WIENER ERSTAUFFÜHRUNG

MEISTERSINGER 1870

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Zur Erstaufführung von Wagners „Meistersingern“ in Wien
Eine kursorische Betrachtung in mehreren Teilen
Teil 5

Am 27. Februar 1870 gingen in der neuen Wiener Hofoper Wagners „Meistersinger“ zum ersten Mal über die Bühne. Es war eine umstrittene Aufführung mit einer langen Vorgeschichte...

Auszüge aus weiteren Besprechungen: [A] ist am 1. März 1870 erschienen, [B] am 6. März 1870.

[A]

„ (...) Herr Walter, der Darsteller seines Namensvetters, war vorzüglich in Spiel und Gesang, nicht minder Meister Beck, der uns ein sehr gewinnendes Bild des treuherzigen Hans Sachs zu bieten wußte. Der Pogner des Herrn Rokitansky war zufriedenstellend; trefflich war Herr Campe als Sixtus Beckmesser. Mit seinem scharfen, etwas näselnden Tone eignete er sich ganz vorzüglich für die Rolle dieses impotenten Stadtschreibers. Herr Mayerhofer hat als Kothner gerade nicht sehr viel Gelegenheit, besonders hervorzustehen, desto mehr aber hat solche Herr Pirk, der Lehrbube des Hans Sachs. Herr Pirk spielte seine Lehrbubenrolle sehr glücklich, Herr Neumann sang seinen Nachtwächter mit frommer Ergebenbenheit in den Herrn; seine Stimme ist sehr angenehm und er nahm sich ganz der kleinen Partie auf’s Beste an. Fräulein Ehnn (Eva) und Fräulein Gindele (Magdalena) waren ganz an ihrem Orte. Erstere das gutmüthige, sorgsame, etwas schnippische deutsche Mädchen, Letztere ihre treue Gehilfin und Rathgeberin in ihrem herzbeschwerenden Liebeshandel. Das allermeiste Verdienst gebührt aber Herrn Herbeck, dem wir es vermuthlich einzig und allein zu danken haben, daß die neue Oper Wagner’s am hiesigen Operntheater zur Aufführung gekommen. Man erzählt von sehr vielen Verdrießlichkeiten, die ihm das Einstudiren der Oper eingetragen habe; aber sein Muth war unerschütterlich, und er blieb fest auf seinem Platze. Nie haben wir einen Operncapellmeister mit einer solchen hinreißenden Gluth dirigiren gesehen als Herbeck bei dieser Aufführung. Meisterhaft gingen die Chöre, ausgezeichnet das Orchester. Die Ouvertüre, dieses Meisterstück musikalischer Polyphonie, zog unter Herbeck’s Stab wie ein breiter Strom vorüber und ebenso tapfer war das Orchester den ganzen Abend hindurch. Die Decorationen von Brioschi waren dem Gegenstande angemessen prachtvoll ausgeführt, ohne überladen zu sein. (...)“

[B]

