AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY
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Staatsoper
Premiere
24.1.2012

Dirigent: Ingo Metzmacher
Inszenierung: Jérôme Deschamps
Bühne: Olivia Fercioni
Kostüme: Vanessa Sannino
Licht: Marie-Christine Soma

Leokadja Begbick - Elisabeth Kulman
Dreieinigkeitsmoses - Tomasz Konieczny
Fatty - Herwig Pecoraro
Jenny Hill - Angelika Kirchschlager
Jim Mahoney - Christopher Ventris
Jack O'Brien - Norbert Ernst
Bill - Clemens Unterreiner
Joe - Il Hong
Tobby Higgins - Wolfram Igor Derntl
Mädchen 1 - Ileana Tonca
Mächen 2 - Valentina Nafornita
Mädchen 3 - Ildikó Raimondi
Mädchen 4 - Juliette Mars
Mädchen 5 - Stephanie Houtzeel
Mädchen 6 - Monika Bohinec
Kommentator - Heinz Zednik


Kostüm statt Ideologie
(Dominik Troger)

An der Wiener Staatsoper wird Kurt Weils „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” bei seiner Erstaufführung im Haus am Ring von der Hochkultur so fest umarmt, dass von der radikalen Gesellschaftskritik des Stücks fast nichts mehr übrig bleibt.

Wie ein behäbig dahin gleitender, fülliger Riesenwurm bemächtigte sich die Staatsoper dieses leicht gefügten, agitatorisch wendigen, 1930 uraufgeführten Werks und funktionierte es zu einer bunten Kostümshow um, glättete mit schönem Gesang die anklagenden Aufschreie des Brecht’schen Textes – und was die Sänger doch an prägnant artikuliertem Aufbegehren über die Rampe brachten, verwehte in der Weite des Zuschauerraums zu einem hübschen, teils (zu) üppig vom Orchester mit Musik unterfüttertem „Singspiel“.

An der Prägnanz fehlte es vor allem, denn hier muss das „Wort“ an erster Stelle stehen – und es muss in den Ohren des Publikums landen, anrüchig und aufbegehrend, anklagend und herausfordernd. Denn dieses Wort, das hier gesprochen und gesungen wird, sucht die Geldsäcke und Börsespekulanten, es drängt darauf, unter die Decke der „Betuchten“ zu kriechen und in ihr Gewissen marternd einzudringen, auf dass ihnen die Selbsterkenntnis Jim Mahoneys zu teil werde, der vor seiner Hinrichtung erkennt: Mit Geld kann man nicht alles kaufen, keine „Freude“ und keine „Freiheit“.

Aber wer glaubt im 21. Jahrhundert noch daran, dass das Theater (und die Oper überhaupt) eine „moralische Anstalt“ sein könnte? „Mahagonny“ hat außerdem dramaturgische Schwächen, der Aufbau der Stadt geht zu rasch vor sich, hier wäre die Regie gefordert, einen Rahmen zu bauen, der die einzelnen Szenen fester zusammenhält. Ab dem zweiten Akt wird der Handlungsfaden deutlicher sichtbar. Trotzdem ist die Aktualität dieses Werks schwer zu übersehen. In welchen Zeiten leben wir denn, dass wir auf die unselige Macht des Geldes so leicht vergessen könnten? Wird sie uns nicht täglich von früh bis spät von den Nachrichten ins Haus geliefert und auskommentiert?

Natürlich stößt man auch bei Mahagonny auf diese „politischen Predigten“ mit denen Brecht den Zuhörer vor den Kopf stoßen und aus seiner Behaglichkeit aufrütteln möchte. Mit dem Ausdrucksrepertoire „klassischer Oper“ kommt man diesen „Stilmitteln“ kaum bei. Da schmiert sich zuviel Wohlklang in die von Brecht und Weil ausgesparten Fugen, aus denen die Beunruhigung aufsteigen und auf das Publikum übergreifen soll. Weil selbst nimmt die „klassische Oper“ oft genug auf die Schaufel, zitiert, entlarvt ihr sentimentales Gehabe, spannt es ein für seine (politischen) Ideen. Diese Form von Theater kennt kein „Mitleid“, sondern sie treibt den Zynismus auf die Spitze – gerade hier in „Mahagonny“, wo das Todesurteil über jemanden ausgesprochen wird, nur weil er kein Geld mehr besitzt.

