SCHLAFES BRUDER
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Museumsquartier
6.11.2009

Musikalische Leitung: Walter Kobéra


Inszenierung: Leonard Prinsloo
Bühne & Kostüm: Monika Biegler
Lichtdesign: Norbert Chmel
Video: Sigrid Friedmann & Ulrich Kaufmann

amadeus ensemble-wien
Sprechchor der Neuen Oper Wien
Solo-Trompete: Joe Hofbauer

Eliaskind - Leonid Sushon
Elias - Gernot Heinrich
Seff - Arno Raunig
Seffin - Michaela Christl
Elsbeth - Judith Halász
Lukas - Thomas Weinhappel
Peter - Michael Schwendinger
Haintzin - Heidi Manser
Corvinius - Harald Wurmsdobler
Kurat & Sprecher - Stephan Rehm
Dörfler - Claudia Haber, Angela Kiemayer,
Joachim Claucig
, Jörg Espenkott


Ein Hörwunder?
(Dominik Troger)

Der Roman „Schlafes Bruder“ war ein großer Erfolg – die gleichnamige Oper wurde 1996 in Zürich uraufgeführt. Zehn Jahre später veröffentlichte Komponist Herbert Willi eine revidierte Fassung. Diese umgearbeitete Version wurde jetzt von der Neuen Oper Wien im Wiener Museumsquartier präsentiert.

Das Interesse für die Premiere am 3. November war groß – dieser Bericht folgt der zweiten Aufführung vom 6. November. Die Halle E im Museumsquartier war sehr gut besucht, die Spieldauer des Werkes betrug knappe eindreiviertel Stunden (keine Pause). Den Zuschauern wurde eine sorgfältig erarbeitete Produktion geboten, für die sie sich mit freundlichem, aber nicht überschwenglichem Applaus bedankten. So weit, so gut?

Die erste Frage, die sich stellt, richtet sich wahrscheinlich nach dem Verhältnis von Musiktheater und Roman. Es fällt rasch auf, dass Romanautor und Librettist Robert Schneider in Kooperation mit Herbert Willi die Handlung stark verkürzt hat. In acht Szenen plus Pro- und Epilog vollzieht sich das Geschehen, wächst Elias vom Kind zum Manne, trägt er seine innere „Hörvision“ durch Selbstmord per Schlafentzug zu Grabe. Natürlich spielt auch eine Liebesgeschichte eine Rolle – wie in jeder guten Oper.

Doch gerade von dieser Elsbeth erfährt man viel zu wenig, ihre Beziehung zu Elias bleibt unterbelichtet, das Scheitern dieser Beziehung ebenso wie der Grund für den minutenlangen Koitus mit Lukas. Das knappe Libretto mit seinem Hang zu seltsamen, altertümelnden Metaphern und kunstsprachlichen Wortverdrehungen ist nicht dazu angetan, Charaktere zu schärfen. Auf diese Weise entsteht kein Beziehungsgeflecht, gibt es keine Akteure, die in ihrem Streit und Widerstreit die Handlung weitertreiben. Die Szenen wirken sehr isoliert, die Nabe, um die sich alles dreht: Elias – bleibt den ganzen Abend der mystische, leidende Visionär, den der idealisierende Glorienschein eines Schutzengelbildchens umgibt.

Elias wirkt wie das unschuldige Kind, das über die wackelige Holzbrücke schreitet, behütet vom mariengleichen Engel, der blaubemantelt darüber schwebt. Er scheint wie herausgeschnitten aus einem älplerischen Andachtsbüchlein des 19. Jahrhunderts – kein Wunder, dass er sich seine Klangvision nur als spätromantische Mahlerphrase denken kann, in die eine Trompete wie ein Alphorn berghanghallende Weisen streut. Es bedarf wohl einer fast schon religiös zu nennenden Verzückung, um auf Dauer an solchem Charakter Interesse zu finden.

