FIDELIO

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Theater an der Wien
14. Juni 2016
Premiere

Musikalische Leitung: Mark Minkowski

Les Musiciens du Louvre
Arnold Schoenberg Chor
(Ltg. Erwin Ortner)

Koproduktion der Wiener Festwochen mit Opéra National de Bordeaux und Les Théatres de la Ville de Luxembourg

Leonore - Christiane Libor
Florestan - Michael König
Don Pizarro - Jewgeni Nikitin
Rocco - Franz Hawlata
Marzelline - Ileana Tonca
Jaquino - Julien Behr
Don Fernando - Georg Nigl
1. Gefangener - David Sitka
2. Gefangener - Marcell Krokovay


„Leonore auf dem Revolutionsgerüst
(Dominik Troger)

Das Opernprogramm der Wiener Festwochen zeichnet sich schon seit Jahren nicht gerade durch besondere Originalität aus. Heuer wurde mit Mieczyslaw Weinbergs „Passagierin“ dem Wiener Publikum immerhin ein wichtiger Beitrag zur Operhistorie nach 1945 geboten. An mehr oder weniger interessanten Beiträgen zur „Fidelio“-Rezeption war in den letzten Jahren in Wien aber wirklich kein Mangel.

Ursprünglich hätte Dmitri Tcherniakov diesen „Fidelio“ auf die Bühne stellen sollen. Anfang April verlautbarten die Wiener Festwochen sie hätten die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Dmitri Tcherniakov habe die erforderlichen Vorarbeiten für die Inszenierung und das Bühnenbild in der dafür notwendigen Zeit leider nicht erbracht, hieß es dazu in einer Presseaussendung. Tcherniakov gestand seinerseits ein, zeitlich in Verzug geraten zu sein, meinte aber auch, er sei zur Weiterarbeit bereit gewesen und habe die bildnerischen Entwürfe vor Ostern fertig gestellt. (Salzburger Nachrichten, online, 5.4.16)

Die Wiener Festwochen haben rasch Achim Freyer „aus dem Hut gezaubert“, und damit war klar, in welche Richtung diese Inszenierung gehen würde. Freyers sehr persönliche Handschrift besteht darin, die Sänger in puppenähnliche Kunstfiguren zu verwandeln und alles „Psychologische“ in ein der bildenden Kunst angenähertes, „geheimnisvolles Zeichensystem“ umzusetzen. Dazu gehört beispielsweise der Gebrauch von Farbsymbolik und von collageartig zusammengestellten Symbolen, Buchstaben, Zahlen, die dann Kostüme bedecken oder in Projektionen auftauchen – dazu gehört zum Beispiel eine rituelle, den einzelnen Figuren zugewiesene Gestik, die ebenfalls symbolisch aufgefasst, unabhängig vom Wortsinn des gesungenen/gesprochenen Textes eingesetzt wird. Dass solche „Entpsychologisierung“ und „Verkünstlichung“ stark verfremdend wirkt, liegt auf der Hand – und bei einer so greifbaren Geschichte wie dem „Fidelio“, die sich konkret aus der persönlichen emotionalen Betroffenheit der Figuren entwickelt, besteht die große Gefahr, dass die Bühne mit einer Symbolsprache überfrachtet wird, die einen künstlerischen „Weltentwurf“ predigt, der den Handlungsfluss gleichsam unter sich begräbt.

Freyer schuf für das Theater an der Wien eine Art von „Revolutionstheater“, das in einem bühnenausfüllenden Gerüstkäfig abgehandelt wurde: Zu unterst auf dem Bühnenboden das Verlies Florestans und die Gefangenen, eine Etage darüber die Welt des Gefängniswärters Rocco, eine Etage darüber der Minister und ganz außen am Rand Pizarro. Jede Figur hatte ihren festgeschriebenen Platz und die Bühne wurde auf diese Weise nicht nur zum statischen Abbild gesellschaftlicher Hierarchien, sondern auch zu einer Art Schädelstätte, mit einzelnen Gliedmaßen und geschändeten Leibern „geschmückt“.

Freyer hat sehr viel in diesen „Fidelio“ hineingepackt, den Abend stark auf das Finale hin ausgerichtet. Und wenn sich ein Erzengel mit leuchtendem Schwert und ein Teufel um Florestan duellieren, dann hat er auch eine eschatologische Ebene hineingebracht, die an apokalyptische Weltgerichtsbilder erinnert, an Hieronymus Bosch, barocke Darstellungen des Jüngsten Gerichtes u.a.m. Das allgemein-menschliche Liebebedürfnis von Leonore und Florestan, das in der Befreiungstat als beispielgebender humanitärer Akt gefeiert wird, geriet dabei vollends aus dem Fokus. Und Florestan, vom düster gekleideten Chor umlagert, erinnerte mehr an einen von verzweifelten Gralsrittern umringten Amfortas, ohne Hoffnung auf ein Happy End.

