Zur Erstaufführung von Wagners „Meistersingern“
in Wien
Eine kursorische Betrachtung in mehreren Teilen
Teil 3
Am
27. Februar 1870 gingen in der neuen Wiener Hofoper Wagners
„Meistersinger“ zum ersten Mal über die Bühne.
Es war eine umstrittene Aufführung mit einer langen Vorgeschichte...
Am
27. Februar war es dann endlich so weit. Für den erkrankten
Beckmesser sprang der eben erst selbst von einer Erkrankung
genesene Campe ein – die langerwartete Aufführung
war gerettet.
Es
folgen einige Orginialbesprechungen aus Wiener Zeitungen.
„Der
Faschingssonntag wurde endlich, endlich zum Geburtstage dieses
viel- und so lange erwarteten Tonwerkes! – Es wird wohl
den geehrten Leser zunächst interessieren zu erfahren,
wie die Oper dem Publicum bekommen; das aber ist nicht so leicht
gesagt. Ehe wir an die Erzählung der Handlung, an die Würdigung
der Musik und der Aufführung selbst gehen, wollen wir über
die factischen Vorgänge dieses merkwürdigen Abends
berichten, der in der neueren Geschichte der Wiener Oper sein
Plätzchen einnehmen dürfte.
Das Haus war überfüllt, es hatten sich Freunde und
Gegner des Dichter-Componisten eingefunden, nicht unschwer an
der Färbung zu erkennen; viel Jugend hing in den höheren
Stockwerken, im Allgemeinen herrschte keine freudige Erwartung,
vielmehr eine gewisse Verstimmung, da wegen der so häufigen
bedauerlichen Hinausschiebung der Oper dem Publicum, fremden
Besuchern u.s.f. manche Verlegenheiten bereitet worden waren.
Die Ouverture hub an und verbrauste in ihren mächtigen,
gewaltigen Tönen; ein Versuch, sie am Schluss mit Beifall
zu bedenken, wurde sogleich mit lauten Zeichen des Mißfallens
begleitet. Die Oper selbst begann, wurde im Verlauf der ersten
Scenen lau hingenommen; die bedenklichen Längen, der Mangel
an fesselnder Melodie machten sich fühlbar kenntlich; ein
einziges Lied Walthers „Am stillen Herd in Winterszeit“
übte ergreifende Wirkung und trug dem Sänger (Herr
Walter) einen lebhaften Beifallsruf ein. Ein paar Chorstellen
der Lehrbuben wehten wie frische Lüftchen über die
Bühne, doch ohne Erfolg spielten sich die weiteren Scenen
ab und der Vorhang fiel. Einige schlagfertige Wagner-Enthusiasten
brachen zu großem Applaus auf, die Gegner erhoben sich
nicht minder, es ergab sich ein Wettstreit zwischen für
und wider, bis endlich die hervorragenden Künstler des
Abends erschienen und unter dem Jubel einer Partei drei Mal
vor der Gardine dankten.
Der zweite Akt enthält aber so große, öde Längen,
so viele durch ihre Monotonie drückende und beinahe ununterbrochen
auf einander folgende Duetten, daß selbst Herr Beck und
Frl. Ehnn die immer tiefer sinkende Stimmung im Publicum nicht
heben konnten. Als nun Beckmesser (Campe) mit seiner Laute erschien
und Eva das Ständchen darbrachte – ein freilich carikirter,
aber greulicher Gesang – da machte sich die mühsam
verhaltene Unruhe im Hause Platz und es brach in beinahe allen
Theilen desselben ein Lärmen los, in allen gebräuchlichen
Unformen, wie wir dergleichen in diesem Hause gehört zu
haben uns nicht entsinnen können. Dieses Getümmel
währte das ganze folgende Finale hindurch, Gelächter,
Zischen, lautes Gerede, so daß das ganze Tonstück
unverstanden und kaum halb gehört vorüberging, bis
der Vorrang fiel. Aber auch da, in dieser Gefahr fanden sich
Wagners Freunde zusammen und es brachen Bravos los und die zunächst
Beschäftigten erschienen vor den Lampen mehrere Male. Hiemit
schien das Los der Oper entschieden, denn eine vollständigere
Niederlage ließe sich nach einem Actschlusse kaum denken.
Da wurde der dritte Act zum Retter. Er enthält auch neben
vielen durch den Text hervorgerufenen Breiten der musikalisch
schönen Nummern mehrere und gleich der graziöse Eingang
gewann für sich. Da ist Walthers „Morgentraum“
(ein ungemein anmuthiges, oft wiederkehrendes Motiv), da ist
ein Quintett, voll des Wohllautes, das sehr ansprach, endlich
das lebhafte, farbenreiche Finale; man gab sich zufrieden, und
wenn gleich nach Schluß der Oper die Opposition ziemlich
lange hin und wieder arbeitete, die Wagnerianer behaupteten
das Feld, die Künstler mußten wieder und wieder erscheinen
und als letzte Manifestation wurde noch in Wagners Namen Dank
gesagt.
So viel in flüchtiger Skizze über das äußere
Resultat dieser ersten Aufführung, womit die Frage über
den Erfolg beantwortete sein dürfte. Daß Herr Hofcapellmeister
Herbeck unter den gerufenen zu wiederholten Malen eintrat, ist
hochverdient und selbstverständlich. Die unsäglichen
Mühen dieses Künstlers um das Werk kann nur ein Fachmann
würdigen.
Ueber den Text und über die Aufführung selbst, in
welcher zunächst Herr Walter glänzte, bringen wir
demnächst das Weitere. Es dürfte vielleicht auch nicht
fehlgegangen sein, bis dahin die zweite Vorstellung am Freitag
abzuwarten, denn die Dinge müssen doch wohl feste Form
erhalten. Alle Mitwirkenden, die Damen Ehnn und Gindele, die
Herren Beck, Rokitansky, Mayerhofer, Pirk, Campe u.s.w. gingen
wahrhaft opferfreudig daran und Chöre und Orchester waren
aus einem Guß.“
(Zitate
kursiv. Detaillierte Quellenangabe auf Anfrage.)
www.operinwien.at
2007
- © Dominik Troger