In der Regie von Jerome Deschamps, dem Bühnenbild von Olivia Fercioni und den Kostümen von Vanessa Sannino war von dieser Zuspitzung kaum etwas zu bemerken. Die einzelnen „Nummern“ wurden Stück für Stück abgearbeitet, statisch, und ohne optisch die textliche Provokation zu unterstreichen. Die Silhouetten von Wolkenkratzern oder Hafenanlagen im Hintergrund waren offenbar „Ambiente“ genug. Man vertraute auf den wohligen Beistand kreativer Kostüme, Choristen mit riesigen Melonenhüten auf dem Kopf, Choristinnen mit absurden Kopfbedeckungen, darunter ein schwarzes Krähennest. Schon das rote, mit großen schwarzen Tupfen gezierte Kostüm des Holzfällers Mahoney erhellte nicht gerade den Typus des grundehrlichen, von den Verhältnissen „verführten“ Arbeiters, der jahrelang in Alaskas Wäldern unter widrigen Umständen Bäume gefällt hat. Bewusste Verfremdung? Letztlich sollen solche Stilmittel dem Stück dienen – und es nicht „verhüllen“.

Die Bühne ließ zu viel Leerraum offen, und der auf- und zugezogene „Brechtvorhang“ diente vor allem als theoretisches Feigenblatt. Auffallend die Maschinenteile, die da und dort in die Bühne ragten, Zahnräder, Kräne, und die Heinz Zednik von einem Schaltkasten rechts an der Rampe zu bedienen schien. Heinz Zednik mimte an diesem Abend den „Schaltmeister“ und den die Szenen verbindenden „Erzähler“, er schien von der Regie vernachlässigt und kam nicht so gut zur Geltung wie erhofft.

Das finale Chaos in Mahagonny hielt sich in Grenzen, und es gab keine Demonstrationszüge aufgebrachter Bürger, keine Transparente verkündeten noch einmal den Zynismus der herrschenden Klasse. Gegeben wurde offenbar das Begräbnis von Jim Mahoney – und die aufwühlend von Ingo Metzmacher am Pult des Staatsopernorchesters entfachte Schlussmusik fand in der Szene keine Entsprechung.

Schon der Auftritt der Jenny Hill und der Mädchen mit dem berühmten Alabama-Lied verströmte den Charme von harmlosen „Schoolgirls“, die im Gänsemarsch auf die Bühne trippeln. Angelika Kirchschlager versuchte zwar Gegenzusteuern, doch an diesem Abend verhinderte ihre angeschlagen klingende Stimme mehr Engagement für Kurt Weil.

Auf der Bühne stand Elisabeth Kulman im Zentrum – eine Augen- und Ohrenweide, die einen aber rasch vergessen ließ, welch zwielichtige Person sie abzugeben hat – als gesuchte Verbrecherin, Witwe und Managerin von Mahagonnys Liebesleben. Ihr rotes Kleid, toll figurbetonend – wirkte eher wie eine, von der Regie geschickt eingefädelte Konterrevolution – frei nach dem Motto: „Sinnlichkeit besiegt Ideologie“. Christopher Ventris hat den etwas naiven Holzfäller gut getroffen und mit wagnergestählter Emotion sein nahendes Ableben besungen.

Herwig Pecoraro und Tomasz Konieczny agierten zusammen mit Kulman als gesangeskundiges Mahagonny-Gründertriumvirat. Clemens Unterreiner nutzte – wie meist – gesanglich und darstellerisch alle Möglichkeiten seiner nicht so kleinen Nebenrolle aus.

Auch für Ingo Metzmacher am Pult gilt aus meiner Sicht, dass hier zu sehr die „Oper“ betont wurde. Er fand die bissigen Abgründe nicht, die nach den Frackschößen der Hochkultur schnappen. Diese Musik braucht mehr Freiraum, ein keckes Aufbegehren.

Das Haus war auf den Stehplätzen nicht so gut besucht wie eine mittelmäßig besetzte Samstagabend-„Tosca“. Der Schlussapplaus dauerte zwölf Minuten lang, überschritt aber in keiner Phase die Enthusiasmusschwelle. Die Regie bekam bei ihrem „Verneigen" mäßig laute Buhrufe ab, und der Applaus brach deutlich ein. Ob sich das Stück lange auf dem Spielplan hält?

Fazit: An diesem Abend wurden die Ausführenden vor der Karren eines bürgerlich-geschmäcklerischen Brechtbildes gespannt.