Wie sehr Freyer die „menschliche“ Beziehungsebene gescheut hat, war schon anhand des ersten Aktes abzulesen, an der radikalen Kürzung der das Beziehungsdreieck von Marzelline-Jaquino-Leonore erhellenden Dialoge. Marzelline hat Freyer zwar ein Bügeleisen zugestanden, aber wenn sie bei „Nur eine Hoffnung schon erfüllt die Brust“ ihre Beine oder gar ihren üppig-nackten Puppenbusen mit selbigem „plättete“, dann zeigte sich in solch pseudo-gewitztem Gehabe die völlige Missachtung jener Hoffnung, die Beethoven seinen Bühnengeschöpfen zugesteht. Gegenüber dem in ein neidgrünes Kostüm gesteckten Jaquino sollte Marzeline vielleicht weibliche Verlockung und Lust repräsentieren?

Die ersten vier Gesangsnummern folgten so rasch auf einander, als wären sie in einem Opernkonzert dargeboten worden. Sie wirkten in diesem Kontext alles andere als dramaturgisch „zwingend“. Überhaupt hinterließ der Abend den Eindruck einer mit viel und meist düsterem Dekor übermalten konzertanten Aufführung, die in der Phantasie von Freyers malerischer Ekstase getränkt inklusive Pause zweieinhalb Stunden vor sich hinköchelte (und ohne Einschub der Leonore III).

Ein interessantes Detail war der große rote Stern auf dem Kostüm des Ministers, der hier vielleicht mit robespierre-lenischer Autorität ausgestattet dem „Revolutionsgerüst“ eine „avantgardistische Ästhetik“ verlieh, vermehrt durch auf die Bühne projizierte Wörter wie „Sieg“ oder „Freiheit“. Zum Jubelfinale wurden im Hintergrund schattenhaft Flugzeuge und Hochhaussilhouetten sichtbar, die in einem geräuschlosen 9/11-Inferno vergingen – Kritik an der Revolution oder an der unrevolutionären Gesellschaft? Zum Gefangenenchor wurde der Zuschauerraum des Theaters an der Wien auf den transparenten Vorhang „geworfen“, der die Bühne nach vorne abschloss: Gefangene oder Zuschauer oder beides? Viele Fragen also, und wenig Antworten.

„Les Musiciens du Louvre“ unter Marc Minkowski haben im Theater an der Wien schon überzeugendere Abende gespielt. Das an der historischen Aufführungspraxis orientierte Orchester war bei schlankem, leicht rauem Klangbild oft (sehr) flott, aber in Summe zu einförmig unterwegs. Vor allem das Blech war an diesem Abend nicht gut disponiert. Die Sängerinnen und Sänger hatten es wegen der Kostüme und Masken schwer. Christiane Libors Sopran ließ ein leicht melancholisch gefärbtes Timbre mit Stimmkraft hören, brachte die schwierige Partie samt Spitzentönen recht gut „unter einen Hut“. Bis auf ein leicht „gequetscht“ klingendens Eingangs-„Gott“ konnte auch Michael König als Florestan reüssieren, wobei sein manchmal etwas schwerfällig wirkender Tenor vor allem in der Mittellage punkten konnte. Jewgeni Nikitin als teuflisch kostümierter Pizarro erwischte einen mäßigen Abend mit zu wenig markanter Stimmkraft. Franz Hawlatas Rocco geriet bei an sich guter Bühnenpräsenz stimmlich nicht sehr imposant und sein Bass ist mir vom Typ ohnehin zu nüchtern timbriert. Ileana Toncas Marzelline war stimmlich vielleicht schon eine Spur zu reif und wurde außerdem durch die lächerliche Kostümierung in der Glaubwürdigkeit schwer beeinträchtigt. Julien Behr sang einen überzeugenden Jaquino mit mir schon zu viel „Charaktertenor“. Georg Nigl war ein angemessener, ebenfalls etwas nüchtern und wenig „imperial“ klingender Minister. Der Arnold Schönberg Chor war wieder ganz in seinem Element.

Der Beifall zur Pause plätscherte kurz und spärlich. Es gab wenig Szenenapplaus, so richtig kräftig nur nach der großen Leonorenarie. In den sechs Minuten langen Schlussapplaus mischten sich ein paar Buhrufe gegen die Regie und eines für Pizarro. Die Bravorufer waren aber auch nicht gerade so üppig gesät, dass sich das für mich nach großem Erfolg angehört hätte.