„Am 27. Februar, halb 7 Uhr Abends, sind in Wien die „Meistersinger von Nürnberg“, Wagner’s komische Oper, das erste Mal in Scene gegangen. Die Aufregung der Parteien war größer noch als die allgemeine Erwartung. Wagner pflegt ja im großen Publikum niemals leicht und objectiv beurteilt zu werden; dazu ist weder seine herausfordernde Natur, noch sein bis in die extremsten Consequenzen durchgeführtes musikalisches Princip angethan. Er findet Heißsporne überall und Ultra’s auf beiden Seiten, hieß doch einmal das Feldgeschrei gar: „Hie Bülow, hie – Schweinehund“!
So war es denn auch am Abend der ersten Aufführung der „Meistersinger“. Diesmal aber waren die Wagnerianer die Actionspartei und behielten schließlich die Oberhand, und brachten am Schlusse der Oper ihrem großen Zukunfts-Baal die lärmendsten Opfer. Am Schluß des zweiten Actes waren sie freilich noch etwas eingeschüchtert und niedergedrückt durch die kräftige Opposition, welche aber nach dem grandiosen Erfolge des dritten Actes mit seinem Johannisfeste die Flügel arg hängen ließ.
(...) Das ist der rothe Faden der Handlung, an welchem kaum eine Episode geknüpft ist und der kaum zulangt, eine Oper zu umspannen, die nahezu fünf Stunden andauert. Kein Wunder also, daß die Handlung stellenweise ganz stockt, oder daß einzelne Theile der Oper über Gebühr gedehnt und gestreckt werden. So im ersten Acte die Expectorationen des Schusterjungen. David über die Meistersängerjury, die darauf folgende Versammlung der Meistersinger, im zweiten Acte die Scene, wo Hanns Sachs Beckmesser’s poetische Schnitzer mit einem Solo auf einer über den Leisten geschlagenen Stiefelsohle begleitet u.s.w. Monotone Stockungen finden sich im Uebrigen auch im ersten Theile des letzten Actes, dessen Schluß aber namentlich nach der Seite der dramatischen Wirkung ein von den neueren Componisten nicht erreichtes Meisterstück ist. Der Text hat alte mitunter lächerliche Spracheigenthümlichkeiten Wagner’s an sich, ist aber entschieden verdaulicher als die Alliterationen, mit der Riesen im Rheingold durch die Thäler „stapfen“ und „talpen“ oder die Empfindungslaute der Nixen, die im Rhein herum „vagayen“.
In musikalischer Richtung hat uns Wagner in seinen „Meistersingern“ nichts Neues geboten. Bei Wagner gibt es nichts Neues, und darf es nicht geben, denn alles fließt bei ihm aus demselben Principe, Alle schwimmt im Nebel der unendlichen Melodie, (...) und nur hie und da tut sich der Nebel auf, und in blauer Ferne zeigt sich uns das schöne heitere Bild wirklich echter Musik mit abgerundeter harmonisch phrasierter Melodie und wunderbarem Zauberklang. Wir laben uns an Pogner’s Anrede, an den Leiden Walther’s, wie erfrischt das Quintett im letzten Acte. Für die komische Oper paßt Wagner’s pathetischer Zug in der Musik am wenigsten, hier stochern sich Gevatter Handschuhmacher und Seifensieder mit Ofengabel die Zähne. Wagner heizt immer das ganze Orchester; das siedet und brodelt, daß einem Hören und Sehen vergeht, und dabei sollen die Sänger leichthin Scherzen und Lachen! Natürlich fehlen auf der anderen Seite nicht die merkwürdigen Vorzüge Wagner’s. Er ist ein Instrumentalist wie Keiner, und wenn er seiner Musik den Götterreiz der Melodie einhauchen könnte, dann wäre er auch ein Componist, dem es Niemand gleich gethan. Den aufmerksamen Zuhörer fesseln auch in den ödesten Strecken der Oper kleine hervorbrechende Blitze der geistreichen Instrumentation, und wenn im Tumulte des Orchesters die Leitmotive hin und her hüpfen wie Irrlichter, so hört man dem bunten Treiben doch immer angeregt zu, hinter dem eine durch und durch geniale Natur steckt, deren Fehler alle nur in einseitiger Begabung und in einseitiger Freude wurzeln.
Die Aufführung der Oper war vorzüglich, diese war vielleicht nur allzugut und allzuviel studirt. Wenn die Sänger vom ersten Studium der Oper bis zur Aufführung wirklich mehr als sechzig Proben über sich ergehen lassen mußten, dann bewundern wir ihre Leistungen umso mehr. So viel Proben tragen zur Frische der Aufführung nicht allzuviel bei, für den Sänger und Spieler verliert jede Oper alles Neuheitsinteresse, wenn ihre Partitur so oft durchmanövriert worden ist. Glücklicherweise hat man die Ermüdung den mitwirkenden Künstlern nicht angemerkt. Wir nennen vor allem Herrn Beck, ein Muster Hans Sachs, dessen Spiel und klare Declamation zum Gelingen der Oper wesentlich beitrug. Herr Walter führte den Ritter Stolzing mit Meisterschaft aus. Jeder wahrhaft musikalische Moment fand an dem Künstler einen echten und theilnehmenden Interpreten. Die Damen Ehnn (Eva Pogner) und Gindele hatten wenig dankbare Rollen sorgfältig ausgeführt, eben so machte sich der Herr Rokitansky (Pogner) und Mayerhofer (Kothner) um ihre kleinen Partien verdient. Viel Humor entwickelten die Herren Pirk (Lehrling David) und Beckmesser Campe, der Letztere sang die Partie, welche früher dem unpäßlich gewordenen Herrn Lay zugedacht war, nach kurzem Studium; das Orchester unter Herbeck’s Leitung war wie immer ganz ausgezeichnet.
Caligula.“

(Zitate kursiv. Detaillierte Quellenangabe auf Anfrage.)

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2007 - © Dominik Troger