WIENER ERSTAUFFÜHRUNG

MEISTERSINGER 1870

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Zur Erstaufführung von Wagners „Meistersingern“ in Wien
Eine kursorische Betrachtung in mehreren Teilen
Teil 6

Am 27. Februar 1870 gingen in der neuen Wiener Hofoper Wagners „Meistersinger“ zum ersten Mal über die Bühne. Es war eine umstrittene Aufführung mit einer langen Vorgeschichte...

Die Beispiele zeigen, dass die Wiener Presse auf die Aufführung auch differenziert zu antworten wusste – nicht nur mit Polemik wie der „Wiener Spaziergänger“ Daniel Spitzer in der Neuen Freien Presse: „Man denke sich Lumpacivagabundus auf der Bühne, während das Orchester die Eroica dazu aufspielt.“

Wagner selbst, der nur aus zweiter Hand über die Aufführung informiert worden war, reagierte verärgert. Herbeck hatte sich nicht an das Dogma einer „strichlosen“ Aufführung gehalten. Wagner maßregelte den Dirigenten und verbiss sich in Details. Herbeck, menschlich von Wagner enttäuscht, rechtfertigte sich mit einer umfangreichen Antwort, aber der „Meister“ grollte.

Nach den Gründen für die Publikumsaufregung gefragt, wird man in ihnen nicht nur eine kunstbeflissene Auseinandersetzung zwischen „Wagnerianern“ und „Antiwagnerianern“ sehen dürfen. Offenbar haben auch andere Gründe eine Rolle gespielt. Während Cosima Wagner Kritik an der Zeichnung des Beckmessers als Ausgangspunkt für die Publikumsproteste sieht – „Haben Sie davon gehört dass man in Wien verbreitet hatte das Beckmessersche Ständchen sei ein altes Jüdisches Lied in welchem W. die kirchliche jüdischer Musik habe persifliren wollen; daher sei es gekommen, dass das Ständchen das Signal des Zischens wurde!“ (Brief an Friedrich Nietzsche vom 16.3.1870) – vermutete man in Wiener Tageszeitungen andere, aber ähnliche Ursachen:

„Daß bei der Aufführung der dritte Act zumeist angesprochen, daß eine große Schlacht zwischen Wagner’s Freunden und Feinden geschlagen worden, würden wir nicht nochmals der Erwähnung werth finden, wenn wir nicht schon vor der Vorstellung gehört hätten, daß Wagner für seine Broschüre „Das Judenthum in der Musik“ ausgezischt werden würde. Ein solches Vorgehen verdient aber allerdings angemerkt zu werden; denn wenn Denjenigen, welche gezischt haben, Wagner’s Musik darum nicht gefällt, weil er nicht findet, daß jeder einzelne Jude ein Genie ist, so weiß man wenigstens, was man von einem solchen Urtheile zu halten hat.“

Wagners „Judenschrift“ war erst ein Jahr zuvor in „bekennender Neuauflage“ erschienen und auch in Wien thematisiert worden. Ein Beispiel dafür ist eine deutlich ironisch gefärbte Besprechung in Zellner’s Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst, die ein knappes Jahr vor der Wiener „Meistersinger“-Erstaufführung erschienen ist:

„Der Verfasser hat mit dieser Schrift lediglich seinem Aerger darüber Luft machen wollen, daß ihm noch keine Altäre gebaut, keine Triumphpforten errichtet, keine Standbilder aufgestellt wurden, das man ihm noch keine Paläste geschenkt, keinen Nationaldank votirt hat und dass der Kalender noch immer noch erscheint, ohne den Namen Wagner unter die Heiligen aufgenommen zu haben.“

Am Schluss des Artikels wird der Gedanke einer „jüdischen Verschwörung“ gegen Wagner dezent aber deutlich als Absurdität entlarvt ebenso wie Wagners Rundumschlag gegen jüdische Musiker, die den „Geschmack des Publikums verdorben hätten.“

„ (...) diese Ausführungen [betreffend des ruinierten Musikgeschmackes], sowie der überaus originelle Gedanke, daß ein vor 19 Jahren in der Brendelschen „Musikzeitung“ pseudonym erschienener Artikel Wagner’s, worin er sagt, daß ihm die Juden wegen eines gewissen je ne sais quoi unangenehm seien, jene furchtbare, über den ganzen Continent verbreitete, bis zum heutigen Tage gegen Wagner’s musikalisch- und schriftstellerische Schöpfungen agitirende Liga hervorgerufen habe, alles das wird gewiß beitragen, den Verfasser des „Judenthums in der Musik“ schon vor der Mitwelt unsterblich zu machen. Ob in dem Sinne, wie er es vermeint, ist freilich die Frage.“

In diesen Zusammenhang passt auch eine bissige Anmerkung aus der humoristischen Wochenzeitung „Der Floh“:

„Loge ersten Ranges:
- Sagen Sie, lieber Graf, was war den Wagner's letztes Werk?
- Pardon, meine Gnädigste, aber ich glaube, es war „Das Judenthum in der Musik“
- Bitte, mon cher, besorgen Sie mir doch einige Lieder daraus.
- Unmöglich Baronin! Man kann das ebenso wenig singen wie die anderen Opern Wagners.“

(Zitate kursiv. Detaillierte Quellenangabe auf Anfrage.)
Alle Cosima-Zitate nach: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe. Direct Media Publishing GmbH. Berlin 2004.

www.operinwien.at
2007 - © Dominik Troger