WIENER ERSTAUFFÜHRUNG

MEISTERSINGER 1870

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Zur Erstaufführung von Wagners „Meistersingern“ in Wien
Eine kursorische Betrachtung in mehreren Teilen
Teil 1

Am 27. Februar 1870 gingen in der neuen Wiener Hofoper Wagners „Meistersinger“ zum ersten Mal über die Bühne. Es war eine umstrittene Aufführung mit einer langen Vorgeschichte...

Carl Friedrich Glasenapp berichtet in seiner Wagnerbiographie, der Schöpfer der „Meistersinger“ habe ursprünglich sogar an ein gemeinsame Einstudierung der Uraufführungsproduktion in München und Wien gedacht – zumal er auch den Wiener Bassisten Johann Nepomuk Beck als Sachs hätte gewinnen wollen. Wien habe sich aber spröde gezeigt: Hofoperndirektor Dingelstedt habe Beck nicht so ohne weiteres für die lange Einstudierungszeit nach München ziehen lassen und eine Aufführung der „Meistersinger“ wäre erst im neuen, damals noch nicht fertiggestellten Haus nur vage in Aussicht gestellt worden. So fand die Uraufführung 1868 in München statt, ohne Beck, und ein knappes Jahr vor der Eröffnung der neuerbauten Wiener Hofoper.

In München anwesend war allerdings der damalige Wiener Hofopern-Kapellmeister Heinrich Esser, der in Anbetracht der ihm bekannten Wiener Verhältnisse in Sachen „Meistersinger“ ebenfalls auf der Bremse stand. Esser dürfte neben organisatorischen auch musikpolitische Gründe geltend gemacht haben – jedenfalls wurden die „Meistersinger“ nicht in das Eröffnungsprogramm der neuen Hofoper im Mai 1869 einbezogen. Angeblich hatte Direktor Dingelstedt richtige „Eröffnungsfestspiele“ geplant, mit „Zauberflöte“, „Meistersinger“ und einem Ausstattungsballett: prunkvoll, aber zugleich auch sehr „programmatisch“, was vielleicht nicht so ganz konvenierte. (Man sollte hier den verlorenen Krieg gegen Preußen und die damit verbundene politische Neuausrichtung des Habsburgerstaates nicht ganz außer Acht lassen.)

Zudem erforderte der Aufbau des Repertoires für das neue Haus ohnehin den Einsatz aller Kräfte, weil man die Produktionen nicht vom alten, viel kleineren Haus übernehmen konnte. Erst als die Eröffnung im Mai 1869 glücklich über die Bühne gegangen und ein erstes Kernrepertoire verfügbar war, wurde für die Hofoper der Aufwand einer „Meistersinger“-Einstudierung wirklich leistbar (und sollte den Ausführenden trotzdem alle Energiereserven abfordern). Außerdem wurde der gesundheitlich bereits angeschlagene Esser im Sommer 1869 durch den aufstrebenden Dirigentenstar Johann Herbeck ersetzt, was dem Projekt rasch neue Nahrung gab.

Herbeck reiste im September 1869 zu Wagner, um die Sache unter Dach und Fach zu bringen. Wagner stimmte zu, sprach sich aber vehement gegen „Kürzungen“ aus. Wiener Zeitungsleser wurden auch umgehend von der sich anbahnenden Einigung zwischen Wagner und Hofoper betreffend „Meistersinger“ informiert: „Herr Hofkapellmeister Herbeck ist gestern nach zwölftägiger Abwesenheit zurückgekehrt. In Luzern hat er mit Richard Wagner über die Aufführung der „Meistersinger“ eingehend Rücksprache genommen. Der Komponist überließ ihm mit vollem Vertrauen jede Anordnung.“ Zwei Tage später wird die Erstaufführung für Dezember (!) angekündigt.

