CATONE IN UTICA

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Theater an der Wien
24. 9. 2015
Konzertante Aufführung

Dirigent: Maxim Emelyanychev

Il pomo d'oro

Cesare - Franco Fagioli
Arbace -
Max Emanuel Cencic
Catone - Juan Sancho
Marzia - Ray Chenez
Emilia - Vince Yi
Fulvio - Martin Mitterrutzner


Römische Politik

(Dominik Troger)

Einen musikalischen Leckerbissen servierte das Theater an der Wien Barockopernfans mit einer konzertanten Aufführung von Leonardo Vincis „Catone in Utica“. Die Oper wurde 1728 in Rom uraufgeführt und ist aus mehreren Gründen ein bemerkenswertes Werk – nicht nur, weil es sich bei Vincis Fassung um die Erstvertonung des Librettos handelt.

Das Libretto von Pietro Metastasio stellt Catone und Cesare in den Mittelpunkt – Catone möchte gegenüber Cesare die römische Republik verteidigen, Cesare hat allerdings andere Pläne. Dieser zentrale politische Konflikt wird durch Liebesprobleme verschärft: Catones Tochter Marzia liebt ausgerechnet Cesare – und das gefällt dem Vater überhaupt nicht. Im Gegensatz zum üblichen „lieto fine“ beendet Catone sein Leben durch Selbstmord. Auf diese Weise kann er zumindest idealistisch sich und seine politische Idee einer schmählichen Niederlage entziehen und Cesare seinen Sieg vermiesen. Er absolviert die letzte Szene sterbend – und wird erst knapp vor seinem Tod von der Bühne geleitet. Diesen Bruch mit der Konvention hat das Publikum im Jahr 1728 nicht goutiert, Metastasio musste sein Libretto in einer zweiten Fassung „entschärfen“.

Leonardo Vinci hat auf diesen Text eine Musik komponiert, die nicht nur dem virtuosen Selbstzweck sängerischer Darstellungskunst verpflichtet ist, sondern sich auch dem dramatischen Geschehen auf der Bühne anpasst. Die zentrale Szene im zweiten Akt beispielsweise, in der sich Catone und Cesare begegnen und über eine politische Lösung des Konfliktes beraten, wird von Vinci schon im Rezitativ mit einer Spannung aufgeladen, die in Cesares Aufruf zum Kampf effektvoll kulminiert („Se in campo armato“).

Vinci erweist sich in der Instrumentation und in den Effekten als ausgesprochen einfallsreich. Er besitzt zudem ein Gefühl für Sentimentalität – von dem etwa die Arien des Arbace profitierten, der vor allem die Rolle des unglücklichen Liebhabers zu mimen hat. Und manches klingt zumindest für heutige Ohren fast ironisch, etwa wenn sich Cato ganz staatstragend gibt („Va‘, ritorno al tuo tiranno“). Von ganz eigentümlichem Reiz ist das Quartett im dritten Akt, in dem Catone, Cesare, Marzia und Emilia fast schon in einen Zustand existentieller Ratlosigkeit verfallen. In der letzten Szene gibt es keine Arie und keinen das Stück beschließenden Chor: Die Oper endet damit, dass Cesare über Catos Tod erschüttert seinen Lorbeerkranz zu Boden wirft.

Die hohen gesanglichen Anforderungen Vincis bedürfen einer adäquaten Besetzung. Und hier kommt ein weiteres Kuriosum ins Spiel: Im päpstlichen Rom durften bekanntlich nicht nur zu Vincis Zeiten keine Frauen am Theater auftreten – und daran hatte sich der Komponist natürlich zu halten. Deshalb waren – wie schon bei der konzertanten Aufführung von Vincis „Artaserse“ im Jahr 2012 (ebenfalls im Theater an der Wien) – an diesem Abend alle Partien mit Männern besetzt. Und die Ausgewogenheit und die Auswahl der Stimmcharaktere für die jeweilige Rolle war sehr gut gewählt.

