GIULIETTA E ROMEO
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Theater an der Wien
27. Jänner 2018
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: George Petrou

Orchester: Armonia Atena

Gilberto - Xavier Sabata
Giulietta - Ann Hallenberg
Romeo - Yuriy Mynenko
Everardo - Daniel Behle
Matilde - Irini Karaianni

Teobaldo - Sebastian Monti


„Romeo und Julia zwischen Barock und Romantik“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien lud Samstagabend zu einer außergewöhnlichen Rarität: „Giulietta e Romeo“ von Antonio Zingarelli. Die Oper wurde 1796 in Mailand uraufgeführt.

Antonio Zingarelli lebte von 1753 bis 1837 – und er hat die neapolitanische Opera seria noch ins 19. Jahrhundert „geführt“, wo sie dann in der Gunst beim Publikum rasch verblasst ist. Bemerkenswert an Zingarelli ist das „biblische Alter“, das er erreicht hat: Der Zeitgenosse Mozarts wurde noch zu einem Zeitgenossen Bellinis, den er auch in Neapel selbst unterrichtet hat. Zingarelli war ein durchaus bekennender „Konservativer“ und ein Verteidiger der alten Komponistenschule.

Die lange Lebensspanne begründet auch ein wenig das „opernhistorische Schicksal“ des Komponisten, von dem man aus heutiger Sicht und etwas überspitzt behaupten könnte, dass er eigentlich zeitlebens kein „moderner“ Komponist gewesen ist, auch wenn seine Werke – vor allem sein „Giulietta e Romeo“ – sich über einige Jahrzehnte großer Beliebtheit erfreut haben. Der Bruch im Publikumsgeschmack an der Wende zum 19. Jahrhundert, der von den antiken Stoffen genug hatte und in der Oper einen neuen, zunehmend „bürgerlichen“ Selbstausdruck gesucht und gefunden hat, führte für die traditionelle Opera seria zu dem Dilemma, ihr musikalisches Pathos an eine handlungsmäßig „niedere Stilebene“ anpassen zu müssen. Die italienische Opera buffa, der solche Skrupel fremd waren, machte hingegen Furore.

Dieser Widerspruch wird sehr gut an Zingarellis „Giulietta e Romeo“ sichtbar, wenn beispielsweise Everardo, der hartherzige Vater Giuliettas, im ersten Akt mit „La dai regni“ eine Rachearie hinlegt, die auch dem Mozart’schen „Idomeneo“ entsprungen sein könnte – oder an der folgenden Szene, in der Teobaldo die Furien der Unterwelt beschwört. (An dieser Stelle – und nicht nur an dieser Stelle – geistert auch ein bisschen Mozarts „Don Giovanni“ durch die Partitur). Es gibt aber genauso Passagen, vorzüglich das Liebespaar betreffend (etwa das Duett im ersten Akt „Oh cori palpiti“), die auf die romantische italienische Oper eines Bellini verweisen. Am Schluss wird vom Chor dem Publikum noch eine von Pauken begleitete Moral serviert, die auf das düstere Treiben des Hasses verweist und die ganz im Sinne der Aufklärung zu begreifen ist. Zusammenfassend könnte man also zum Schluss kommen, dass Zingarelli ein wenig „zwischen den Stühlen sitzt“, dass seine Oper eine reizvolle Rarität darstellt, aber im individuellen musikalischen Ausdruck doch weit hinter Mozart und Bellini zurückfällt.

Um dieses Urteil aber nicht so einseitig stehen zu lassen, sei auf einen interessanten zeitgenössischen Vergleich zwischen Zingarellis „Giulietta e Romeo“ und Bellinis „I capuleti e i montecchi“ verwiesen. In der Wiener Theater-Zeitung vom 19.April 1834 finden sich anlässlich einer Münchner Aufführung von Bellinis Romeo-und-Julia-Vertonung folgende Sätze: „Dieses Terzen- und Sextenwesen im ersten Acte; diese schleppenden Duette in den beiden andern, mit den wiederkäuenden Motiven, mit den ermüdenden Wiederholungen! Eine Note von dem Zingarelli’schen „Romeo und Julie“ verschlägt zehntausend solche Noten. Im Zingarelli ist Gluth und Charakter, Tiefe und Erfassung der Leidenschaft; aber im Bellini ist nichts, als – italienische Gesangsgenüsse! Dass diese Oper hier nicht gefiel, kann man leicht entnehmen; obwol die Aufführung nicht ungelungen zu nennen ist.“

„Giulietta e Romeo“ basiert natürlich auf der oft vertonten Liebesgeschichte, die vor allem in der Gestalt des Shakespear’schen Dramas „unsterblich“ geworden ist. Im ersten Akt wird der Konflikt der beiden Veroneser Familien gezeigt, Romeo und Giulietta verlieben sich, Tebaldo wird getötet. Im zweiten Akt wird heimlich geheiratet und Giulietta trinkt den Scheintod-Trank. Der dritte Akt spielt in der Gruft und ist ganz dem traurigen Schicksal des Liebespaares gewidmet – wobei Julia an gebrochenem Herzen stirbt.

