ENRICO CARUSO WIEN 1906
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Vor 100 Jahren, am 6. Oktober 1906, debütierte Enrico Caruso an der Wiener Hofoper. Er sang den Herzog in Verdis „Rigoletto“. Schon im Vorfeld wurde das Ereignis groß angekündigt. Caruso wurde dem Wiener Publikum als „der berühmteste und bestbezahlteste italienische Tenor der Gegenwart“ vorgestellt. Das konnte man zumindest in den „Wiener Bildern“ lesen, einem für damalige Verhältnisse modernen Wochenblatt mit jeder Menge abgedruckter Fotografien – darunter auch einer von Caruso. Die Hofoper nutzte Carusos Ruhm für eine satte Erhöhung der Kartenpreise, teils um mehr als das Dreifache (die Logenpreise kletterten von 60 auf 200 Kronen). Die Wiener kauften die Karten trotzdem gierig (dabei hatte erst vor kurzem eine Erhöhung der Parkettpreise an den Hoftheatern um 2 bis 4 Kronen einen Sturm der Entrüstung entfacht). Carusos Honorar wurde im Vorfeld der Aufführung mit 3.000 Kronen kolportiert. Er spendete die Summe dem Pensionsfond der Hofoper, zu dessen Gunsten die Vorstellung gegeben wurde. Nachstehend eine zeitgenössische Rezension seines ersten Auftritts als Rigoletto-Herzog. Sie zeigt, dass man sich in Wien einen „typischen italienischen Tenor“ erwartet hatte – und dass Carusos Darbietung nicht auf den Effekt berechnet war, sondern auf die Ernsthaftigkeit seines künstlerischen Anliegens. „Das
Hofoperntheater hat die Sehnsucht der Wiener nach Enrico Caruso
endlich durch eine außerordentliche italienische Vorstellung
zu Gunsten des Pensionsfonds gefüllt. „Rigoletto“
wurde aufgeführt – eine ungünstige Wahl, da,
wie schon der Titel sagt, die Rolle des Herzogs in zweiter Linie
steht, da weiter die eigentliche Stärke Carusos in der
Darbietung dramatischer Partien liegt. Das Publikum, seit Wochen
in einen Caruso-Taumel gehetzt, erwartete Sensationen. Herr
Caruso zeigte ihnen aber den Künstler. Er schmeichelt nicht
der Menge, er will auch nichts ertrotzen. Er singt. Zuerst tastete
seine Stimme, ein robuster Heldentenor, der aus dunklem, breiten
Grunde in wunderbar gleichmäßigen Übergängen
leicht und frei zur hellen Höhe strebt, vorsichtig in dem
Raume. Herr Caruso schien sich auf die Umgebung zu stimmen,
die er während des ganzen Abends, so sehr ihm die Mittel
das erlauben, nicht in den Grund zu singen trachtete. Langsam
gewann er die Fühlung und Führung. Auch dieser Vorgang
ist echt künstlerisch. Hatte er nun einmal den Herzog in
„Rigoletto“ gewählt, so suchte er über
ihn nicht hinauszuwachsen. Auch in der berühmten Kanzone
vermied er eitle Selbstbeleuchtung; er hat immer den dramatischen
Zweck im Sinne – bei einem von der Welt verwöhnten
italienischen Tenor ein seltener, nicht genug zu rühmender
Vorzug. Das Beste gab er darum auch in dem Quartett, dem er
sich, allerdings mit überragender Kunst, einzuordnen wußte.
Die Stimme hat keine besonders charakteristische, individuelle
Färbung; sie hat nicht hinschmelzende Süßigkeit
oder schmetternde Töne, nicht faszinierende sinnliche Reize,
denen das Ohr oder das Herz erliegt. Alle Extreme, die der Italiener
gern zur Manier gestaltet, sind ihr fremd. Wohl aber hat sie
außerordentliche Fülle und eine gesunde Kraft, die
sich ebenmäßig zur Weichheit mildert, die ebenso
gleichmäßig, alle Töne sorglich abrundend, zur
vollen Stärke anschwillt. Mit diesen Tugenden begabt, läßt
Herr Caruso alles, was wir sonst heute Tenor zu nennen lieben,
weit hinter sich zurück. Aus dem Gesamtrepertoire der italienischen
Gesangeskunst, vom Ansatze bis zum Verbinden und freien Ausströmen
der Töne, fehlt ihm kein Stück. Er serviert diese
Künste aber nicht nach der Art der eitlen Stimmkollegen,
sondern gebraucht sie so einfach und selbstverständlich,
daß sie Natur erscheinen. Die Darstellung ist in der Herzogsrolle
nur an das Konventionelle gebunden – Spiel mit Handschuhen.
Doch wirkte Herr Caruso in der Schenke mit leicht realistischen,
humorvollen Zügen... Caruso hat in Wien nur 14 Vorstellungen gesungen, zuletzt 1913. Sein geplantes Gastspiel im Herbst 1914 kam wegen Ausbruch des I. Weltkriegs nicht zustande. 2006 - © Dominik Troger |