DIE PASSAGIERIN
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Theater an der Wien
19. Mai 2016
Premiere

Musikalische Leitung: Christoph Gedschold

Inszenierung: Anselm Weber
Bühne: Katja Haß
Kostüme: Bettina Walter
Licht: Olaf Winter
Video: Bibi Abel

Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Chor der Oper Frankfurt

Lisa - Tanja Ariane Baumgartner
Walter - Peter Marsh
Marta - Sara Jakubiak
Tadeusz - Brian Mulligan
Katja - Anna Ryberg
Krystina - Maria Pantiukhova
Vlasta - Jenny Carlstedt
Hannah - Judita Nagyová
Yvette - Nora Friedrichs
Bronka - Joanna Krasuska-Motulewicz
Alte - Barbara Zechmeister
Erster SS-Mann - Dietrich Volle
Zweiter SS-Mann - Magnús Baldvinsson
Dritter SS-Mann -Hans-Jürgen Lazar
Steward - Michael McCown
Passagier - Thomas Faulkner
Oberaufseherin - Margit Neubauer
Kapo - Friederike Schreiber


 


„Schiffsreise nach Auschwitz
(Dominik Troger)

Die erste Opernproduktion der Wiener Festwochen 2016 bestritt ein Gastspiel der Oper Frankfurt im Theater an der Wien. Gegeben wurde „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg.

Die Oper handelt von der ehemaligen SS-Aufseherin Lisa, die sich mit ihrem Mann auf einem Schiff befindet, dass Richtung Brasilien unterwegs ist. Lisa vermeint unter den Passagieren Marta, eine ehemalige Gefangene, zu erkennen, die sie für tot gehalten hat. Die Begegnung löst einen Erinnerungsschub bei Lisa aus, es kommt zu einer Ehekrise. In langen Rückblenden, die in Auschwitz spielen, wird die Beziehung von Lisa zu Marta dargestellt. Lisa versucht die Erinnerungen abzuschütteln. Bei einer Tanzveranstaltung auf dem Schiff erklingt der Lieblingswalzer des Lagerkommandanten. Hat Marta Lisa erkannt und aus Rache bei der Kapelle diesen Walzer bestellt? In einem Epilog erinnert sich Marta an ihre Mitgefangenen.

Die Handlung der „Passagierin“ basiert auf einem autobiographischen Text der polnischen Autorin Zofia Posmysz. Das Libretto stammt von Alexander Medwedew. Mieczyslaw Weinberg hat die Oper 1968 vollendet. Weil die Sowjetbehörden eine Aufführung der Oper verhindert haben, kam es erst 2006, zehn Jahre nach Weinbergs Tod, zur konzertanten Uraufführung. 2010 fand die szenische Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen statt.

Die Bregenzer Aufführung wurde in den Medien teils sehr positiv besprochen – insofern war die Erwartungshaltung vor dieser Wiener Erstaufführung hoch – vielleicht zu hoch. Weinbergs Oper neigt zu einer Deskriptivität, die heutzutage fast schon als klischeehafte Vereinfachung anmuten könnte. Vor allem in den Rückblenden, die (viel zu) ausführlich das Lagerleben beschreiben, gerät die subtile Beziehung zwischen Lisa und Marta immer wieder aus dem Fokus. Erst im Finale wird die klaustrophobische Schiffssituation dazu genützt, um die Vergangenheit dieser Beziehung in der Gegenwart „auf die Spitze“ zu treiben.

Besonders problematisch an diesen Rückblenden ist ihr Hang zu ausgedehnten Lyrismen, in denen sich die Gefangenen ergehen und die wie Inseln vermeintlich still stehender Zeit den Fortgang der Handlung aufheben. Weinberg scheint an diesen Stellen sein Mitgefühl auszuleben, verbunden mit einer Behutsamkeit, die zwar das Schicksal dieser Menschen auf Händen trägt, aber den Spannungsbogen unterminiert. Sie zeigen Züge religiöser Anbetung – und beziehen die Sehnsucht nach Freiheit mit ein wie eine eschatologische Paradiesesverheißung.

