ZORA D.

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Kammeroper
8.11.2003

Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza
Inszenierung: David Pountney / Nicola Raab
Ausstattung: Robert Innes Hopkins

Orchester Wiener Kammeroper

(Österreichische Erstaufführung 25.10.03)

Mina/Zora/Die Frau mit dem silbernen Schal - Aile Asszonyi
Der Fremde / Prof. Kostic/ Antwiquitätenhändler /Jovan - Martijn Sanders
Vida, eine alte Frau - Rachel Ann Morgan
Die junge Vida - Margriet van Reisen


Spaziergänge und Spukgeschichte

(Dominik Troger)

Eigentlich lockte mich die Hoffnung auf eine Stunde voll mit britischem Sarkasmus in die Kammeroper: „Mr. Emmet“ hatte zu einem von Peter Maxwell Davies komponierten „Spaziergang“ geladen – bei dem man auch gleich die angenehme Bekanntschaft mit „Zora D.“ von Isidora Zebeljan machen konnte...

Spaziergänge können ganz unterschiedlicher Natur sein. Es gibt Menschen, die singend durch Parkanlagen schwadronieren, andere lieben das Besichtigen von Bauwerken, dritte mögen es am liebsten mit Hund. Nun, Mr. Emmet ist einer von den unromatischen Spaziergängern: er hat es meistens eilig, denn er hat einen Termin. Er ist ein Geschäftsmann, und er hetzt zu einer Vertragsunterzeichnung. Dabei gerät er unter einen Zug. Das heißt, eigentlich bringt er sich um. Nur warum, das ist nicht so recht ersichtlich. Die Oper, die eine knappe Stunde dauert, soll die letzten Lebenssekunden von Mr. Emmet subsummieren, seine Erinnerungen, Träume, Sehnsüchte, Verzweiflungen. Schon zu Beginn fährt ein Zug hörbar in die Station ein, am Schluss fährt er über Mr. Emmet. So läuft von Anfang an die Handlung auf den „Nullpunkt“ zu, während der Zug auf den Schienen daher braust wie ein unabänderliches Fatum.

Interessant, dass David Pountney, der Verfasser des Librettos und Regisseur dieser Aufführung, keine szenische Vision für eine adäquate Umsetzung dieser Zu(g)spitzung gelungen ist. Pountney startet zwar mit einem Säuberungstrupp am Bahnsteig, über den video-unterstützt gerade so eine Unfall- oder Selbstmörder-Blutwoge geschwappt ist, aber dann marschiert er einfach Mr. Emmets Erinnerungen der Reihe nach ab, wie eine Sightseeing-Tour. Bis auf ein paar slapstickhafte Szenen ist ihm nicht viel eingefallen, und ehrlich gesagt, Mr. Emmet, ein Allerwelts-Business-Mann, Vertreter für industriellen Reinigungsbedarf, hat auch nicht gerade viel zu bieten.

Aber was ist das jetzt nun? Ist es eine Satire? Ist es eine Metapher über die Plattheiten unseres Lebens? Schließlich wird Davies, dessen Partitur mir diesmal weit weniger pointiert und auf den dramatischen Effekt hin berechnet vorkam, sogar sentimental. Ein kurzes Cello-Solo, das knapp vor Schluss Mr. Emmet einen wirklich schönen „Abgang“ bereitet, lädt zum Verweilen ein. Es ist fast so, als wollte Davies auf Mr. Emmet’s Grab noch Blumen pflanzen. Kann man das, soll man das, muss man das „ernst“ nehmen?

Ein wichtiges Element ist diese „Verhetztheit“ des armen Mr. Emmet, die mich ein bisschen an den „Wozzeck“ erinnert hat. Ein moderner „Business-Wozzeck“ mit Aktentasche, der seine „ToDo-Listen“ heraushechelt während ihm eine unbestimmte, ihn vorwärtstreibende Angst im Nacken sitzt. Das wäre immerhin eine Perspektive. Getrieben und von Hitze-Phantasien geplagt. Ein Held und ein Opfer des Alltags. Aber dazu fehlt der Partitur die radikale Stringenz im Einsatz der musikalischen Mittel. Davies schwankt zwischen Sympathie für Mr. Emmet, der ihm mit Fortdauer der Handlung fast ans Herz zu wachsen scheint, und dem etwas schwarzhumorigen Plot an sich. Da gibt es einen Widerspruch, den ich für mich nicht auflösen konnte. Ergo dessen verließ ich die Kammeroper in Sachen „Mr. Emmet“ mit gemischten Gefühlen, zwar zu Gedanken angeregt, aber unüberzeugt.

