BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER
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Semperdepot
19.9.2013

Uraufführung am 17.9.13

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Béatrice Lachaussée
Bühne: Dominique Wiesbauer
Kostüm: Nele Ellegiers
Choreografie: Nikolaus Adler
Lichtdesign: Norbert Chmel

amadeus ensemble-wien

Gottlieb Biedermann: Stephen Chaundy
Babette Biedermann: Barbara Zamek-Gliszczynska
Anna: Katharina Tschakert
Josef Schmitz: Tomasz Pietak
Wilhelm Eisenring: Till von Orlowsky
Feuerwehrmann: Harald Wurmsdobler
Feuerwehrmann: Christian Kotsis
Feuerwehrmann: Frédéric Pfalzgraf



Gar nicht bieder
(Dominik Troger)

Eine bemerkenswerte Uraufführung der Neuen Oper Wien: „Biedermann und die Brandstifter“ von Šimon Vosecek. Kaum zu glauben, dass dieses Stück von Max Frisch ein halbes Jahrhundert warten musste, ehe es für die Opernbühne entdeckt wurde.

Der Stoff geht auf eine Eintragung im Tagebuch von Max Frisch aus dem Jahr 1948 zurück. Er skizzierte die Handlung auf einigen Seiten, betitelte sie mit „Burleske“. In der vorangegangenen Eintragung wird der Februarumsturz in der Tschechoslowakei erwähnt. Der Begriff des „Biedermannes“ kommt in dieser Skizze noch nicht vor – aber er taucht im Tagebuch einige Seiten früher auf: Im Jänner 1948 weilte Max Frisch in Wien. Zu einem Besuch im Theater in der Josefstadt notierte er: „Ein einfacher Gastwirt, verliebt in die Musen, habe seinerzeit dies Haus erbauen lassen, ein Biedermann, man sieht ihn schon in einem grauen Zylinder und einem grünen Fräcklein (...).“ (Max Frisch: Tagebuch 1946-1949. 14. Bis 20. Tausend. Frankfurt/Main 1972. S.233) Frischs Anmerkungen zum Nachkriegs-Wien sind spannend zu lesen, aber von dem Josefstädter „Biedermann“ auf die Brandstifter zu schließen, ist sicher gewagt – doch dass die Oper von einem in Wien lebenden Tschechen komponiert und in Wien uraufgeführt wurde, ist in diesem Zusammenhang eine hübsche Pointe.

Šimon Vosecek hat als sein eigener Librettist am Text nicht viel verändert. Er hat die Figur des Dr. phil gestrichen, etwas gestrafft, und sich an den Text der Uraufführung gehalten. Das von Frisch für die deutsche Erstaufführung hinzugefügte moralisierende Nachspiel in der Hölle wurde von ihm nicht berücksichtigt. Den parabelartigen Charakter des Stücks hat Vosecek verstärkt, in dem er die Schlussexplosion szenisch nicht mehr zeigt und keine furiose „Feuermusik“ erschallen lässt: Biedermann und seine Frau bleiben nach dem Abendessen mit den schwer verdächtigen Gästen alleine zurück. Beide quält die bange Erwartung, ob jetzt wirklich eintritt, was sie insgeheim längst erwarten: nämlich dass ihnen ihr eigenes Haus um die Ohren fliegen wird.

Vosecek ist hier nicht den „einfachen“ Weg gegangen, das Publikum mit einem eindrücklichen Klanggewitter nach Hause zu schicken, sondern das Lachen über die Groteske soll diesem mit den letzten vagen Tönen im Halse stecken bleiben. Vielleicht zielte Vosecek auch darauf ab, dass sich das Publikum im Moment der unaufgelösten Spannung selbst als Biederfrauen und -männer erkennen möge, als Werbezielgruppe für die Kosumgüterindustrie, als Stimmenpotenzial für die Wahlwerbung oder für was auch immer.

Die Aufführungsdauer beträgt gut eineinhalb Stunden – und der Inhalt darf bei einem so bekannten Stück vorausgesetzt werden. (Der Text läuft auf zwei Bildschirmen während der Aufführung mit.) Die Oper wurde (in der Erstfassung) 2008 mit dem Förderungspreis für Musik der Republik Österreich ausgezeichnet. Für die Uraufführung hat Vosecek vor allem am Orchesterteil Veränderungen vorgenommen. Bei den Singstimmen sorgte der Komponist für einen recht „opernhaften“ Gebrauch, der gesungene Text war überraschend gut verständlich. Ein gutes Beispiel für sein Textgefühl ist der Umgang mit dem „Chor“ der Feuerwehrmänner – den Frisch in Anlehnung an die Chöre im antiken Theater konzipiert hat. Sein durch locker antikisierendes Versmaß rhythmisierter Sprachduktus wurde von Vosecek erhalten, der Sprechgesang in das Auf und Ab der Hebungen und Senkungen der Verse eingebunden.

Gottlieb Biedermann erscheint als zentrale Figur des Geschehens: eine Tenorpartie mit hoher Tessitura, möglicherweise angelehnt an Vorbilder aus der Oper der Zwischenkriegszeit – man denke an tschechische Komponisten, an Krenek, Berg, Schreker. Aber was dort zum Teil einem exaltiert-expressionistischen Menschenbild verbunden ist, wird bei Vosecek zur Charakterisierung einer oberflächlich gefestigten, im Inneren aber fragilen Bürgerpsyche, die auf äußere Bedrohungen hysterisch reagiert und lieber Zugeständnisse macht, als die eigene Sicherheit zu gefährden. (Dass man sich mit einer solchen „Taktik“ schließlich selbst abschaffen kann, haben historische Ereignisse im 20. Jahrhundert reichlich bewiesen.)