Musikalisch pendelt Weinberg zwischen wie von Britten entlehnt klingenden Streicherpassagen und viel Schostakowitsch, wenn es darum geht, expressiv das ganze Orchester ins Feld zu führen. Weinbergs Künstlerseele selbst scheint in den langen „Ruheinseln“ zu wohnen, in der lyrischen Kontemplation des Leidens und des Hoffens, ehe diese wieder von den perkussions-unterstützten Jazztönen der Lager- oder der Schiffskapelle zerschnitten werden.

Wenn im Programmheft der Oper Frankfurt nachzulesen ist, dass Weinberg immer wieder Epigonentum unterstellt worden sei, dann überrascht das nicht. Das Problem Weinbergs ist aber nicht die Nähe zu einem der genannten Komponisten, sondern der musikdramatische Einsatz seiner Mittel, die zu keinem dramaturgisch produktiven Verhältnis zwischen Anspannung und Entspannung finden – was letztlich auch mit dem Libretto zu tun hat. Stark wirkten an diesem Abend nur der Beginn und das Finale ab der Tanzveranstaltung. Die Wirkung des abschließenden Epilogs könnte stärker sein, wäre die Empathie des Publikums in den langen Lagerszenen nicht schon ermüdet worden. Nach diesem Ersteindruck wären einige Striche überlegenswert.

Das Drehbühnenbild zeigte Teile eines großen Passagierschiffs in den 1950er-Jahren – im Schiffsbauch fand das Lagerleben statt. Szenenwechsel waren deshalb rasch möglich, auch das Pendeln zwischen Gegenwart und Erinnerung. Die Szenen im Lager wurde im „historischen Kostüm“ realistisch ausgespielt, die szenische Verschränkung von Gegenwart und Erinnerung nur angedeutet. Im Finale entledigte sich die Tanzgesellschaft des Schiffes ihrer festlichen Kleidung und stand plötzlich als Gefangene auf der Bühne: Lisa wird die Erinnerungen an Auschwitz ihr ganzes weiteres Leben nicht mehr los werden. Hier setzte die pragmatische Inszenierung von Anselm Weber ein deutliches Zeichen. Wenig originell empfand ich die Spielereien mit Texten, die auf die Bühne projizierten wurden. Solche Effekte wirken inzwischen auch schon ziemlich angestaubt.

Insgesamt wird man den Abend unter einer geschlossenen Ensembleleistung subsumieren können. Lisa wurde von Tanja Ariane Baumgartner dargestellt, vor kurzem im Theater an der Wien als Clairon zu hören. Ihr fester Mezzo gab der Figur die ansprechende Kontur und Intensität. Sie sowie Sara Jakubiak als Marta, Peter Marsh als Walter und Brian Mulligan als Tadeusz und der Chor waren die tragenden Säulen der Aufführung. Aus dem Orchestergraben tönte es vor allem am Beginn sehr laut – und das lag wohl an der mangelnden akustischen Abstimmung im hellhörigen Theater an der Wien. Seitens des Orchesters waren ein paar Bläser in die anliegende Proszeniumsloge ausgelagert worden. Das Klangbild des mit Instrumenten üppig ausstaffierten Orchesters unter der Leitung von Christoph Gedschold war eher trocken, grell, „kompromisslos“.

Der Abend dauerte inklusive einer Pause drei Stunden. Das Theater an der Wien war gut besucht. Das Publikum spendete zur Pause nur wenig Applaus, der Schlussbeifall dauerte rund acht Minuten lang. Er fiel nicht euphorisch aus, es gab vergleichweise nur wenige Bravorufe. Vielleicht hielt man sich auch in Anbetracht des ernsthaften Sujets zurück? Als Zofia Posmysz (*1923) beim Schlussvorhang die Bühne betrat, öffnete sich ein zartes, fragiles Fenster in die Vergangenheit, deren künstlerischen Aufarbeitung das Publikum soeben teilhaftig geworden war.

Am 20. Mai wird noch eine Vorstellung gespielt.