WIENER ERSTAUFFÜHRUNG

MEISTERSINGER 1870

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Zur Erstaufführung von Wagners „Meistersingern“ in Wien
Eine kursorische Betrachtung in mehreren Teilen
Teil 2

Am 27. Februar 1870 gingen in der neuen Wiener Hofoper Wagners „Meistersinger“ zum ersten Mal über die Bühne. Es war eine umstrittene Aufführung mit einer langen Vorgeschichte...

Herbeck ließ noch am 15. Februar in einer Depesche Wagner von der Erstaufführung am folgenden Donnerstag in Kenntnis setzen und lud ihn zur Aufführung ein. (Den Gefallen, Wagner zur Vorbereitung der Premiere nach Wien zu bitten, hatte Dingelstedt dem „Meister“ nicht gemacht. Ein Grund von mehreren, die Wagners zwiespältige Gefühle für Wien bestärkten.) Aber am 17. Februar war in den Zeitungen zu lesen, dass die Vorstellung auf Samstag, den 19. Februar, verschoben worden sei, weil die Generalprobe noch nicht allen Anforderungen entsprochen habe. Am 20. Februar wurde dann Dienstag, der 22. Februar angekündigt:

„Im Operntheater soll sich am Dienstag das große Ereignis der Aufführung der „Meistersinger“ vollziehen. Ueber den Erfolg, den das Werk haben wird, läßt sich natürlich nichts vorhersagen, aber so viel ist uns bekannt, daß sämmtliche Sänger und Sängerinnen schon halb todt in den Kampf ziehen werden. Unsere treffliche Ehnn, unser Walter und unser unerreichter Beck waren in den jüngsten Tagen von den furchtbar anstrengenden Proben derart angegriffen, daß sie im wahrsten Sinne des Wortes kaum mehr zu sprechen im Stande waren. Die Begeisterung für die Sache muß Wunder wirken, wenn sie zur Stunde der Aufführung wieder im Besitze ihrer vollen Kraft sein sollen. Uebermenschliches leistete auch das Orchester. Siebzig Stunden mußte es Wagner opfern und es ist kein Wunder, daß bei den vielen Dissonanzen die Herren mitunter mißmuthig wurden, und einer sogar inmitten einer Probe ausrief. „I wir no verruckt“. Man wird allen Kräften einige Tage Erholung gönnen müssen (...)“

Inzwischen ist man auch bei den „Wagners“ beunruhigt. Cosima schreibt am 20.2. an an Nietzsche. „Wir haben noch nichts von den M[eister]singern in Wien gehört, am Dienstag (wohl nach der Probe) kam eine Depesche Herbecks welche allgemeine Begeisterung meldete, seitdem aber nichts, Gott weiss was dazwischen mag gefahren sein.“

Während man beim „Meister“ noch im Dunkeln tappte, was jetzt mit den Wiener „Meistersingern“ vorgefallen sei, wusste man ihn Wien bereits, dass den Sachs, Herrn Beck, eine „Unpässlichkeit“ ereilt hatte. Am 22. Februar wird aus diesem Grunde eine Aufführung am 24. oder 25. ins Auge gefasst. Die „Fangemeinden“, des eigentlichen Anlasses verlustig gegangen, erproben inzwischen ihre Kampftauglichkeit bei Kurkonzerten – und die Presse vermeldete solche Ereignisse wie „Kriegsberichte“:

„Im Kursalon kam es gelegentlich des vorgestrigen Nachmittags-Konzertes zu einer amusanten Demonstration. Die Musikkapelle des Infanterie-Regiments König von Hannover spielte nämlich die Ouverture zur Oper „Die Meistersinger“ von Richard Wagner und schon während die ersten Takte erklangen, brachen einige Wagner-Enthusiasten in lauten Beifall aus. Dieser Applaus gab den Gegnern der Wagner’schen „Zukunftsmusik“ Anlaß, ihr Mißfallen durch Zischen und Pfeifen auszudrücken, was die Wagnerianer zu verdoppelten Beifalls Kundgebungen reizte. Wer im Rechte war, ließ sich bei dem Heidenlärm und da das Tonstück nicht zur Wiederholung kam, nicht erkennen und ist nur zu konstatieren, daß die Partei Wagner’s die stärkere war und schließlich das Schlachtfeld behauptete.“

Doch als nächstes kommt der Produktion der Beckmesser abhanden: Theodor Lay, den eine schwere Indisposition befällt. Eine weitere Verschiebung wird notwendig. Missmut unter den SängerInnen macht sich ebenso breit wie unter dem teils extra angereisten Publikum, dass schon eine Woche auf die Premiere wartet.