Man darf solche Ankündigungen nicht nach heutigen Maßstäben messen. Es handelte sich nur um eine Absichtserklärung. Der Spielplan war extrem flexibel. Auch der Kaiser pflegte für Staatsgäste je nach aktuellem Bedarf bestimmte Werke und Besetzungen zu wünschen. Herbeck begann jedenfalls sogleich mit den Vorbereitungen und stürzte sich in die Proben – trotzdem war bereits Ende Oktober der anvisierte Premierentermin in die zweite Jännerhälfte des Jahres 1870 gerutscht.

In der Folge häuften sich die Klagen der SängerInnen über die großen Anforderungen, zugleich rackerte Herbeck unermüdlich, spulte Probe um Probe ab. Die Regie wurde vom Hofoperndirektor persönlich besorgt. Im Dezember kam der Jännertermin immer mehr ins Wanken und im Jänner 1870 wurde schließlich der 17. Februar als Termin der Erstaufführung festgesetzt. Der interessierten Öffentlichkeit wurde mitgeteilt, dass es vor der ersten Aufführung drei Schließtage geben werde und dass die Sänger von Sachs (Beck), Stolzing (Gustav Walter) und Eva (Bertha Ehnn) auf längere Zeit dem Repertoire „entzogen“ würden, um sie wegen der anstrengenden Proben zu schonen. Das Publikumsinteresse war zu diesem Zeitpunkt schon enorm: das Haus wäre bereits Anfang Februar auf fünf Abende hinaus ausverkauft gewesen, heißt es.

Ein Beispiel für die eifrige Vorberichterstattung:

„Das bedeutendste theatralische Ereignis der nächsten Woche ist die für Donnerstag anberaumte erste Aufführung der Wagner’schen „Meistersinger“ im neuen Opernhause. Wir geben an anderer Stelle eine geschichtliche Erläuterung des Werkes, und wollen hier nur das berühren, was sich speziell auf dessen Inszenesetzung in Wien bezieht. Unter Hofrath Dingelstedt’s Leitung und Hofkapellmeisters Herbeck’s Leitung fanden seit Wochen Proben statt, und Letzterer trieb seinen Eifer so weit, daß er oft neun Stunden täglich dem einstudieren der schwierigsten Oper, die vielleicht je geschrieben wurde, widmete. Doch mehr als die beiden Spitzen des Hauses, litten die exekutirenden Kräfte. Unsere Sänger sind bereits so ermattet, daß sie kaum noch Herren ihrer kostbarer Mittel sind und waren ihre Klagen schon während der Zimmerproben schon laut genug, so sind sie in Jammergeschrei ausgebrochen, seitdem die Orchesterproben begonnen haben.
(...)
Ein weiterer Konflikt schlummert vorläufig noch, dürfte aber am Dienstag Abend, wo die Generalprobe stattfindet, zum Ausbruche kommen. Die Intendanz – oder die Direktion – wir wissen nicht genau, von welcher Behörde der neuerdings verschärfte Ukas ausging – haben die hermetische Ver- und Abschließung der Hauptprobe anbefohlen, und das Verbot, dieser beizuwohnen, sogar bis auf die Angehörigen der Mitwirkenden ausgedehnt. Es ist noch sehr fraglich, ob die Hofkapellmeister Proch, Dessof u.s.f. zugelassen werde, gewiß ist, daß weder den Hofkapellmeister Herbeck noch dem Tenoristen Walter gestattet wurde, ihre Gattinen zur Generalprobe mitzunehmen. Wenn man sich daran erinnert, daß man seinerseits von München aus Einladungen zur Generalprobe der „Meistersinger“ an alle Kunstgrößen aller deutschen Städte ergehen ließ, so muß man diese Aengstlichkeit unserer Intendanz oder Direktion geradezu komisch finden., ja um so komischer, als sogar ausländische Kapazitäten mit ihrer Anfrage, ob sie zur Generalprobe kommen können, lakonisch abgewiesen wurden. Die Anforderungen, welche an die Sänger gestellt werden, machen es platterdings unmöglich, die Oper an zwei nacheinander folgenden Abenden zu geben, und so wird denn die zweite Aufführung erst am Sonntag den 20. stattfinden.“

(Zitate kursiv. Detaillierte Quellenangabe auf Anfrage.)

www.operinwien.at
2007 - © Dominik Troger