WALLENSTEIN

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Konzerthaus
15.6.2012
Konzertante Aufführung

Dirigent: Cornelius Meister

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Wiener Singakademie

Wallenstein - Roman Trekel
Thekla, seine Tochter - Martina Welschenbach
Octavio Piccolomini, Generalleutnant / Dragoner /
Kapuziner - Ralf Lukas
Max Piccolomini - Daniel Kirch
Graf Terzky - Roman Sadnik
Gräfin Terzky - Dagmar Schellenberger
Illo, Wallensteins Vertrauter - Edwing Tenias
Buttler - Georg Lehner
Wrangel, schwedischer Oberst /
Wachtmeister - Benno Schollum
Gordon / Kürassier / Soldat /
Erster Kürassier - Oliver Ringelhahn
Graf Questenberg /Schwed. Hauptmann / Seni /
2. Kürassier - Dietmar Kerschbaum
Marketenderin - Nina Berten
Mädchen - Claudia Goebl
Jäger / Bedienter /
Kammerdiener - Johannes Schwendinger


Interessante Ausgrabung

(Dominik Troger)

Jaromir Weinberger hat sich mit seinem „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ einen Platz in der Opernhistorie des 20. Jahrhunderts gesichert. Aber seine Oper auf Friedrich Schillers „Wallenstein“ muss als ausgewiesene Rarität gelten, obwohl dieses Werk – eine „Musikalische Tragödie in sechs Bildern“ – 1937 in Wien uraufgeführt worden ist.

Das Wiener Konzerthaus bot in seinem konzertanten Opernzyklus jetzt die Möglichkeit, diese Oper kennenzulernen. Der Abend dauerte inklusive einer Pause rund zweidreiviertel Stunden. „Wallenstein“ entpuppte sich dabei vor allem als Zeitstück, aus dem man vielleicht mehr über die kulturpolitische Situation Österreichs vor dem Anschluss herauslesen kann, als der erste Blick vermuten ließe. Das Programmheft zur Aufführung enthielt zwar dankenswerter Weise das Libretto, machte aber kaum Angaben zu den näheren Umständen der Werkentstehung und der Uraufführung. Deshalb war in diesem Fall ein wenig Recherche angesagt.

Das Datum der Uraufführung – der 18. November 1937 – ist kein Geheimnis. Laut der Online-Datenbank der Staatsoper wurde das Werk insgesamt vier Mal bis Mitte Dezember 1937 gegeben. (Alfred Jerger sang die Titelpartie.) Mögliche weitere Aufführungen verhinderte der Anschluss im März 1938 nachhaltig. Der in Prag geborene Weinberger war jüdischer Abstammung. Er emigrierte 1938 über Frankreich in die USA. Später erlangte er die amerikanische Staatsbürgerschaft, 1967 starb er durch Suizid.

Ein Blick in die Uraufführungskritik der Neuen Freien Presse offenbart eine Überraschung. Das Werk war, wie es dort heißt, „bekanntlich dem Bundeskanzler gewidmet“ – dieser Bundeskanzler hatte sich freilich nicht mit den Schweden, sondern mit den Deutschen herumzuschlagen. Das bringt eine Perspektive in diese Oper, die uns näher liegt, als der Dreißigjährige Krieg. (Zu Wallenstein hat Golo Mann ohnehin schon (fast) alles gesagt.)

Aus heutiger Sicht ist das Substrat, dem dieses Werk seine Entstehung verdankt, schon reichlich schizophren: ein jüdischer Komponist, der eine tschechische Oper schreibt, die mit von Max Brod übersetztem deutschem Libretto im ständestaatlichen Wien uraufgeführt wird – und auch recht martialische Klänge anschlägt bis hin zum Pappenheimer Marsch. Und manchmal klingt das schon wie Filmmusik, wie Wochenschauuntermalung zu geschickt geschnittenen Kriegsberichten. Für das Wien des Spätherbstes 1937 keine unpassende Mischung.

Aus musikalischer und dramaturgischer Sicht ist der Raritätenstatus des Werkes verständlich. Es verlangt außerdem einen enormen Aufwand – schon die Liste der handelnden Personen ist „elends lang“. Im Konzerthaus waren 14 Solisten im Einsatz – und die übernahmen teils bis zu vier (!) unterschiedliche Partien. Insofern ist der Versuch des Librettisten der tschechischen Fassung, Milos Kares, Schillers üppiges Drama in sechs nicht all zu lange Bilder zu „stauchen“, schon bei der Besetzungsliste gescheitert. Zudem erklingt Musik des öfteren auch von hinter der Bühne, immer wieder gibt es Bläsersignale von dort und von da, und der Chor ist ebenso gefordert.

Die Aufführung im Konzerthaussaal war deshalb von vornherein ein Kompromiss, denn ein solch üppig verkomponiertes Opernorchester gehört eigentlich in den Graben. Besonders auffällig war die anvisierte Raumwirkung der Klänge – Weinberger scheint hier recht virtuos gearbeitet zu haben. Das gilt nicht nur für das erste Bild „Wallensteins Lager“, das musikalisch einen recht guten Eindruck hinterließ und von der „gedachten“ Klangwirkung fast modern (und dann auch wieder ein wenig „böhmisch-rustikal“) wirkte.

