WEISSE ROSE
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MuTh
30. Juni 2017

Musikalische Leitung : Kaspar Zehnder

Inszenierung: Anna Drescher
Bühne & Kostüme: Hudda Chukri
Licht: Mario Bösemann
Video: Florian Bartl

Orchester:Sinfonie Orchester Biel Solothurn

Veranstaltung des Armel Opera Festival Budapest


Sophie Scholl - Marion Grange
Hans Scholl - Wolfgang Resch


Melancholische Vergangenheitsbewältigung

(Dominik Troger)

Das Budapester Armel Opera Festival hat heuer eine Dependance im MuTh am Augartenspitz aufgeschlagen. Die erste von vier Aufführungen galt Udo Zimmermanns „Weiße Rose“, Szenen für zwei Sänger und fünfzehn Instrumentalisten in der Fassung von 1986.

Ferienbeginn ist natürlich kein guter Zeitpunkt, um in Wien mit einem neuen Opernfestival Station zu machen. Der Besucherandrang hielt sich in engen Grenzen. Immerhin braucht man im MuTh keinen Gelsenspray – dafür wird selbiger hundert Meter weiter für die Filmenthusiasten angeboten: Besucher der Open Air-Veranstaltung „Kino wie noch nie“ können um drei Euro ihr Ticket an der Kassa um einen Insektenschutz upgraden. Aber es ist offenbar heutzutage so, dass die Menschen lieber mit Gelsen ins Freiluftkino gehen, statt ohne Gelsen in zeitgenössische Oper. Dabei habe ich unlängst den Teil des Wiener Publikums, der sich auch für zeitgenössisches Musiktheater interessiert, als „verlässlich“ bezeichnet. Doch letzte Woche im Schönbrunner Schlosstheater waren auch nicht mehr Fans französischer Barockoper zu finden, als an diesem Abend im Muth auf die „Moderne“ aus gewesen sind. Ob das geteilte Leid beide Veranstalter trösten wird?

Das Schicksal der Geschwister Scholl, die als „Weiße Rose“ ihren Widerstand gegen das NS-Regie artikuliert haben und 1943 hingerichtet worden sind, hat den Opernkomponisten Udo Zimmermann lange beschäftigt. Nach einer ersten Fassung 1967 und einer Umarbeitung 1968 hat der Komponist zusammen mit dem Librettisten Wolfgang Willaschek denn Stoff noch einmal völlig neu gestaltet. Diese Fassung wurde 1986 in Hamburg uraufgeführt. In dieser Neufassung gibt es nur mehr zwei Protagonisten und wenig realweltliche bzw. historische Bezüge – auch wenn die Handlung in den letzten Stunden des Geschwisterpaares vor ihrer Hinrichtung spielt. Die Neubearbeitung zielt darauf ab, Sophie und Hans Scholl nicht als Märtyrer zu feiern, sondern ihnen ein Erbe zu gewinnen, das sich ganz allgemein den Gewissensfragen nach Freiheit und Wahrheit in einer modernen Gesellschaft stellt. „Was kann ich heute tun?“ soll demnach die Devise heißen und nicht „Was hätte ich damals getan?“

In sechzehn, sehr lose miteinander verbundenen Szenen läuft ein innerer Monolog ab, streifen Sophie und Hans Scholl durch Erinnerungen, haben sie Visionen, zeigen sie Angst und Hoffnung. Das etwas pathetisch angehauchte Libretto durchmischt Brief- und Tagesbuchauszüge der Geschwister mit weiteren Texten. Die erste und die fünfzehnte Szene sind klammerartig verbunden, Zimmermann nimmt das lyrisch flehende Psalmzitat „Gib Licht meinen Augen ...“ vom Beginn noch einmal auf, ehe sich in der 16. Szene die Protagonisten appellartig (und mit fast „brechtisch" anmutenden Botschaften aufwartend) an das Publikum richten. „Nicht schweigen, nicht mehr schweigen“. Laute verzerrte Marschmusik kündigt dann die bevorstehende Hinrichtung an. „Sterbe ich durch den Strick oder durch das Fallbeil“, das sind die letzten Worte von Sophie.

Die Musik stützt stark die elegische Komponente des Textes, „ästhetisiert“ so manchen Schrecken, der sich hinter dem collageartig zusammengestellten Libretto verbirgt. Sie ist oft lyrisch gehalten, liebt sinnliche Streicher in hohen Lagen, und sucht mit einzelnen Instrumenten – etwa die Querflöte bei Sophie – den engen Dialog mit den Sängern. So wird oft eine gefühlsbetonte, langsam ausschwingende Melancholie gepflegt, die die innere Spannung der Protagonisten übertüncht. Vermehrt wird dieser Eindruck durch Anklänge an protestantische Choräle und an Schuberts liedhafte Formen. Im Finale steigert sich die Musik zu einem brutal-erschütternden „Marsch--Crescendo“. Die Singstimmen sind eher hoch notiert, vor allem Sophie hat in einigen Szenen eine unangenehm hoch liegende Tessitura zu bewältigen. Das mag damit zu tun haben, dass Sophie als Charakter nervöser angelegt ist, erregter, angesichts ihres Schicksals weniger gefasst erscheint als Hans.

