WIENER ERSTAUFFÜHRUNG MANON 1890
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Zur Erstaufführung von „Manon“ 1890 an der Wiener Hofoper – Teil 2

Nach dem ausführlichen Beitrag der „Wiener Abendpost“ folgen im zweiten Teil weitere zeitgenössische Berichte zur „Manon“-Erstaufführung am 19. November 1890.

„(...) Wir kommen nun zur Besprechung der hießigen Aufführung und des Erfolges, welche die Novität erzielte. Wie im „Cid“, so concentrirt sich auch hier das ganze Interesse auf die beiden Hauptträger der Handlung; dort auf Rodrigo und Ximene, hier auf Manon und Desgrieux – alle anderen Personen der Handlung sind bloße Episoden von untergeordneter Bedeutung. Von der Besetzung der beiden Hauptrollen hängt also auch hier zu größten Theile der äußere Erfolg der Oper ab. Und da glauben wir nun, daß kaum eine andere Opernbühne in der Lage ist, diese beiden Rollen besser zu besetzen, als dies bei der hiesigen Aufführung durch Frl. Renard und Herrn van Dyck der Fall war. Die Manon der Frl. Renard ist schauspielerisch und gesanglich eine Leistung ersten Ranges; Frl. Renard erwies sich auch hier wieder als eine gottbegnadete Künstlerin, welche die widersprechendsten Empfindungen vorzüglich zu meistern versteht; ebenso reizend als sie im ersten Acte den Zwiespalt zwischen ländlicher Einfalt und leichtsinniger Begehrlichkeit darzustellen wußte, ebenso ergreifend schilderte sie im zweiten Acte den Kampf zwischen Liebe und Genußsucht; in der Sprechzimmerscene des dritten Actes aber wuchs ihr Spiel zu alles mitreißender dramatischer Gewalt empor, um dann in der Sterbescene wieder zu rühren und zu erschüttern. So warm, wahr und schön das Spiel der Künstlerin, so warm, edel und schön war auch ihr Gesang; sie fand ebenso glücklich die Töne lockendster Lebensfreudigkeit, wie solche der innigsten Hingebung und des fascinirenden Verlangens. Fast gleichwerthig stand dieser Leistung jene des Herrn van Dyck als Desgrieux zur Seite; er verlieh dem Verehrer Manon´s ein wahrhaft südliches Feuer, und wenn wir es auch gerne gesehen hätten, wenn der Sänger seine oft gerügten Fehler – welche wohl als die schlimmen Ueberreste früher gewohnter schauspielerischer, declamatorischer und gesanglicher Coulissenreißerei erscheinen – noch mehr beherrscht hätte, weil dadurch die Gestalt des Helden noch wahrer und künstlerischer ausgestaltet worden wäre, so müssen wir doch bekennen, daß Spiel und Gesang des Künstlers gleich seiner Partnerin von mächtigster Wirkung waren. Besonders schön sang Herr van Dyck die Traumerzählung und im dritten Acte die Arie „Flieh, oh flieh“, welche Nummern ich auch bei offener Scene rauschenden Beifall einbrachten. Die sonstigen Mitwirkenden (...) thaten wacker ihre Schuldigkeit, ebenso der Chor und das Orchester unter Director Jahn´s Leitung, welch´ letzteres insbesondere das Vorspiel zum dritten Acte mit wahrhaft classischer Vollendung spielte.

Die Inscenesetzung entsprach vollauf den Traditionen der Hofoper; die Ensemblescenen waren von großer Lebendigkeit, die neuen Costüme ebenso geschmackvoll als reich. Von den neuen Decorationen, welche Meister Anton Brioschi (der Theaterzettel nannte seltsamerweise als k.k. Hoftheatermaler einen J. Brioschi, der gar nie existiert hat) geschaffen hat, ist das Spielzimmer im vierten Acte ein Stück glanzvoller Saalarchitektur, die Decoration im ersten Acte, zu welcher das Wirthshaus, der Pavillon und die Häuser im Hintergrunde neu gemalt wurden, ist ein reizendes kleinstädtisches Straßenbild; geradezu ein Cabinetstück der Interieur-Malerei aber ist die Decoration zum zweiten Bilde des dritten Actes, das Sprechzimmer im Kloster St. Sulpice, welches von Brioschi nach den von Massenet eingeschickten Copien der Pariser Skizzen mit vollendeter Meisterschaft ausgeführt wurde. So wirkten denn alle Momente zusammen, um den Erfolg der Novität zu einem vollständigen zu gestalten. Wohl empfand das Auditorium, welche alle Räume des Hauses bis auf das civile Stehparterre dich gefüllt hatte, einiges Befremden, als die operettenhaften Ansätze des ersten Actes erklangen, aber mit dem Fortschreiten der Handlung wuchs auch das Interesse und die Theilnahme am Werke; schon nach dem kurzen Liebesduett im ersten Acte erscholl Beifall bei offener Scene, nach dem Schlusse des ersten und zweiten Actes wuchs dieser Beifall lebhaft an, und die Hauptdarsteller konnten für mehrfachen Hervorruf danken; nach dem meisterhaft gespielten und gesungenen Duette im zweiten Bilde des dritten Actes, wie gesagt dem Höhepunkt des ganzen Werkes, aber brauste tosender Applaus durch den Raum, der Ruf nach dem Schöpfer des Tonwerks erscholl immer kräftiger, und so mußte denn Massent mit den beiden Trägern der Hauptrollen, stürmisch begrüßt, mehrfach vor der Rampe erscheinen. Und die einmal angefachte Begeisterung des Publicums wollte nicht mehr zur Ruhe kommen; sie hielt bis zu rührenden Schlusse der Oper an, und machte sich auch hier durch rauschenden Beifall und zahlreiche Hervorrufe des Compositeurs und der Darsteller geltend.

