EINE MARATHON-FAMILIE
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Museumsquartier
22.10.2008

(Uraufführung 20.8.2008, Bregenz)

Musikalische Leitung: Premil Petrovic

Inszenierung: Nicola Raab
Ausstattung: Duncan Hayler
Lichtdesign: Norbert Chmel


Oper in einem Akt und 14 Szenen von Isidora Zebeljan
Libretto von Milica Zebeljan, Borislav Cicovacki & Isidora Zebeljan nach einem Stück von Dusan Kovacevic

Isidora-Zebeljan-Orchester

Koproduktion der Neuen Oper Wien mit den Bregenzer Festspielen im Rahmen von KAZ/Kunst aus der Zeit

Maksimilijan - Alfred Werner
Aksentije - Walter Raffeiner
Milutin - Robert Pertl
Laki - Marcel Beekman
Mirko - Marco Di Sapia
Kristina - Jowita Sip
Djenka - Andreas Jankowitsch
Ruzika - Karin Goltz


Serbische Familiensaga

(Dominik Troger)

Von der Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen nach Wien: „Eine Marathon-Familie“ der serbischen Komponistin Isidora Zebeljan macht jetzt die Halle E im Museumsquartier „unsicher“. Nicht nur für Freaks zeitgenössischer Oper eine unterhaltsame, tragikkomische Angelegenheit.

„Eine Marathon-Familie“, das ist ein Stück schwarzer Kömodie, ein Tanzen auf der Nadelspitze der Übertreibung, eine manchmal fast comichafte Revue über den Zerfall patriachalischer Strukturen und die Destruktivität urväterlicher Nationalismen. Eineinhalb Stunden lang wird in der Halle E des Museumsquartiers Vollgas gegeben: von einem Balkan-Brassigen-Vorwärtsstürmen als Turbolader und einem ausgetüftelten Werkzeugkasten an möglichen und unmöglichen Perkussionsinstrumenten begleitet. 1 … 2 … 3… und los!

Die Handlung beruht auf einem Drehbuch des serbischen Autors Dusan Kovacevic und genießt in Serbien angeblich Kultstatus – aber auch ohne soziokulturellem Hintergrund lassen sich die selbstironischen Anklänge durchschauen. Die Geschichte der Bestattungsunternehmerfamilie Topalovic – besser gesagt, deren männlichen Repräsentanten – birgt schon genug Stoff, um daraus einen bissigen Albtraum zu machen. Ist das älteste noch lebende Familienmitglied doch bereits 126 (!!!) Jahre alt. Maksimilijan T. kann sich zwar nur mehr mit einer alten Fahrradhupe verständlich machen – aber was soll’s?

Leidtragend ist in solch einbetonierten hierarchischen Gefügen die Jugend. Am Beispiel des jüngsten Sprosses am Familienbaum, Mirko T., wird das deutlich vorgeführt. Mirko wird nicht ernst genommen, sondern vor allem verprügelt. Seine Liebe zu Kristina, auf die er große Hoffnungen setzt, scheitert. Am Schluss bringt er sie um – und übernimmt handstreichartig das Kommando im Clan. Die kriegerische Ausfahrt gegen Ruzika Python, die Sargrecycling betreibt und bei der die Topalovics hohe Schulden haben, wird zum Gemetzel. Zu einer zart komponierten, ausklingenden Musik finden sich alle im Himmel wieder – oder auch nicht?

Musikalisch bleibt einem vor allem dieses rhythmisch stark betonte Vorwärtshasten in Erinnerung, die Tendenz zur videoclipartigen Wiederholung von Gesangsphrasen, die sich dann plötzlich in artistische Spiralen auflösen, wenn die Figuren ein wenig über ihren brutalen Lebenskontext hinausträumen: Mirko etwa, wenn er von seinem Anteil an der Erbschaft singt, der ihm angeblich vermacht worden ist. (Pantelija T. ist im Alter von 150 Jahren verstorben ...). Da schleicht sich – wenn sich der Bariton kunstvoll in die Kopfstimme verschraubt – etwas Tröstliches ins sandigsargige Bestattungsgewerbe, ein Hoffnungsstrahl, der sich aber zugleich als Illusion erweist. Außerdem hat die Komponistin musikalische Anleihen an der Handlungszeit des Stücks genommen und Unterhaltungsmusik aus den 1930er Jahren eingebaut. Diese wird teils sehr deutlich herausgearbeitet, um dann wieder im minimalistisch bestimmten Duktus der Gesamtkomposition zu verschwimmen. Dass trotzdem ein geschlossener Eindruck vermittelt wird, scheint überraschend, doch die Elemente fügen sich trefflich ineinander.

Eine ganz wichtige Rolle für den Erfolg der Aufführung spielte die Inszenierung (Nicola Raab), die mit stummfilmhaftem Slapstick und einer verwandelbaren und doch so soliden Kulisse wie einem heruntergewirtschafteten Holzhaus, der Vorwärtsbewegung der Musik und ihren heimtückisch gesetzten Pointen um nichts nachsteht. Die Personenführung selbst, die Mimik der Karikatur, legt die Schwachstellen bloss und die unerfüllbaren Sehnsüchte. Trotzdem geht sie nicht so weit, die Bühnenfiguren zu desavouieren. So durfte über aller „Schwärze“ des Stoffes, doch noch der Humor regieren, am Schluss mit einer kleinen Träne im Augenwinkel, Symbol der abermals enttäuschten Hoffnung auf eine bessere Welt.

Aus dem homogenen Ensemble stach vor allem Mirko T. hervor, gesungen und gespielt von Marco Di Sapia, mit gut sitzender, sehr flexibler Stimme (und die wurde auch eifrig herausgefordert). Jowita Sip gab die Liebe suchende, manchmal ein bisschen koloraturverliebtseindürfende Kristina. Die Clanmitglieder schenkten sich sozusagen nichts, und zeichneten ihre wenig liebeswerten Charaktere mit der gebotenen Nachdrücklichkeit – egal ob Maksimilijan T. (Alfred Werner mit Hupe), Aksentije T. (Walter Raffeiner), Milutin T. (Robert Pertl) und Laki T. (Marcel Beekman). Mit beiden Beinen im Bühnenleben stehend: Karin Goltz (Ruzica Python). Andreas Jankowitsch, der sich wegen einer Verkühlung ansagen lassen musste (glücklicher Weise ohne merkbare Folgen für die Aufführung), steuerte einen etwas schmierigen Kinobesitzer bei, der hinter Kristina her ist.

Das aus serbischen Musikern zusammengestellte Isidora-Zebeljan-Orchester unter Premil Petrovic war links hinter der Bühne postiert und sorgte für den nötigen „Drive“ und einen (zu?) kompakten Klang. Rechts vorne durfte sich ein Spezialist am Zerplatzen von Luftballons, dem Scheppern mit alten Töpfen, hüpfenden Löffeln in Bratpfannen, Saugnapfgeräuschen etc. austoben. Eine hübsche Parodie in der Parodie, Geräuschkulisse für Hörspiele und leise vor sich hin knisternden Stummfilm, alleinunterhaltendes Lautkonfekt erster Güte.

Das Publikum spendete viel Beifall mit Bravorufen. Die Komponistin kam selbst auf die Bühne. Hut ab vor einer rundum gelungenen Produktion! Weitere Wiener Aufführungstermine: 24.10 und 25.10. Der Abend dauerte rund eineinhalb Stunden. Keine Pause.