Rupert Bergmann widmete sich dem Mr. Emmet mit Intensität und hat dem Typus gut entsprochen. Auch Ingrid Habermann und John Sweeney haben sich überzeugend in das Werk eingebracht. Von beiden war hohe Flexibilität gefordert, weil sie je nach der angepeilten Emmet’schen Lebenstation in ganz unterschiedliche Rollen schlüpfen mussten. Insofern ist diese „Dramatische Sonate“ – so der Untertitel – für SängerInnen sicher auch eine spannende schauspielerische Herausforderung.

Bei „Zora D.“ von Isidora Zebeljan, fand ich den operndramatischen Ansatz „griffiger“ formuliert. Zebeljan entpuppte sich als eine späte Nachfolgerin Glass’scher minimalistischer Melodieschnipsel, die vor sich hin repetieren, bis zum geht nicht mehr. Meist schnipselt sie mit sparsamer Instrumentation und einem gewissen östlich-melodiösen Einschlag, der dem Ganzen eine eigene Charakteristik verleiht. Der Vorteil ist, das sich mit Minimal Music tolle Steigerungsbögen bauen lassen, die einen als Zuhörer hypnotisieren wie ein in kurze Sequenzen geschnittenes Video.

Gleich das Ende der ersten Szene erweist sich als solch ein musikalischer Anlauf, mit prägnanter Durchschlagskraft. Aber danach wird diese emotionale Höhe nicht mehr erreicht, so als scheue die Komponistin, hier schon genannten musikalischen Vorbildern zu ähnlich zu werden. Die Handlung ist ein bisschen kompliziert und verknüpft zwei Zeitebenen. Eine Bibliothekarin (Mina), die immer von dem selben Gedicht träumt, findet dieses Gedicht zufällig in einem Buch abgedruckt. Es ist ein Gedicht von Zora D., die vor 60 Jahren spurlos verschwunden ist. Im Laufe der Handlung klärt sich deren Schicksal auf, es war eine Dreicksgeschichte, an deren Ende Zoras Selbstmord stand. Dabei beginnen sich die Zeitebenen zu überschneiden, Mina wird auch zu Zora, erlebt gleichsam deren Schicksal nach. Aufklärung bringt Zoras ehemalige Freundin und Konkurrentin Vida, die eine albtraumhafte Erinnerungsszene durchleidet, die mich sofort an Tschaikowskys „Pique Dame“ und die alte Gräfin erinnert hat.

Wie auch immer. Das Stück war gut inszeniert. Es wurde viel mit Video gearbeitet, etwa gleich zu Beginn die schwarz-weißen Pappelblätter, während Mina dieses Gedicht vorträgt („Warum flüstern leis‘ im Nachtwind zärtlich Pappeln mit so wildem Zauber?“). Im Laufe der fortschreitenden Handlung wurden schmale Stoffbahnen, die zugleich als Projektionsfläche dienten, von den Protagonisten nach und nach entfernt – bis am Schluss die leere Bühne den Blick auf das im Hintergrund postierte Orchester freigab.

Zebeljan arbeitet auch im dramaturgischen Ablauf sehr gut mit Wiederholungsmomenten, was zu einem ziemlich geschlossenen Gesamteindruck führt. Und am Schluss, wenn alle Mitwirkenden auf der leeren Bühne stehen und das Rätsel gelöst ist, verabschiedet sich Mina = Zora mit einem schwebenden Gesang, dem man gerne nachlauscht. Ein Werk, das mehr von der emotionalen Seite her überzeugt, dass ein wenig spukhaft mit Identitäten spielt und musikalisch eine eingängigere und geradere Linie sucht, als Davies, der sich für seinen Mr. Emmet des „Source-Codes“ von Bach, Mozart u.a. bedient, und das dann gehörig und bis zur Unkenntlichkeit durchknetet. Mit Aile Asszonyi stand als Mina = Zora auch die einprägsamste SängerInnenpersönlichkeit des Abends auf der Bühne.

Das Publikum applaudierte beiden Stücken kurz aber angeregt.