Bereits die Besprechung der Uraufführung in DIE ZEIT 11/1986 stellte die Frage, ob man dem Werk mit einer konzertanten Aufführung nicht besser beikommen könnte, als auf der Bühne. Der Abend im MuTh hat diese Frage bekräftigt. Einerseits ist dieses Werk allein schon durch seinen Namen stark historisch verortet, andererseits bauen Libretto und Musik zu „unverfängliche“ Assoziationsräume, die kaum mehr „weh“ tun. Vor allem aber verfügt diese „Oper“ über keine eigentliche Handlung. Deshalb ist jede Inszenierung an dem Maßstab zu messen, ob und wie es ihr gelingt, auf dieser Basis überhaupt dramatische Spannung zu erzeugen, und ob sie es schafft, aus dem vorhandenen Material für das Publikum eine sinnvoll erscheinende „Geschichte“ aufzubereiten.

Das Armel Opera Festival hat eine Produktion des Biel Solothurner Theaters nach Wien gebracht. Das Regieteam um Anna Drescher war für das Inszenierungskonzept, das dieser Produktion zugrunde liegt, mit dem Europäischen Opern-Regiepreis 2015 ausgezeichnet worden. Aber Drescher ist es auch nur sehr bedingt gelungen, auf der Bühne spannende, für das Publikum ein sinnvolles Ganzes ergebende Bilder zu erzeugen – eigentlich hat das nur einmal funktioniert, wenn der Bühnenraum (Hans: „Der enge, graue Raum“) immer enger wird und sich schwarze Wände auf die Geschwister zuschieben und sie zu zermalmen drohen.

Am Beginn saßen die Geschwister einander auf halbdunkler leerer Bühne gegenüber. Bald wechselte diese Ruhe mit kindlichem Herumbalgen ab, und verlieh den Figuren eine Bewegungsdynamik, die nicht mehr zum Text und zur Musik passen wollte– und auf weiße, vom Schnürboden herabschwebende, streifenartig geschnittene „Papierbahnen“ wurde ein Alpenidyll projiziert (vielleicht ein Erinnerungsmoment, weil Sophie etwas kitschige naturlyrische Anwandlungen pflegt). Später galoppierte unvermittelt ein apokalyptisches Pferdegerippe als Projektion über die Bühne. Auch andere szenischen Gedankensprünge – wie der einen Apfel schälende und Stücke zum Verzehr abschneidende Hans – wirkten auf mich übertrieben „assoziativ“ bis unpassend. Konkret auf die Historie spielten geworfene Flugblätter an, die in einem Koffer angeschleppt worden waren.

Das letzte Wort hat in dieser Produktion nicht Zimmermann, sondern es werden einige Takte des Forellenquintetts eingespielt – mit leicht kratzigem Sound wie von einer alten Schallplatte tönend. Die Inszenierung bezieht sich dabei offenbar auf einen im Programmheft abgedruckten Brief Sophies, in dem sie schreibt, sie lasse sich vom Grammophon gerade das Forellenquintett vorspielen, und sie möchte am liebsten selbst eine Forelle sein, wenn sie das Andantino hört. Dieser Bezug ist ohne Lektüre des Programmhefts nicht verständlich, auch wenn die Schubert’sche Sentimentalität gut zu Zimmermanns Musik passt.

Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Kaspar Zehnder spielte mit schlankem, gepflegtem, leicht trockenen Tonfall, der mehr auf eine sinnliche Idylle setzte, als auf große Kontraste. Ein Eindruck, den der gerade bei Piani sehr hellhörige Saal des MuTh noch verstärkte. Ob man nicht doch mehr Spannung aus der Partitur herausholen könnte, oder ob ihr nicht gerade dieses langsame, berührende Element Zeitlosigkeit und letztlich auch ihren unbestrittenen Erfolg verleiht wie die Aufführungszahlen belegen?

Sophie und Hans Scholl wurden von Marion Grange und Wolfgang Resch verkörpert. Sie spielten zwei moderne Jugendliche, die Texte singen, die eigentlich nicht zu solchen Jugendlichen zu passen scheinen. Marion Grange ließ einen lyrischen Sopran hören, dem aber die schon angesprochene hohe Tessitura zu viel Mühe machte. Um diesen schwebenden Tonfall zu erreichen, der Zimmermann vorgeschwebt sein mag, müsste die Stimme leichter und lockerer diese Sphären durchwandern. Wolfgang Reschs Bariton kam mit der „Höhenlage" besser zu recht, sein Bariton zeigte sich schlank, geradlinig, emotional wirkte er insgesamt nüchterner als seine Soprankollegin. Für beide gilt, dass die Akustik den Stimmen etwas an Wärme genommen haben dürfte. Der Beifall erreichte schon wegen der geringen Besucheranzahl keine Orkanstärke, hielt aber eine angemessene Zeitspanne lang an.

PS: In Wien wurde die Neufassung 1987 von der Wiener Staatsoper im Künstlerhaus gespielt. 1998 gab es eine Produktion im Odeon von der Musikwerkstatt Wien. 1999 erfolgte eine Aufführung der Wiener Staatsoper im alten Reichsratsitzungssaal des Parlaments anläßlich des Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus. Seither dürfte das Werk in Wien nicht mehr aufgeführt worden sein?