SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER
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Theater an der Wien im Museumsquartier Halle E
18. November 2023
Premiere

Musikalische Leitung: Petr Popelka
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüm: Rainer Sellmaier
Licht: Michael Bauer
Video: Jonas Dahl, Manuel Braun

Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor


Schwanda - Andrè Schuen
Dorota - Vera-Lotte Boecker
Babinsky - Pavol Breslik
Königin - Ester Pavlu
Teufel - Krešimir Strazanac
Magier - Sorin Coliban
Richter / Der Höllenhauptmann / 1. Landsknecht -
Miloš Bulajic
2. Landsknecht - Henry Neill
Scharfrichter / Des Teufels Famulus -
Iurie Ciobanu


„Themaverfehlung
(Dominik Troger)

Die Märchenoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromir Weinberger hatte im Ausweichquartier des Theaters an der Wien Premiere: Aus „Böhmens Hain und Flur“ direkt in den Sexclub eines gegenwärtigen Wien mit Regisseur Tobias Kratzer als szenischem „Zeremonienmeister“.

Jaromir Weinberges Opernerstling wurde 1927 in Prag uraufgeführt, brachte dem Komponisten aber erst in der deutschen Bearbeitung von Max Brod einen internationalen Erfolg. Diese Fassung erlebte1928 in Breslau ihre Erstaufführung. „Ein neues Werk – ein großer Erfolg“ notierte damals das „Neue Wiener Tagblatt“ und weiter: „Diese Oper ist ein richtiges Märchenspiel und ein lustiges Volksstück zugleich.“[1]

Die Geschichte vom Dudelsackpfeifer Schwanda und dem Räuber Babinsky beruht auf tschechischen Sagen und ist seiner Gattung nach als Märchen zu begreifen. Schwanda, mit Dorota frisch vermählt, wird von Babinsky in die Welt gelockt. Er muss Abenteuer bestehen und stattet sogar der Hölle einen Besuch ab. Am Schluss findet er sich wieder glücklich bei Dorota ein. Die einfache Sprache der Protagonisten, die nicht immer ganz schlüssige Dramaturgie, die im Charakter seicht angelegten Figuren, erhalten ihre Daseinsberechtigung allein aus einer mit Augenzwinkern und Poesie vorgetragenen absurd-skurrilen Handlung. Dass die Oper Längen enthält, haben schon Zeitgenossen angemerkt: die Szenen am Hof der Eiskönigin beispielsweise mit der erst im letzten Augenblick verhinderten Hinrichtung Schwandas.

Die Oper wird von einer volksliedhaften Melodie gerahmt, in der Schwandas junge Gemahlin Dorota „die Gänse schreien und den Hahn krähen“ hört. Auch wenn sich Schwandas Abenteuer in so mancher Polka und in langen „spätromantischen“ Zwischenspielen ausleben, so schwebt über ihnen doch eine folkloristische, fast biedermeierliche Idylle, die Dorota mit ihrer treu an Schwanda glaubenden Liebe und mit der Hoffnung auf ein einfaches bäuerliches Lebens verkörpert. Der große Erfolg des Werkes könnte gerade darin gelegen haben, dass es in politisch unruhigen Zeiten dem Publikum den Glauben an die sinnstiftende Kraft einfachen Glücks ermöglicht hat, das trotz aller Schwierigkeiten erreicht werden kann. (Märchen besitzen, solange man sie nicht (!) analytisch aufbereitet, ein starkes symbolisches, die unbewusste Ebene der Psyche stärkendes Potential, das auch therapeutisch eingesetzt wird.)

Der aufkommende Nationalsozialismus hat den Erfolg von Weinbergers Oper jäh unterbrochen, Weinberger selbst entkam dem Holocaust, emigrierte in die USA und schied dort Jahre später und gesundheitlich schwer angeschlagen durch Suizid aus dem Leben. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte „Schwanda“ an den einstigen Erfolg nicht mehr anschließen und wurde selten aufgeführt. In Wien gab es die letzten szenischen Aufführungen in den 1980er-Jahren an der Volksoper – und dort gehört das Werk auch hin: als musikalisch und szenisch phantasievoll-naives Märchenopernerlebnis für die ganze Familie.

