ARTASERSE

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Theater an der Wien
20.11.2012
Konzertante Aufführung

Dirigent: Diego Fasolis

Concerto Köln

Artaserse - Philippe Jaroussky
Mandane -
Max Emanuel Cencic
Artabano - Daniel Behle
Arbace - Franco Fagioli
Semira - Valer Barna-Sabadus
Megabise - Yuriy Mynenko


Gipfeltreffen der Countertenöre

(Dominik Troger)

Ein bisschen bizarr war dieser Abend schon: fünf Countertenöre und ein Tenor gaben sich auf der Bühne des Theaters an der Wien ein „Stelldichein“, um das Publikum mit der Oper „Artaserse“ von Leonardo Vinci in einen wahren Begeisterungstaumel zu versetzen.

Der aus Kalabrien stammende Leonardo Vinci lebte von 1690 bis 1730. Mit „Artaserse“, 1730 für Rom komponiert, gelang ihm kurz vor seinem plötzlichen und legendenumwitterten Ableben noch ein Meisterwerk barocker Opernkunst. Im päpstlichen Rom waren aber keine Frauen auf der Bühne zugelassen und deshalb ergötzte man sich an hohen Männerstimmen. Vinci hat die Oper für fünf Kastraten und einen Tenor konzipiert.

Die Handlung der Oper, die Vinci auf ein Libretto von Pietro Metastasio komponiert hat, versetzt das Publikum ins antike Persien. Artabano möchte selbst König werden, hat Serse ermordet und trachtet auch Artaserse nach dem Leben. Außerdem möchte er seine Tochter Semira gegen ihren Willen mit dem Handlanger Metabise verehelichen. Arbace, der Sohn des Artabano, wird des Mordes an Serse verdächtigt und eingekerkert. In der Finaleszene outet sich Artabano schließlich, als sein Sohn aus dem Kelch trinken möchte, der für Artaserse bestimmt und dessen Inhalt vergiftet ist. Artaserse erweist sich als großmütig und schickt den üblen Charakter nicht zum Scharfrichter sondern nur in die Verbannung. Die Schlussverse stimmen ein hohes Lied auf die Gerechtigkeit an, die von Gnade begleitet wird.

Vinci hat die Arien recht „griffig“ gestaltet. Das ist bühnenwirksam und manchmal sogar schon fast ein bisschen ironisch. Er verbreitet mit dem immer wieder um Horn und Trompete ergänzten Orchester nicht nur imperialen Prunk, er hält für die Sänger expressive, spektakuläre Gesangsnummern bereit, in denen diese ihre Virtuosität voll ausspielen können. Sein Stil ist sehr bühnennahe, weiß um die Liebe des Publikums für den Effekt, bemüht sich aber auch immer wieder, den situationsbedingten „Emotionen“ der Protagonisten „natürlichen“ Ausdruck zu verleihen.

Im Vergleich mit den heute viel bekannteren Opern Händels und Vivaldis scheint mir Vinci im „Artaserse“ von pragmatischerem Zuschnitt, mit einem Hang zur triumphierenden Selbstdarstellung auf einem klangvoll arrangierten Orchestersatz beruhend, dem es über drei Opernstunden hinweg berechnet dann doch ein wenig an nachhaltigeren musikalischen Ideen ermangelt. Unbedingt erwähnt werden muss das den ersten Akt beschließende furiose Meisterstück „Vol solcando un mar crudele“, das wie zu Vincis Zeiten auch an diesem Abend das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss.

Die konzertante Aufführung im Theater an der Wien basierte auf einer Produktion des „Artaserse“, die auf CD eingespielt worden ist – und die in Nancy unlängst sogar szenisch realisiert wurde. Die Idee, auch die ausgewiesenen Frauenrollen mit Männern zu besetzten, hat zu einem Gipfeltreffen an Countertenören geführt, das alle Superlativen sprengte. Das spürte man auch an den euphorischen Publikumsreaktionen an diesem Abend im nahezu ausverkauften Theater an der Wien: das hohe Niveau der gebotenen gesanglichen Leistungen war einfach atemberaubend.

Insofern weiß man gar nicht, womit man beginnen soll: mit der „Nachtigall“ unter den Countertenören, Philippe Jaroussky, oder mit Franco Fagioli, der hin- und mitreißend bei allerhand virtuosen Kunststücken nicht nur den großen Tonumfang seiner Stimme demonstrierte? Oder mit dem „Sopran“ von Valer Barna-Sabadus, der Countertenor-Neuentdeckung des Abends, der die Mädchenrolle der Semira mit verschämter Koketterie versah und im klaren Timbre ein wenig mit Jaroussky verglichen werden konnte. Oder mit dem Wohlklang verströmenden Max Emanuel Cencic, etwas viriler im Timbre und mit nuancierten Piani? Und wenn man bedenkt, was Yuriy Manenko, mit etwas „festerem“ Timbre versehen, noch in der „Nebenrolle“ des Megabise an Stimmkultur und „Explosivität“ zu bieten hatte! Daniel Behle steuerte mit „bösem“ Tenor den letzten Endes doch von Reue geplagten Mörder bei, der einem in diesem Umfeld schon fast wie ein „Bass“ vorkam. Das Concerto Köln unter Diego Fasolis sorgte für eine begeisternde und stimmige Begleitung: ein Abend, den man noch lange nicht vergessen wird, und der vom Publikum stürmisch gefeiert wurde. Ein Stück des finalen Chores wurde als Zugabe dargeboten.

PS: Bereits 2007 hat die Musikwerkstatt Wien „Artaserse“ in einer szenischen Produktion im Wiener Semperdepot gespielt – eine Pioniertat, wie man heute weiß, allerdings nicht mit fünf Countertenören besetzt.