„Diese unglückseligen Meistersinger! O wären sie doch nie komponiert worden – wie viel Gram und Enttäuschung, wie viel Plage und Jammer wäre nicht Direktion, Künstlern und Publikum erspart worden! In München mußte die erste Aufführung drei, in Dresden zwei, in Wien gar vier Mal abgesagt werden. Und ob sie nicht ein fünftes Mal noch abgesetzt werden, ist nicht unbedingt zu verneinen, denn schon jetzt munkelt man in eingeweihten Kreisen, daß der Plan, die erste Aufführung auf den nächsten Sonntag zu verlegen, an einem Grunde scheitern werde, der sich nicht näher bezeichnen läßt und Amtsgeheimnis der Direktion bleiben muß. Der wohlgemeinte, aber übertrieben und thatsächliche Verhältnisse nicht berücksichtigende Eifer, die Meistersinger an einem Wochen vorherbestimmten Tage á tout prix zur Aufführung zu bringen, hat, wie man sieht, nichts genutzt – die Stimmen der Mitwirkenden wurden übermäßig angestrengt, die frische Luft ging verloren und nun hinken die Folgen nach. Erst Herr Walter, dann Herr Beck, jetzt Herr Lay – morgen vielleicht ein Vierter! Herr Lay war übrigens schon Dienstag heiser, trotzdem mußte er Mittwoch Vormittag Probe halten und Abends in „Martha“ singen – das hält selbst ein „Leu“ nicht aus, sagte der bekannte blasende Humorist des Orchesters. Herr Lay wird heute amtlich durch zwei Hoftheaterärzte untersucht und sein Befinden sorgfältig geprüft werden und im Falle eines günstigen Resultats soll die Oper dennoch für Sonntag angekündigt – wahrscheinlich aber erst Montag gegeben werden. Wenn das so fortdauert, wird sich der mitleidlose Witz der ganzen Affaire bemächtigen und dann Gnade Gott den Meistersingern! – In den heiligen Räumen des Burgtheaters rief bereits vorgestern eine Improvisation Meixner’s schallende Heiterkeit hervor. Der beliebte Künstler hatte als Buchhalter Hillermann in „Rosenmüller und Finke“ zu dem Kommis des Hauses zu sagen: „In der Residenz muß ja ein verdammt lustiges Leben sein“ und fügte diesmal hinzu: „Jetzt gibt man gar eine neue Oper. „Die Meistersinger.“ Darauf erwidert der junge Kommis: „Ah, die werde ich auch hören.“ Meixner rief nun lachend: „Die werden Sie nicht hören, denn bis zur ersten Aufführung haben sämmtliche Sänger die Stimme verloren!“ Ein stürmischer Beifall folgte diesen Worten. In der That hat Meixner nicht so Unrecht, denn die vorgestrige siebenundfünfzigste Probe hat die Stimmen der Herren Beck und Walter neuerdings derart angegriffen, daß selbst die Mitwirkung dieser Künstler wieder fraglich geworden ist. Die Verzweiflung in Direktionskreisen ist enorm, das ganze Repertoire ist erschüttert und die Kassa leidet in sehr empfindlicher Weise. – Auch gestern Abend machte Herr Meixner während der Vorstellung des Schlesingerschen Lustspiels: „Mein Sohn“ im Theater an der Wien ein gelungenes Extempore, das viel Heiterkeit hervorrief. Meixner erörtert die Liebe für seinen Sohn. „Diese Liebe“, ruft er pathetisch, „ist ewig – sie dauert bis zum Grabe, nein, über das Grab, was sage ich über das Grab – bis in die Ewigkeit – nein, bis über die Ewigkeit – was sage ich Ewigkeit – meine Liebe dauert bis zur ersten Vorstellung der „Meistersinger“. (Schallende Heiterkeit.)“

Am 25. Februar erfährt man – (nach einigen Mutmaßungen: „Dienstag 22ten Wir wundern uns, keine Notizen aus Wien über die Msinger zu erhalten (ob Krankheit oder Bosheit?)“ – endlich auch bei den Wagners die Hintergründe. Cosima notiert unter diesem Datum in ihr berühmtes Tagebuch: „Am Morgen Brief des Münchner ‚Schäfer‘, welcher, nach Wien gereist, um die Msinger zu sehen, nun berichtet, daß wegen Heiserkeit der Sänger die Aufführung aufgeschoben sei.“

(Zitate kursiv. Detaillierte Quellenangabe auf Anfrage.)

www.operinwien.at
2007 - © Dominik Troger