FIDELIO

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Theater an der Wien
17. Jänner 2016
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung : Stefan Gottfried

Concentus Musicus Wien
Arnold Schoenberg Chor
(Ltg. Erwin Ortner)

 

Leonore - Juliane Banse
Florestan - Michael Schade
Don Pizarro - Andrew Foster-Williams
Rocco - Georg Zeppenfeld
Marzelline - Anna Prohaska
Jaquino - Rainer Trost
Don Fernando - Andrè Schuen
1. Gefangener - Thomas David Birch
2. Gefangener - Christoph Seidl
Sprecher - Herbert Föttinger


„Leonore im Jahr 1806
(Dominik Troger)

Vor zehn Jahren wurde das Theater an der Wien wieder ganz der Oper gewidmet. Dieses Jubiläum wurde jetzt mit einem „Festkonzert“ begangen, in dem die zweite Fassung des „Fidelio“ von 1806 zur Aufführung gelangte.

Das Konzert war unter der Stabführung von Nikolaus Harnoncourt geplant, der leider Anfang Dezember seine Dirigiertätigkeit aus Gesundheitsgründen ruhend stellen musste. Aber Harnoncourt war an diesem Abend durchaus präsent: In einer an den Beginn gestellten Video-Botschaft erläuterte er dem Publikum seine Gedanken zu den unterschiedlichen „Fidelio”-Fassungen.

Harnoncourt verwies auf die komplexe Entstehungsgeschichte des Werkes, die erst im dritten Anlauf 1814 zur der heute fast immer gespielten finalen Fassung gedieh. Er gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass aufgrund der Quellenlage eigentlich jede „Fidelio“-Fassung „hypothetisch” und – sinngemäß – ein Konstrukt der Musikwissenschaft sei. Er schloss die von ihm „kuratierte” Fassung von 1806 mit ein, die an diesem Abend gespielt wurde. Er belegte das u.a. damit, dass er Roccos Goldarie als Bestandteil der Uraufführungsfassung inkludiert habe, obwohl sie 1806 dann doch gestrichen worden sei. (Rocco sei übrigens, während er diese Arie singe, „wahnsinnig” so Harnoncourt, man höre das deutlich aus der Orchesterbegleitung.) Harnoncourts wie immer launig-kompetente Vorrede (ein essentieller Bestandteil vieler Abo-Konzerte des Concentus Musicus im Musikverein) war im Dezember aufgezeichnet worden.

Im Theater an der Wien stand also die zweite Fassung des „Fidelio” auf dem Programm - und das Theater an der Wien kann sich rühmen, innerhalb von einem Jahrzehnt alle drei Fassungen des „Fidelio” gespielt zu haben: im Sommer 2005 szenisch die Uraufführungsfassung, 2013 szenisch die Fassung von 1814 – und an diesem Abend die Harnoncourt’sche Einrichtung der Fassung von 1806.

In den wenigen Monaten zwischen der Uraufführung 1805 und der Aufführung der zweiten Fassung 1806 (jeweils im Theater an der Wien) wurde die Oper vor allem gekürzt. Die Handlung wurde von drei auf zwei Akte zusammengezogen – und Beethoven stellte dem Ganzen seine dritte Leonorenouvertüre voran. Dieser große Entwurf am Beginn der Oper ist ein gewaltiger Gegensatz zur folgenden Singspielhandlung zwischen Marzelline und Jaquino, wobei in der 1806er-Fassung zuerst Marzelline ihre Arie singt und dann erst Jaquino auftritt. (Die Ouvertüre passt viel besser – so wie es heute oft gehandhabt wird – als Überleitung zum Schlussbild, sozusagen als „ideelle Zusammenfassung“ des Geschehens. Harnoncourt hat sie seinerzeit in der szenischen Produktion von 2013 aber nicht eingeschoben.)

Das Erbe von Nikolaus Harnoncourt als Dirigent des Concentus Musicus trat sein Assistent Stefan Gottfried an – und Gottfried konnte diesen Abend als vollen Erfolg verbuchen. Das sah auch das Publikum so, das ihn und das Orchester mit dem meisten Applaus bedachte. Auffallend war, dass Gottfried nicht so rigoros wie Harnoncourt auf Tempoextreme setzte, die Harnoncourts Deutung von 2013 in einigen Punkten (Schlussbild) doch einigermaßen anfechtbar gemacht hatten. Allerdings ist diese zweite Fassung (ebenso wie die Urfassung) in vielen Passagen der von 1814 ähnlich, aber doch anders – und entzieht sich deshalb immer wieder dem direkten Vergleich.

Natürlich ist das „originale Klangbild” des Concentus Musicus nicht mit dem eines modernen Orchesterapparates zu vergleichen: Beethoven klang an diesem Abend kantiger, das Blech forscher (mit einigen störenden Patzern, etwa beim Signal in der Leoneore III), die emotionalen Schärfen stachen deutlicher hervor. Aber Gottfried und das Orchester beschenkten das Publikum mit ausgeprägten dynamischen Schattierungen und mit einer Auffächerung der Stilvielfalt Beethovens – die zugleich die stilistische Unterschiedlichkeit der ganzen Oper in die Auslage stellte: von der Erhabenheit der Ouvertüre über melancholische frühromantische Schattierungen bis zu Mozart’scher Fröhlichkeit im Duett zwischen Marzelline und Fidelio, das es nicht in die Letztfassung geschafft hat – und das vom Stil ohnehin aus dem gesamten Entwurf heraussticht.

Wieso ist man aber auf die Idee verfallen, die Sängerinnen und Sänger in den „Wehrmachtsuniformen“ der Produktion von 2013 (Regie Herbert Föttinger) vor die Notenpulte zu stellen? Immerhin wurden die Auf- und Abtritte vollzogen und sogar Herbert Föttinger mischte sich als Erzähler unter das Ensemble. Mit den Dialogen des „Fidelio“ wurde schon alles Mögliche angestellt. Diesmal waren handlungszusammenfassende Zwischentexte von Christoph Klimke beigesteuert worden, die zumindest keine Umdeutungen des Librettos vorgenommen haben. Die Beleuchtung im Auditorium war wie für eine szenische Aufführung verringert worden. Als Kulisse wurde eine graue Wand mit einem kurzen Treppenaufgang und einer Bank verwendet.

Das Ensemble war zum Teil mit der Produktion von 2013 identisch. Michael Schade begann die berühmte Kerkerszene sehr verhalten und fast rezitierend (in dieser Fassung schaut kein „Engel Leonore“ beim Gefangenen vorbei), um bald mit sattem Tenorklang Beethovens Heroik zu untermalen. Juliane Banses Sopran hatte sich keinen Schönklang verinnerlicht, bei ihr stand Leonores emotionale Aufgewühltheit im Vordergrund. Anna Prohaska war eine mehr unter dem Druck der Verhältnisse leidende Marzelline, die von einem zornig forschen Jaquino (Rainer Trost) stimmlich bedrängt wurde. Georg Zeppenfeld, auf Wiener Opernbühnen ein seltener Gast, war ein guter, aber kein väterlich-verschmitzter Rocco. Andrew Foster-Williams gab einen Pizarro mit guter Höhe, aber nicht unbedingt der erwarteten genuinen Bösartigkeit. Andre Schuen sang einen schönstimmigen Minister. Die Mannen des Arnold Schönberg Chores gestalteten den Gefangenenchor mit einer beeindruckenden, durchdringenden Melancholie.

Der starke Schlussapplaus dauerte rund acht Minuten lang.