Die aktuelle Neubelebung der Oper, die das Theater an der Wien an ihrem Ausweichspielort im Museumsquartier betreibt, bläst Weinberges Opus szenisch zu einem „Erotikthriller“ auf, während musikalisch die „Wiedererweckung“ durchaus gelungen ist. Die Geschichte spielt bei Tobias Kratzer im Wien der Gegenwart: Dorota betrügt Schwanda mit Babinsky, Babinsky verlockt Schwanda zu sexuellen Abenteuern und verführt ihn zu einem Selbsterfahrungstrip durch das Wiener „Rotlichmilieu“. In den Zwischenspielen werden großformatige Videos gezeigt, Schwanda und Babinsky fahren mit einem Taxi zum Würstelstand und zu Prostituierten oder es wird geschmackloses „Orgienfeeling“ verbreitet. Tobias Kratzer bemüht Artur Schnitzlers „Traumnovelle“ und Stanley Kubricks Film „Eyes Wide Shut“. Er erläutert im Programmheft seine diesbezüglichen Überlegungen. Er bringt Sigmund Freud ins Spiel, er unterstellt Weinberger mehr oder weniger, dass er mit der ganzen Dudelsackgeschichte nur hätte „bluffen“ wollen, und dass es an der Zeit sei, den „unterschwelligen“ Gehalt des Werkes bloßzulegen.

Rein handwerklich gibt es an der szenischen Umsetzung nichts auszusetzen – aber durch ihre übergroße Diskrepanz zur Musik und zum Libretto drängt sich viel zu oft eine störende „Unlogik“ in den Vordergrund. Außerdem „überfordert“ Kratzer Weinbergers als „Märchentypen“ gezeichnete Figuren: ihre Naivität ist zu groß, sie sprechen eine andere Sprache, sie passen nicht in dieses szenische Setting dekadent-großstädtischer Sexbesessenheit. Kratzer hätte sich für eine dermaßen versexualisierte Inszenierung besser Alban Bergs „Lulu“ oder Schrekers „Irrelohe“ vorgenommen. Für die Sexszenen hat das Theater an der Wien sogar eine „Intimitätskoordinatorin“ engagiert und auf der Homepage wird vermerkt, dass diese Szenen nur „simuliert“ (!) seien.

Musikalisch hatte der Abend zum Glück mehr zu bieten, als Sex und Unterwäsche: Die Wiener Symphoniker brachten unter der Leitung von Petr Popelka die Musik Weinbergs schön und differenziert zum Erklingen. Andrè Schuen zog mit seinem wohlaustaffierten, angenehm füllig timbrierten Bariton in die Welt. Pavol Breslik gab einen mit leicht heldischem Metall verstärkten, in der Höhe durchschlagskräftigen Tenor. Vera-Lotte Böcker lebte ganz die von der Regie verordneten Liebeseskapaden und sehnte sich sehnsüchtig nach dem kleinen Glück mit Schwanda. Krešimir Strazanac war ein kräftig auftrumpfender Teufel. Die Königin samt Magier, Ester Pavlu und Sorin Coliban, waren in der Gesamtwirkung ein Opfer der Inszenierung, ungefährlich und quasi funktionslos, in einem antik möblierten, mondänen Zimmer seltsamen erotischen Erwartungen huldigend. Der Arnold Schönberg Chor gab wieder ein Beispiel seiner gesanglichen und darstellerischen Vielseitigkeit.

Der Abend dauerte inklusive einer längeren Pause von 19.00 bis gegen 22 Uhr. Das Premierenpublikum spendete viel Applaus und Bravorufe für den musikalischen Teil. Das Regieteam wurde mit widerspruchloser, verhaltenerer Zustimmung „belohnt“.

[1] Neues Wiener Tagblatt, 31.12.1928