Die im Theater an der Wien gespielte Fassung war bereits bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2016 gegeben worden – in teilweise gleicher Besetzung. Im Wesentlichen hat man sich auf die Version von 1796 fokussiert. Die Oper hat in ihrer kurzen Wirkungsgeschichte aber eine Reihe von Bearbeitungen erfahren: Aus späteren Fassungen wurde die durch den Kastraten und berühmten Romeosänger Girolamo Crescentini vertonte Arie „Ombra adorata, aspetta“ ausgewählt, weiters Romeos Kavatine „Che vago sembiante“ und das Duett „Dunque mio bene“.

Die Aufführung selbst wurde leider durch die aktuelle Grippewelle beeinflusst. Max Emanuel Cencic, als Romeo geplant, musste absagen. So wurde mit Yuriy Mynenko der philosophische Scipio vom Mittwoch zum leidenschaftlichen Romeo am Samstag – und das bereits gedruckte Programmheft um einen Einlagezettel mit der Biographie des Countertenors ergänzt. Mynenko, der die Partie innerhalb von drei Tagen erlernt hat, wie der Direktor des Hauses am Beginn der Vorstellung dem Publikum kund getan hat, gelang ein begeisterndes Einspringen. Die Partie des Romeo und des Gilberto sind für Kastraten verfasst worden (den Romeo haben sich aber bald auch Primadonnen angeeignet). Xavier Sabata (Gilberto), der zweite Countertenor auf dem Podium, musste sich wegen einer Verkühlung ansagen lassen. Ein bisschen verschattet klang die Stimme, und sie wurde von Sabata (der am Mittwoch im Theater an der Wien an Mynenkos Seite noch einen prächtigen Lucejo in Händels „Publio Cornelio Scipione“ gesungen hat) verständlicher Weise mit merklicher Bedachtsamkeit durch den Abend geführt.

Ann Hallenberg steuerte die Giulietta bei: Ihr klangvoller, barocke Virtuosität in allen Facetten auslebender Mezzo fand an diesem Abend nicht zu gewohnter Form. Ich dachte nachher, die Partie könnte ihr vielleicht zu hoch liegen. Sie hat die Giulietta aber bereits 2016 bei der erwähnten Salzburger Aufführung gesungen. Ein Youtube-Mitschnitt aus Salzburg belegt, dass ihr Mezzo im Vergleich zu damals in der Höhe nicht so rund und klangschön tönte.

Daniel Behle gab den böse polternden Vater, der am Schluss vom Schicksal ganz „niedergedrückt“ wird. Sein lyrischer Tenor fand wenige Möglichkeiten zu glänzen. Während er sang, wünschte ich mir, er würde hier und jetzt einen Idomeneo singen. Die Stimme verbindet Kraft und Geschmeidigkeit und ihr nicht zu reichhaltiges Timbre würde dem griechischen Feldherrn einen schönen „klassischen“ Zug verliehen haben. Aber für Zingarelli ist es natürlich bedenklich, wenn man sich beim Hören seiner Oper wünscht, der Tenor möge lieber eine andere Partie aus einer ganz anderen Oper singen. (Eine Web-Recherche ergab: Behle hat als Ideomeneo vor fünf Jahren in Frankfurt debütiert.)

Noch undankbarer ist die, auf den ersten Akt begrenzte Partie des Teobaldo, der nur auf der Bühne steht, um seinen Zorn zu artikulieren und um umgebracht zu werden. Sebastian Monti bot das, was man solide nennt – und selbiges trifft auch auf Irini Karaianni als Matilde zu.

Die Armonia Atena spielte Zingarelli so, als wäre es eine Oper von Leonardo Vinci. George Petrou dirigierte, begleitete am Hammerklavier, und sorgte wieder für viel Leidenschaft. Zingarelli hat außerdem viele hübsch arrangierte Noten unter die Bläser gestreut, die reizvoll ausgelebt wurden. Man könnte sich aber die Frage stellen, wie sich Zingarellis Musik in einer etwas weicheren, leuchtenderen, der Romantik näheren Klangsprache ausgenommen hätte?

Das Publikum war nach rund zweieinhalb Stunden (inkl. einer Pause) begeistert, es stellte sich sogar rhythmisches Klatschen ein.

Fazit: Bei dem derzeit großen Angebot an hervorragenden Countertenören macht es Sinn, solche Werke dem Vergessen zu entreißen. Die Chance, dass dabei ein Meisterwerk entdeckt wird, ist allerdings nicht sehr groß.