Dieser Biedermann ist eine „Mörderpartie“ – verbindet den hohen technischen Anspruch aber mit einer im Vortrag recht flüssig wirkenden Gesangslinie. Vosecek bleibt bei der Behandlung der Singstimmen insgesamt im Rahmen der „Oper“ – und hat keine Hülsen für musikalisch-technische Artefakte komponiert. Als Opernfan kann man sich vorstellen, dass man eine Aufführung von „Biedermann und die Brandstifter“ besucht, um den Tenor zu hören! Ist das nicht der erste Schritt für eine Oper ins Repertoire?!

Die orchestrale Begleitung gibt sich „zeitgenössischer“, bildet auf diese Weise fast einen Gegenpol zu den mehr „traditionell“ ausgerichteten Singstimmen, fungiert als illustrative Begleitung in der sich Stimmungen der Protagonisten widerspiegeln oder Elemente stückrealer Akustik auftauchen. Die Musik hat etwas Schattenhaftes, Sirenenartig-verzerrtes, hohe Streichertöne erzeugen immer wieder ein feines Gespinst der Unruhe, vermischt mit grotesker Bedrohlichkeit aus Tuba und Posaune. Das Orchester hielt sich trotz einiger lautstarker Instrumente eher im Hintergrund. Nachdem von meinem Platz aus die Singstimmen sehr gut zu hören waren, das Orchester aber schon weniger deutlich (die Akustik im Semperdepot ist eine Sache für sich), ist dieser Eindruck vielleicht stark subjektiv gefärbt. Die Orchesterbesetzung ist etwas ungewöhnlich: eine Violine, drei Celli, dazu noch dreimal (Bass-) Klarinette, Schlagwerk, drei (!) Posaunen, Tuba.

Eine zentrale Szene der Oper ist das Abendessen, zu dem Biedermann seine Brandstifter lädt, und bei dem Vosecek die „Jedermann“-Anspielungen von Frisch zu einem „Don Giovanni-Bezug“ umfunktioniert hat. Brandstifter Schmitz „erscheint“ als Komtur– hier auf dem Sessel stehend mit einem weißen Tischtuch drapiert. Und die Groteske wird durch die Erinnerung an Mozarts Musik passend unterminiert – ein einprägsamer Opernmoment.

Die Inszenierung von Béatrice Lachaussée (Bühne: Dominique Wiesbauer) folgte im Outfit ein wenig der Optik vergangener Jahrzehnte, man konnte schon an die Zwischenkriegszeit der 1920er-1930er-Jahre denken. Beherrschend war ein hoher, dunkler Kamin voller Kohle, der sich in die oberen Regionen des Semperdepots erstreckte. Der Dachboden lag rechts von der Bühne, nur minimal erhöht, ihn auf dem Umgang im ersten Stock zu platzieren, war anscheinend nicht zweckmäßig. Vor der Aufführung wurden ganz biedere Kekse in Blechdose zur Einstimmung durchgereicht.

Die Produktion war szenisch sehr gut umgesetzt. Nette Details wie die Feuerwehrmänner auf kleinen Rollern, die ein rotes Blinklicht montiert haben, lockerten auf. Die Personenführung war exakt und nachvollziehbar. Es war eine gute Idee die beiden Brandstifter als Clowns zu schminken und sie damit optisch ein wenig aus der Handlungsrealität zu kippen – das nützte der Parabel.

Einen guten Teil am Erfolg der Aufführung darf Stephen Chaundy als Gottlieb Biedermann zugeschrieben werden: sein Tenor schien sich in der Partie wohl zu fühlen und er sang noch dazu ausgesprochen wortdeutlich. Barbara Zamek-Gliszczynska sang eine liebenswürdige Frau Biedermann, ein wenig betulich, ein wenig beängstigt, von Brandstifter Josef Schmitz – Tomasz Pietak – um den „Finger gewickelt“. Pietak gab den etwas handfesteren, Till von Orlowsky den „gepflegteren“ Brandstifter (Wilhelm Eisenring), beide stimmlich und darstellerisch mit gebotener Unverfrorenheit. Karin Tschakert sang die Anna, Bediente im Biedermannschen Hause, ein humorvoller, quirliger „Susanna“-Typ. Auch die drei Feuerwehrmänner – Harald Wurmsdobler, Christian Kotsis, Frédéric Pfalzgraf – waren als Typ passend ausgewählt worden. Fazit: Das Ensemble hatte keinen schwachen Punkt, weder gesanglich noch darstellerisch.

Walter Kobéra leitete das in Sachen zeitgenössischer Musik bewährte amadeus ensemble-wien. Das Publikum spendete starken Beifall. Beim Eingang wurden die Besucher dankenswerter Weise mit Decken (!) versorgt. Um diese Jahreszeit kann es an dieser Spielstätte schon kühl sein, wenn die Außentemperaturen danach sind. Zweimal wird die empfehlenswerte Produktion noch gespielt: am 21. und 22. September.