, die gerade mit dem „Fidelio“ schon angestellt worden sind, steht diese Inszenierung wie ein Fels in der Brandung (auch wenn das Moos, das dieser Felsen angesetzt hat, inzwischen nicht mehr zu übersehen ist). Aber allein die Wiener Neuproduktionen der letzten Jahre haben einen immer wieder schnell und reumütig in die Staatsoper zurückgetrieben: Weder am Theater an der Wien noch an der Volksoper haben die angebotenen szenischen Lösungen zu überzeugen vermocht, sondern sie haben vor allem den „Krampf“ vermittelt, den (nicht nur) Regisseure mit dieser Oper haben.

Ein Fels in der Brandung ist auch Peter Seiffert. Seiffert hat seinen ersten Staatsopern-Florestan zwar erst im Jahr 2006 gesungen, aber schon 1994 (!) die Partie mit Nikolaus Harnoncourt anlässlich der Grazer Styriarte aufgenommen. Der Sänger zeigte sich an diesem Abend in sehr guter Form, sang lustvoll und mit Energie herausgestellte Forte-Höhen, und auch das heikle, von ihm kräftig crescendierte „Gott“ machte ihm keine Pein. Sein Tenor ist inzwischen schon recht schwer geworden, steht hier doch ein „Tristan“ auf der Bühne, der sich im Zwischenfach ein wenig „Erholung“ gönnt. In den letzten Jahren hat Seifferts Stimme – je nach Tagesverfassung – öfters ein starkes langsames Vibrato hören lassen, das der Sänger mit ausreichender Spannkraft versehen, an diesem Abend aber gut in Zaum gehalten hat. Seine unprätentiöse Rollenauffassung passte bestens in diese Inszenierung.

Es überrascht, dass Camilla Nylund erst mit dieser Aufführungsserie ihr Staatsopern-Rollendebüt als „Leonore“ gibt. Die Sängerin hat die Leonore schon viele Jahre im Repertoire, in Wien hat sie die Partie bereits 2005 (!) in der Erstfassung des „Fidelio“ im Theater an der Wien gesungen. Schon damals war ihre Leonore stimmlich keine sieghaft strahlende, sondern mehr eine besonnene Heldin gewesen, die eine Aufgabe meistert, die ihr das Schicksal zugedacht hat. Die großen Gefühle erschienen an diesem Abend gedämpfter, die klare Gesangslinie – etwa in der großen Arie der Leonore – beherrschte den Überschwang, die Expressivität wurde nicht auf Kosten der Stimme forciert.

Bei Rocco handelt es sich, obwohl er einen rauen Beruf auszuüben hat, auch um einen verständnisvollen Vater – den die merkantilen Fähigkeiten des neuen Schwarms seiner Tochter allerdings nicht minder beeindrucken. Aus Günther Groissböcks Rollenzeichnung war beides zwar herauszulesen, aber der abgearbeitete „Alte“ war ihm schwerlich zu glauben, auch wenn der Sänger immer wieder den Kopf etwas neigte oder eine leicht gebückte Haltung einnahm. Groissböcks Bass mit jugendlichem Elan ausgestattet und leicht körniger Kontur hat diesen juvenilen Eindruck noch verstärkt.

An Marzelline zeigt sich das – in der historischen Perspektive gesehen – neu erwachte weibliche Selbstverständnis auf der Suche nach individuellem Lebensglück. Und noch dazu ist Marzelline keine Adelige, als Tochter eines Gefängniswärters ist sie sozial gering stehend. Aber Beethoven bezieht auch diese einfache junge Frau in sein Hoffnungspathos mit ein. Sie darf in ihrer Arie von einem selbstbestimmten Glück träumen, und diesen Wunsch (wenn auch nur „halb“) bekennen. Chen Reiss hat die Partie sehr gut gesungen, das Timbre ihres Soprans zeigte sich allerdings nicht so leuchtkräftig, dass sich dabei der unbedingte Glaube Marzellines an ihr Glück, das Beethoven vorgeschwebt sein mag, gleichsam von „selbst“ eingestellt hätte. Im Gegenteil, diese Marzelline blieb insgesamt gesehen diesem Glück gegenüber ein wenig reserviert.

Jörg Schneider sang einen buffonesk-leichtgewichtigen Jaquino, den auch mal Schüchternheit plagt, wenn er auf das für Marzelline heikle Heiratsthema zu sprechen kommt: Offenbar war ja alles schon mehr oder weniger abgemacht – aber dann kam dieser Fidelio ins Haus. Albert Dohmen bot keinen Pizarro, vor dem man sich hätte fürchten müssen und Boaz Daniel sang einen angemessenen, sich nicht wirklich in Szene setzenden Minister. Der Staatsopernchor sorgte für bewährte Auftritte.

Cornelius Meister am Pult kehrte mehr den „Symphoniker“ heraus, eher rasche Tempi, eine etwas glatte, aber schön präparierte Klangkontur, sowie eine gute, federnde Auslotung der Beethoven’schen Hoffnungsmomente sorgten zum Beispiel für eine effektvolle III. Leonore, stellten aber letztlich doch mehr die von Beethoven gemeinte „abstrakte Idee“ in den Vordergrund als die Herzensregungen der Bühnenfiguren. Der Schlussapplaus für eine – am Gesamteindruck gemessen – gute Aufführung dauerte rund fünf Minuten lang.

PS: Zuletzt sei auf eine Inkongruenz hingewiesen, die vor allem Statistikern die Schweißtropfen auf die Stirne treiben wird: Ist es wirklich die – laut Programmzettel – 235. Aufführung des Werkes in der Inszenierung von Otto Schenk gewesen? Das online eingesehene Staatsopernarchiv weist die Aufführung am 18. November 2007 als 217. Aufführung in dieser Inszenierung auf. Seither wurde das Werk aber über 30 Mal gespielt! Die Lösung des Rätsels liegt darin, dass die Aufführung vom 21. April 2009 in der Datenbank als 203. (!!) Aufführung gelistet wird – es werden um 14 Aufführungen weniger angegeben als für den 18. November 2007. Die 235. Aufführung wäre demnach bereits im April 2013 zu verbuchen gewesen! Pikanter Weise gibt die Übersicht, die die einzelnen Produktionen im Haus am Ring seit 1869 listet, 249 Vorstellungen für diesen, von Otto Schenk inszenierten „Fidelio“ an. Die hier rezensierte Aufführung wäre demnach die 250. Aufführung in dieser Inszenierung gewesen!