So scheint es, daß Massenet´s „Manon Lescaut“, Dank der interessanten Handlung, Dank dem musikalischen Werthe der Composition, Dank der glänzenden Inscenesetzung und Dank insbesondere der prächtigen Leistungen des Frl. Renard und des Herrn van Dyck, für die Hofoper den glänzendsten äußeren Erfolg der letzten Jahre bedeuten wird.“
(Wiener Presse. Deutsch-liberales Wochenblatt. 24.11. 1890)

Manon in der Satire

„Manon-Renard ist ein liebes, gutes Mädel und befindet sich auf dem besten Wege ins Kloster, wobei
ihr Herr Cousin , der fesche Gardist (Herr Sommer) ihr behilflich ist. „Nur einen Moment Geduld, liebe
Manon – ich muß nur auf ein Vierterl G´spritzten!“

Und während er sich so that laben
Lernt kennen sie ´nen feschen Knaben:
Es ist van Dyck, Chevalier Des Grieux –
Das Andere, das wissen S´ eh´!

Ob Manon sich beim ersten Chevalier ihres Herzens sich sonderlich Wohl fühlt, erscheint dem Chronisten zweifelhaft: besteht doch das Menu des Soupers aus einer musikalischen Traumerzählung und Speisen sie doch sozusagen Couvert nur zu jenem Briefe, den der Chevalier an den gestrengen Papa (wahrscheinlich um
Geld) geschrieben hat.

Da kommt das Schicksal, roh und voller Tücke,
Und faßt den Tenoristen beim Genicke:
Vom strengen Herrn Papa entführt zu werden,
Das ist das Los der Liebhaber auf Erden.

Die gute Manon hat inzwischen eine Schule des Trostes für höhere und die höchsten Jungfrauen gegründet, darin sie die Lehre verbreitet, daß ein Chevalier am besten verschmerzt wird, in dem an sofort möglichst viele andere an ihre Stelle setzt. Und also trifft sie den „Alten“ ihres Chevaliers, Grengg, den Bartlosen.
„Wie geht´s dem Herrn Sohn? Alleweil recht g´sund?“
„Dank der Nachfrag´, er is aus Liebesgram in´s Kloster gangen.“
„So? ... Jetzt geh´ ich auch in´s Kloster!“

Und wirklich – sie folgt ihm:
„Du schaust mich an und kennst mich nicht?
So komm´ doch süßer Bösewicht!“
Hart bleibt das Herz des Herrn Abbé:
„Nix deutsch, Mademoiselle – jamais!“

Was aber eine echte Manon ist, gibt auch die Belagerung der dickste Klostermauern nicht so leicht auf.
Wachsweich wird´s Herz des Herrn Abbé:
„Kumm´, fahr´n m´r a´, Manon – Dulliäh!“

Als aber sämmtliches Gerstel zur Neige gegangen war und sie in eine Spielhölle geriethen, da tauchten in derselben zwei höhere Gewalten auf: Frau Fortuna – für ihn – o heilger Sittenkodex – der „Wachter“ für sie! ...

Und auf der Straße nach jenem scharfen Lande, wo für besserungsbedürftige Jungfrauen der Pfeffer und die Sittenreinheit wachsen, da treffen sie sich wieder:
„Mein Chevalier, mir ist so bang heut´!
Ich stirb... weißt Du an welcher Krankheit?“
„Manon, ´s ½ 11 soeben –
Genug Grund, länger nicht zu leben!“
(Die Bombe. X. Jahrgang Nr. 47. 1890)


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2007 - © Dominik Troger