ORLANDO FURIOSO

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Theater an der Wien
26.3.2019
Konzertante Aufführung

Dirigent: George Petrou

Armonia Atenea

Orlando - Max Emanuel Cencic
Alcina - Ruxandra Donose
Bradamante - Anna Starushkevych
Ruggiero - David DQ Lee
Medoro - Philipp Mathmann
Angelica - Julia Lezhneva
Astolfo - Pavel Kudinov



Wahnsinn: Minnie Mouse rast als Orlando

(Dominik Troger)

Konzertante Opernaufführungen im Theater an der Wien ermöglichten dem Publikum innerhalb weniger Tage den Sprung von Carl Maria von Webers „Freischütz“ zum furiosen „Orlando“ des Antonio Vivaldi. Das Haus war diesmal sehr gut gefüllt, lockten doch mit Max Emanuel Cencic und Julia Lezhneva zwei „Stars“ koloraturaffinen Ziergesangs.

Die 1727 uraufgeführte Oper „Orlando furioso” beruht auf dem berühmten, in Versen verfassten Ritterroman des Ludovico Ariosto. Vivaldi hat in seinem Werk auf Basis eines Librettos von Grazio Braccioli zwei Handlungsblöcke aus dem Versepos zusammengespannt: Die Geschichte um die Zauberin Alcina und Orlandos Liebeswahnsinn, in den er wegen seiner angebeteten, ihn verschmähenden Angelica verfällt. Die Pointe: Durch seinen von unerfüllter Liebe ausgelösten Wahnsinn wird Orlando immun gegenüber Alcinas Zauber und kann ihre Macht brechen. Am Schluss ist er von seiner Liebe geheilt und gibt Angelica frei. Alcina muss das Feld räumen, nachdem sie vorsorglich noch angekündigt hat, rachenehmende Furien zu beschwören.

Bereits 2011 haben sich Jean-Christophe Spinosi und das Ensemble Matheus dem Werk in einer konzertanten Aufführung im Theater an der Wien angenommen. Diesmal sorgte George Petrou mit der Armonia Atenea für die Orchesterbegleitung. Im Gegensatz zu Spinosí ließ Petrou mit einer kleineren Besetzung spielen und sorgte von Beginn an mit sehr viel Tempo für eine ziemlich trockene Wiedergabe von Vivaldis Musik. Erst mit der Traversflöten-begleiteten Arie des Ruggiero gegen Ende des ersten Aktes begann der Abend in etwas farbenprächtigeren und poetischeren Gewässern zu kreuzen. Doch insgesamt blieb der Eindruck – auch in den Rezitativen – überraschend „flach“. Als Ouvertüre (es ist keine überliefert) wurde Vivaldis Violinsonate d-Moll, op. 1 „La Follia” gespielt.

Es spricht für sich, dass erst die Julia Lezhneva (Angelica) zugestandene Einlagearie (aus Vivaldis „Griselda“) im dritten Akt das Publikum zu stürmischem Beifall hinriss. Die langen, präzisen „Läufe“ perlten nur so aus ihrem Mund. Das war im besten Sinne so „furios“ wie man sich den „Orlando“ insgesamt gewünscht hätte. Lezhnevas Mittellage ist etwas fülliger geworden, es wird spannend zu hören sein, wie sich die Stimme in der Zukunft entwickelt.

Nun steht in dieser Oper Orlando Alcina gegenüber, beides sind handlungsstarke Figuren, die in einer weitgehend konzertanten Aufführung ganz besonders mit ihrer Stimme „arbeiten“ müssten, um ihre Bühnenpersönlichkeiten zu vermitteln. Was Alcina betrifft, so hielt sich der „Zauber“ in nüchternen Grenzen. Ruxandra Donose blieb in ihrem gesamten Auftritt zu konventionell, um prickelndes barockes Sängerinnenflair zu verströmen.

Ihr „ritterlicher“ Gegenspieler wurde von Max Emanuel Cencic gegeben. Orlando ist von Vivaldi nicht für Kastraten- sondern für Frauenstimme komponiert worden. Aber wenn Sängerinnen oft Männerpartien übernehmen, warum soll es dann nicht einmal umgekehrt sein? Doch Cencic wirkte auf mich die ganze Vorstellung über stimmlich zurückhaltend, und es fehlte an Farben, um die emotionalen Schattierungen spielen zu lassen. Das machte sich vor allem auch in der „Wahnsinnsszene“ bemerkbar, der er kaum expressive Züge abzuringen vermochte. Dieser Orlando lebte in seinem stimmlichen Wohlgefühl wie in einem aufgeräumten, mit kostbaren Gobelins (die Orlando und seine Abenteuer zeigten), ausgelegten Wohnzimmer, das er offenbar zu verlassen scheute.

Ja – und jetzt kommt dieses „weitgehend“ (vorletzter Absatz, zweite Zeile) ins Spiel. Denn Cencic gelang es, die „konzertante“ Aufführung mit einem „Regietheater“-Gag aufzumischen, über den wahrscheinlich große Teile des Publikums noch nach der Vorstellung eifrig gerätselt haben. Cencic wechselte für den dritten Akt seine Kleidung: Er schlüpfte aus seriösem „Schwarz“ (mit ordenartigem Goldschmuck auf der Brust) travestierend in ein punktiertes Minnie-Mouse-Kostüm und rückte seinen Orlando damit in eine Wunderwelt Walt Disney’scher Prägung. Natürlich war die Überraschung des Publikums enorm, als Cencic plötzlich ganz „verkleidet“ auf die Bühne wirbelte. Aber Orlando als Figur hat von dieser schrägen Einlage nicht wirklich profitiert.

Und als Orlando wie in der Handlung vorgesehen gleich auf der Bühne in Schlummer fiel, blitzte – „Ma che vedo?“ würde der wahnsinnig gewordene Ritter jetzt ganz im Sinne des Librettisten fragen – ein wenig das schwarze Höschen unter dem gepunkteten Rock. An diesem neckischen Detail – ob gewollt oder ungewollt – lässt sich denn auch der Grad der Ironisierung ablesen, mit der der im Liebeswahn befangene Orlando durch diese „Aktion“ szenisch „kuriert“ wurde. Insofern, zumindest um zwei Ecken gedacht, lässt sich der Einsatz dieses Kostüms also vielleicht sogar konzeptionell begründen. Wie dem auch sei, vergessen wird man diesen Auftritt noch lange nicht.

Anna Starushkevych steuerte mit für das Theater an der Wien schon etwas kleiner Mezzostimme einen blassen Bradamante bei. David D. Q. Lee gab den Ruggiero mit kräftigem und sicherem Coutertenor, der Dialog mit der Flöte (Arie: „Sol da te, mio dolce amore“) war auch mit einer „Prise” an „Süße” abgeschmeckt. Und mit Philipp Mathmann hat sich eine vielversprechende Countertenorstimme erstmals dem Publikum im Theater an der Wien vorgestellt: eine, wie man so sagt, „glockenhelle“ Stimme, raumfüllend und mit keuschem „Sängerknabenklang“. Pavel Kudinov sang den Astolfo mit profiliertem Bassbariton.

Der Abend dauerte inklusive einer Pause rund drei Stunden und wurde eifrig beklatscht.