Franco Fagioli gab einen schillernden Cesare – allein was dieser Sänger an nahtlos verfügbarem Tonumfang besitzt, von der tragenden Tiefe bis zu Sopranhöhen, ist ein Phänomen. Fagioli verfügt in seiner Musikalität über die Reize einer Primadonna, die das Publikum um den Finger wickelt, und zwischen technischen Kunststücken und endlosem Atem den Heros (und einen leicht herb gefärbten Eros) längst entschwundener Opernzeiten beschwört. Fagioli erhielt nach seinen Arien viel Applaus, der länger angehalten hätte, wäre der Sänger nicht relativ rasch von der Bühne verschwunden. Aber man war offensichtlich gewillt, den im Programmheft angekündigten Zeitrahmen von dreidreiviertel Stunden (inklusive Pause) einzuhalten.

Max Emanuel Cencic – bekleidet mit weinroten Schuhen und einer hellen oberschenkellangen Jacke, die im Muster ein wenig an die Tapisserieausstellung erinnerte, die jüngst im Wiener Kunsthistorischen Museum bestaunt werden konnte – war in der Partie des Arbace ganz Liebhaber und schwelgte sich flüssig durch die Arien. Cencic vermag das ganz besonders: mit seiner Mezzo-Stimme in leicht dunklen Samt gehüllte Phrasen zu formen, sie beredt aneinander zu schmiegen, sie genussvoll und elegant in Form zu bringen, so wie seine stilvolle und meist ein wenig barock verspielte Abendgarderobe. Cencic war als künstlerischer Leiter des Labels Parnassus Arts Productions an der Wiederentdeckung von Leonardo Vinci für die „neuzeitliche“ Opernbühne maßgeblich beteiligt.

Catone wurde von Juan Sancho gesungen, ein lyrischer Tenor, angenehm timbriert und in diesem Sängerumfeld sehr gut besetzt: die Stimme nicht zu schwer und nicht zu dunkel, aber für den moralischen Anspruch Catones genug mit Würde und republikanischem Stolz aufgeladen, um auch in einer konzertanten Aufführung den Gegenpol zu Cesare zu verdeutlichen.

Vince Yi, ein aus Südkorea stammenden Countertenor mit Sopranqualität, war die eigentliche Überraschung des Abends. Er überzeugte mit seinem klarem Ton und der Fähigkeit zu ausgefeilten, präzisen Verzierungen. Yi ist – wenn man ein wenig „Typologisieren“ möchte – in Stil und Timbre mehr in die „Nachfolge“ eines Philippe Jaroussky einzuordnen, seine Stimme ist aber eine Spur metallischer und monochromer, aber auch – wie mir scheint – voluminöser.

Ray Chenez gab ebenfalls sein Hausdebüt. Er sang als Marzia die zweite Frauenpartie. Sein Countertenor erklang nicht ganz so klar wie jener von Yi, zeigte ein Talent fürs Kokette, das Vinci allerdings nur bedingt zulässt. Dass er laut Programmheft als Cherubino schon Erfolge gefeiert hat, unterstreicht diese Einschätzung. Martin Mitterrutzner stellte sich als Fulvio erstmals dem Publikum des Theaters an der Wien vor. Sein lyrischer Tenor ist in der Mittellage angenehm geschmeidig und mit der schon leicht angedunkelten Stimme besitzt der Sänger ein großes Kapital.

Die Sänger agierten in „semi-konzertanter Weise“ auf der Bühne. Das belebte die Rezitative, die sehr gut einstudiert waren, und trotz ihrer Länge den Spannungsbogen hielten. Das Ensemble Il pomo d’oro unter dem Dirigenten Maxim Emelyanichev spielte mit Feuer, ließ sich auf Vincis musikalischen Ideenreichtum ein, farbenreich und mit dynamischen Schattierungen versehen.

Das Publikum bedankte sich für diesen vorzüglichen Abend mit starkem Beifall.