Freilich, vielleicht ist man als städtischer Intellektueller schon zu verdorben und vermag die Reinheit und Klarheit einer klanglichen Gebirgsvision nicht mehr vom Soundtrack eines touristischen Werbefilmchens zu unterscheiden. Es sei auch dem armen Elias zugestanden, dass er in seiner mystischen Naivität gar keine andere Musik „empfinden“ kann. Wie schon die Rezeptionsgeschichte des Romans zeigt, der lange auf einen Verleger warten musste: das Märchenhafte, das sich um diesen Elias rankt, verstört – die Offenheit, mit der sich der Autor den Zynismen des 20. Jahrhunderts aussetzt, irritiert. Die Oper hat auch viel davon: zu viel davon.

Doch ungeachtet solcher Interpretationsversuche, die Kritik am formalen Aufbau bleibt evident, der in seiner verkürzenden Prägnanz den Handlungsfaden kappt, der zugleich – trotz Pro- und Epilog, den Rahmen vermissen lässt, in dem dieses Elias-Leben vorüberrauscht. Und so bleibt abschließend doch zu fragen: Warum begnügte man sich mit einer Kurzfassung des Romans, die die Konflikte so stark verflacht und die Handlung derart abmagert?

Die Musik – wie schon angedeutet – zeigte ein Faible für die Spätromantik – und sie blieb, das war wirklich überraschend, trotz großzügiger Orchesterbesetzung bei der Generierung von Klangvisionen und Hörwundern ziemlich bodenständig und unergiebig. Es gab zu wenige Momente, wo sich die Musik im „Klang“ verlor, wie das gezupfte Schneeflockengeriesel in der ersten Szene. Hier spürte man die Individualität und den Seelenkern Elias‘, das „Werden“ von Musik. Und hätte das nicht das eigentliche Thema sein sollen, die geniehafte Vision vom Klang, die von der Allgemeinheit unverstanden, verhallt?

Die Inszenierung überzeugte durch körperbetontes Spiel – und alle Mitwirkenden zeigten hier großes Engagement. Das Bewegen auf den sechs wuchtigen, weißen Würfelblöcken mit den (Gletscher-)Spalten erforderte viel Präzision, um unkalkulierbare Abstürze zu vermeiden. Da ging es schon „bergtief“ in den Orchestergraben hinunter. In der zweiten Szene beispielsweise, eine Art Exorzismus, entstand packendes Sprach- und Bewegungstheater, die einzelnen Figuren allein und in Gruppen sich exzentrisch gebärdend, Elias umringed, bedrohlich, gewalttätig, ein wenig vom Teufel besessen, der ausgetrieben werden soll.

Trotzdem war die Regie nicht ganz unschuldig daran, dass in diesem abstrakten Rahmen die Natürlichkeit und Kindhaftigkeit des Elias auf Dauer fast kitschig wirkte (und die Videoeinspielungen, diese schönen Menschen, so edel und voller streichelweicher Erotik, das trug schon Züge einer Persiflage). Manches, wie der Auftritt des Predigers in der sechsten Szene, wirkte ohne Bezug zum Geschehen – und verbunden mit den sexuellen Exzessen der Landbevölkerung, nur mehr unverständlich. Seltsam auch der Prolog mit den halbnackten Maskenwesen, den Bedrohungen des Knaben Elias, der eigentlich beständig nur eine Frage generierte: Was geschieht hier und warum? Offenbar war die Regie doch dem Versuch erlegen, mystisches Geschehen darstellen zu wollen, stark auf eine Elias-Sicht der Dinge zu schielen, wofür vor allem die Musik hätte zuständig sein müssen – geht es nicht um die Wahrnehmung der Welt durch Klänge?!

Das Ensemble und das Orchester entsprachen den Anforderungen, soweit sich das bei einem zeitgnössischen Werk, das man zum ersten Mal hört, beurteilen lässt. Die letzte Aufführung von „Schlafes Bruder“ findet bereits am 8. November statt!