Im Konzerthaus drängte sich alles ein bisschen zusammen – und das Orchester, auf dem Podium hinter den Solisten platziert, war letztlich doch zu dominant, auch wenn es Cornelius Meister in den längeren rezitativischen Abschnitten recht gut im Zaum hielt. Hier lässt Weinberger das Orchester dann minutenlang „vor sich hin malen“, in einem „Sound“, der von Richard Strauss aufwärts (und Franz Schmidt oder d’Albert sind da auch nicht weit) bis zu deutlichen revuehaften Operettenanklängen so ziemlich alles subsumiert, was damals an „konservativerer“ Klangsprache üblich war. Bezüglich Weinberges stilistischem „Mischmasch“ zeigten sich schon die Besprechungen zur Uraufführung kritisch. „Dieser Vorzug einer seltenen Vielseitigkeit ist aber zugleich der Nachteil des Vorzuges.“ liest man pointiert in der Wiener Zeitung.

Dazu kommt ein eher flaches Libretto, das für eine tiefgründigere Entwicklung eines Charakters wie Wallenstein wenig leistet – und Weinberger hat es kompositorisch zu wenig verstanden, hier musikalisch nachzubessern. So entwickelt sich die Geschichte mehr tableauartig, und wenn Wallenstein im zweiten Bild seinen Monolog „hält“, in dem er kundtut, wie schwierig ihm die Entscheidung fällt, weiter mit den Schweden herumzutricksen, dann lugt bei der Stelle (Zitat aus dem Libretto: „So hab ich mit eignem Netz verderblich mich umstrickt“) im übertragenen Sinn „Wotans Auge“ zur Türe herein. Aber im Gegensatz zu Wotans zentralem Monolog in II „Walküre“, bedeutet Wallensteins Monolog keine Spannungssteigerung oder psychologische Vertiefung – er sorgt vielmehr für das Abflauen des Zuhörerinteresses nach einem lebhaften ersten Bild und ist beispielhaft für eine die ganze Oper bestimmende schwächelnde Dramaturgie.

Gesanglich exponiert hat Weinberger die Partie der Thekla (die mit Max für eine etwas blasse und im Kontext betrachtet recht willkürlich wirkende Liebesgeschichte herhalten muss). Theklas „Liebeslied“ (im Text variiert, aber beide Mal auf „dein" endend) klammert formal das dritte mit dem sechsten Bild, in dem sie es zuerst in Erwartung ihres Liebsten singt – und dann seinem Tod gedenkend. Hier verbindet Weinberger Operette und Puccini mit punktuell gesetzten, schrekerhaften Exaltismen in der Gesangslinie, die sich auch im Liebesduett mit Max fortspinnen und dem ganzen einen schrägen, ungewohnten Zug verleihen, der sich von der gesetzteren, kriegerischen Grundstimmung sehr deutlich abhebt. Diese Grundstimmung erlebt (nach dem „Lager“) mit dem Auftritt der Pappenheimer im fünften Bild ihren „cineastischen“ Höhepunkt, in dem auch der Pappenheimer Marsch erklingt, während das sechste Bild (Wallensteins Ermordung) erst im Finale so richtig greift, wenn die Musik mit starren, requiemhaften Klängen zur Aufbahrung von Wallensteins Leichnam eine nachhaltige Ehrbezeugung abgibt.

Die Besetzung war dem Anlass nur punktuell angemessen. Die Herausforderung, die konzertante Oper in „Musiktheater“ zu verwandeln, stellte sich ganz besonders Roman Trekel als Wallenstein. Aufgrund der Aufführungssituation war es ihm kaum möglich, mit Gestik oder Mimik an Charakter hinzuzufügen, was Libretto und Musik an Ausgestaltung vermissen ließen. Eventuell wirkt seine Interpretation dann auf der CD, die an diesem Abend mitgeschnitten wurde, nachhaltiger, als für mich an diesem Abend.

Leider wurde Trekels gesangliches Niveau nicht von allen Mitwirkenden erreicht und die gesangliche Ausbeute war recht heterogen. Martina Welschenbach hatte die Thekla recht gut im Griff – und die Partie hat ihre Tücken. Von Gräfin Terzkys (Dagmar Schellenberger) unter Druck stark und grell oszillierendem Sopran kann man das nur mehr bedingt behaupten. Benno Schollums Bariton kehrte schon mehr als gewünscht den abgekämpften Haudegen vieler Schlachten heraus, während Ralf Lukas als Octavio Piccolomini sogar ein wenig Feldherrnautorität vermittelte. Sein Sohn, Max, Daniel Kirch, wurde von Weinberger – wie Thekla – in manch extreme Lage getrieben und bestand achtbar. Solide Georg Lehner als Buttler, mit nachhaltigerem Eindruck Roman Sadnik als Graf Terzky – aber das sind noch lange nicht alle Mitwirkenden gewesen, denen – inklusive Wiener Singakademie und ORF Radio Symphonieorchester – pauschaler Dank dafür gebührt, dass sie dieses aufwendige Werk einstudiert und zu Gehör gebracht haben.

Der Schlussapplaus im nicht ausverkauften Konzerthaussaal war freundlich, es gab Bravorufe, aber man hat schon enthusiastischeren Beifall gehört. Trotzdem könnte es reizvoll sein, das Werk einmal szenisch umzusetzen. Zu solchem Gedanken verleitet nicht nur der Uraufführungstermin an einer schmerzvollen Nahtstelle der österreichischen Geschichte, sondern auch der Umstand, dass die Oper für meinen Geschmack nicht zu den Raritäten zählt, die man gleich nach der – noch dazu konzertanten – Erstbegegnung abhakt.