BLOND ECKBERT
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Kammeroper
28.2.2008

Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza
Inszenierung: Fanny Brunner
Ausstattung: Thomas Goerge
Lichtdesign: Lukas Kaltenbeck

Orchester der Wiener Kammeroper

(Premiere 21.2.2008)

Eckbert - Matthias Helm
Berthe - Anna Clare Hauf
Walther / Hugo / Alte - Emilio Pons
Ein Vogel - Romana Beutel

Ein Hund (Stumme Rolle) - Jonny Kreuter


Ein Märchen?
(Dominik Troger)

„Blond Eckbert“ beruht auf einem frühen, noch etwas unausgegorenen Kunstmärchen von Ludwig Tieck. Romantisches Waldesraunen umhüllt Inzest und Mord. Die schottische Komponistin Judith Weir hat eine einstündige Oper daraus geschneidert.

„Der blonde Eckbert“ steht am Beginn der Tieck’schen „Phantasus“-Märchen. Er markiert den Aufbruch einer jungen Generation in einen psychologischen „Romantizismus“, der zwischen traumatisch konditionierten Schauer- und Kriminalgeschichten der deutschen Literatur ein Panoptikum eröffnete, in dem wenig später vor allem E.T.A. Hoffmann seine Glanzstücke präsentieren sollte. Tieck, der sich in jungen Jahren auch um den „Blaubart“-Stoff bemüht hat (der in seiner märchenhaft verzerrten, hintergründig sexuellen Metaphorik einiges mit dem „Blonden Eckbert“ gemeinsam hat), erlangte nie Hoffmanns Virtuosität im Umgang mit oben aufgezählten Zutaten. Nur in wenigen Passagen erreicht Tiecks „Märchen“ dramatische Dichte, es sind mehr die „Leerstellen“, die die Phantasie anregen und der damit verbundene Interpretationsspielraum.

Eckbert und seine Frau Berthe leben in der Abgeschiedenheit ein glückliches Leben, doch eines Abends nötigt es Eckbert, dass seine Frau dem Hausfreund Walther eine Begebenheit aus ihrer Jugend erzähle. Berthe schildert daraufhin die Flucht aus ihrem Elternhaus. Ihr Vater hat sie regelmäßig schwer misshandelt, aus Verzweiflung sucht sie das Weite. Sie wird nach langer Wanderung von einer schwarzgekleideten Frau aufgelesen, die ihr Obdach gibt. Sie lernt spinnen, muss Haus, Hund und einen prächtigen Vogel hüten, der Eier mit Perlen legt. Die Jahre vergehen, Berthe wird größer und möchte die Welt sehen. Sie verlässt heimlich ihr neues Zuhause, zieht in die Stadt, tötet den Vogel, der ihr Gewissensbisse macht, lernt Eckbert kennen. Mit den geheimnisvollen Perlen begründen sie ihre Existenz. Nach der Erzählung nennt Walther beiläufig den Namen des Hundes – und Berthe kann sich nicht erklären, warum er ihn kennt und wird darüber wahnsinnig. Eckbert tötet Walther aus Eifersucht und aus Furcht über das verratene Geheimnis ihres Reichtums. Letzlich gelangt auch Eckbert an die schwarzgekleidete Frau, die ihm eröffnet, er wäre mit seiner Schwester verheiratet gewesen.

Vieles an dieser Geschichte wird mehr geahnt als ausgesprochen, es ist ein Spiel mit Stimmungen, paranoiden Wahnvorstellungen plus einer inzestuösen Sinnesverwirrung. Das simple Nacherzählen stößt schnell an seine Grenzen. Ein zentrales Stück nimmt Berthes Erzählung ein, Tieck lässt sie schmerzlich ihre Angst vor den körperlichen Züchtigungen schildern: dass hier eine schwere Traumatisierung vorliegt, ist nicht zu übersehen. Doch sprengt diese Diagnose die Beschreibungsfähigkeit der damaligen Zeit – und vieles flüchtet sich in Bilder, was heute eine deutliche Krankheitsbeschreibung zuließe. Es fällt auf, dass für Judith Weir, die diesen Stoff für die Opernbühne entdeckt hat, das alles keine Rolle spielt. Das Märchen wird in seiner ursprünglichen Form belassen, allerdings noch weiter verkürzt, um sich in eine Aufführungsdauer von einer Stunde zu fügen. Eckbert, in seiner Motivation schon bei Tieck schwer durchschaubar, verschwimmt bis zur Schablonenhaftigkeit, einzig Berthe kann durch ihr rührendes menschliches Schicksal den Zuschauern als Identifikationsfläche dienen. Der eigentliche Konflikt, diese unausgesprochene Dreiecksgeschichte, wird ebenso wenig greifbar wie der Grund für Berthes Verzweiflung. Alles wirkt wie die Illustration in einem Märchenbuch, wie ein Kinderstück aus Papierkulissen.

Weir hat dazu eine dem Waldesrauschen und Vogelsingen abgelauschte Partitur komponiert, eine selten bedrohlich wirkende, meist sinnliche, jedenfalls durchaus reizvolle Musik, die das Märchen zu meinen scheint, wo man als Zuschauer das Seelendrama sucht. Die Oboe leiht dem Vogel ihre Stimme „Waldeinsamkeit / Mich wieder freut ...“, mit hübschen, auch klagenden Verzierungen, die Harfe darf ihre perlenden Töne einstreuen, es zaubert ein Weben und Raunen aus dem Orchester, das in seiner Wehmut und sanften Gebrochenheit wie eine Erinnerung an diese ursprüngliche „Märchenzeit“ erscheint. Und wie schon bei den Personen wird bei der Musik keine Entwicklung greifbar. Ein Zustand mythischer Gegenwart wird konstruiert, der das Bühnenschicksal dieser Menschen neutralisiert – und das ist doch überraschend, immerhin gibt es einen Mord, eine Wahnsinnige und überraschendes „Schlussgeständnis“.

Der Hirschgeweihluster in Eckberts Wohnzimmer, das beständig von den Sängern durch Mimik ausgedrückte „Grauen“, ließen wenig Zweifel daran, dass das Inszenierungsteam größere Anpassungsprobleme hatte. Man versuchte sich teilweise mit Ironie zu behelfen, ganz im Gegensatz zu Libretto und Musik. Immerhin gelang es durch ein paar gute Ideen, diese eine Stunde mit Anstand über die Runden zu bringen: der Vogel auf seinem „Hochstand“ im Orchestergraben in einer Art von Pfauenkostüm gekleidet war prächtig anzuschauen; die Idee, Berthes Erzählung durch einen Film aufzuwerten, der aus ihrer Perspektive die Flucht aus dem Elternhaus zeigt, verlieh dieser zentralen Szene das notwendige Gewicht; die Einbeziehung des Zuschauerraums lockerte auf und schuf neue Perspektiven. Die sängerische Umsetzung ließ nichts zu wünschen übrig, und auch das kleine Orchester unter Daniel Hoyem-Cavazza spielte klangschön und mit viel solistischem Einsatz. Insofern hätte es schon gepasst.

Überaus zahlreich war das Publikum nicht erschienen, aber die Anwesenden bedankten sich mit sehr freundlichem Applaus. Noch der Vollständigkeit halber: Weir hat nach der Uraufführung 1994 eine eigene Fassung für Kammer-Ensemble komponiert, die 2006 das Licht der Bühne erblickte. An der Kammeroper gab es die österreichische Erstaufführung in englischer Sprache dieser „Pocket“-Fassung, in deutscher Sprache war sie schon in Innsbruck zu hören gewesen.

Weitere Aufführungen stehen es bis einschließlich 18. März auf dem Spielplan.