DENIS & KATYA
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Kammeroper
27. September 2023
Österreichische Erstaufführung

Musikalische Einstudierung: Anna Sushon
Inszenierung und Kostüm: Marcos Darbyshire
Bühne und Kostüm: Martin Hickmann
Licht: Franz Tscheck
Video: Anselm Fischer
Sounddesign: Maarten Buyl

Deutsche Fassung von Robert Lehmeier

Mezzosopran - Hasti Molavian
Bariton - Timothy Connor


Tödliche Teenagerliebe

(Dominik Troger)

Ziemlich düster und ganz zeitgenössisch hat die Saison in der Kammeroper begonnen. „Denis & Katya“ erzählt vom Tod eines Teenagerpärchens in Russland. 2019 in Philadelphia uraufgeführt ist das Werk jetzt erstmals in Österreich zu sehen.

Wobei die Geschichte von „Denis & Katya“ eigentlich nicht „erzählt“ wird. Was sich damals abgespielt hat, im Jahr 2016 in der russischen Provinz, wurde vom britischen Komponisten Philip Venables und seinem Librettisten Ted Huffman zu einer „Dokumentaroper“ verarbeitet, in der das titelgebende Liebespaar überraschender Weise überhaupt nicht auftritt. Venables und Huffman lassen nur „Zeugen“ zu Wort kommen. Sie haben das mit großem Aufwand recherchierte historische Material zu vielen kurzen Mikroszenen verarbeitet, in denen sechs Figuren ihre Sicht der Dinge wiedergeben: eine Journalistin, ein Freund, ein Lehrer, ein Teenager, eine Nachbarin, ein Notarzt.

Aber was ist damals in Russland überhaupt passiert? Zwei Jugendliche fliehen aus ihrem tristen sozialen Umfeld und „mieten“ sich in eine leerstehende Datscha ein. Es fehlt nicht an Alkohol und Waffen. Sie streamen Live-Videos, die immer mehr Zuschauer generieren, werfen einen Fernseher aus dem Fenster, schießen auf ein Polizeiauto. Schließlich stürmen Spezialkräfte das Haus. Denis und Katya sterben an Schussverletzungen. Ob es Selbstmord gewesen ist oder nicht – die genauen Umstände bleiben im Dunkeln. Die Story wird von Nachrichtenagenturen aufgegriffen, die Videos und die Bilder der Leichen verbreiten sich im Web. Die beiden werden zum Star einer jener Social-Media-Blasen, die sich jeden Tag ein neues Opfer suchen.

Diese Fakten wurden von Venables und Huffman „dekonstruiert“ und zu einer rund siebzig Minuten langen, pausenlosen Kammeroper „verdichtet“, in der verschiedene Möglichkeiten einer dokumentarischen Herangehensweise durchgespielt werden. Ein Mezzosopran und ein Bariton schlüpfen in die Rollen der verschiedenen Zeugen und „dokumentieren“ das Geschehen für das Publikum. Im ersten Teil des Werkes wird die Handlung bis zum Tod der Jugendlichen aufbereitet, im kürzeren zweiten Teil wird dieses Geschehen epilogartig „reflektiert“. Am Schluss werden Ausschnitte aus einem Originalinterview mit der Journalistin eingespielt, auf die Venables und Huffman bei ihren Recherchen gestoßen sind, und die als Vorbild für die Bühnenfigur gedient hat. Bei der knapp bemessenen Gesamtlänge bleibt zudem wenig Platz für „große Gefühle“ oder „tiefschürfende Gedanken“. Zusätzlich haben Venables und Huffman Teile ihrer Chats in das Libretto eingebaut, die sie während der Arbeit an ihrer Oper geführt haben. Der Gesamteindruck blieb dementsprechend stark „konzeptionell“.

Auf das Einspielen von „Original“-Videos wurde ganz bewusst verzichtet. Der Abend beginnt mit einer gesprochenen (!) Szenenanweisung: „Das erste, was wir im Video sehen, ist ein Sofa ...“. Die zu einer raschen Abfolge „geschnittenen“ Szenen werden durch kurze Sinustöne getrennt und auf die Bühne wird projiziert, welche Figur gerade an der Reihe ist. Das hilft dem Publikum, nicht ganz den Faden zu verlieren. Den Mitwirkenden wird das Tempo elektronisch vorgegeben, es gibt keinen Dirigenten. Für das „Orchester“ sorgen vier Celli (plus ein fünftes, das zugespielt wird), jeweils zu zweit rechts und links am Bühnenrand platziert.

Der erste Teil wird von vielen raschen Cellopassagen beschleunigt und fragmentiert, den zweiten Teil prägen melodische Barockizismen, die die traumatischen Erfahrungen der Journalistin und des Freundes, die jetzt im Mittelpunkt stehen, mit aus der Vergangenheit „geborgten“ Emotionen unterlegen. Musik und Sprech-(Gesang) werden mit elektroakustischen Effekten angereichert. Der Untertitel des Werks „Eine amplizifierte Oper in zwei Teilen“ betont diese „technologische“ Herangehensweise. Erwähnenswert ist noch ein Intermezzo, das vom ersten zum zweiten Teil überleitet und das akustisch an einen fahrenden Zug erinnert. Begleitet von stroboskopartigen Bühneneffekten entsteht der Eindruck eines sogartigen, schicksalshaften Dahinrasens, dem sich niemand entziehen kann.

Die nüchterne Inszenierung von Marcos Darbyshire hat sich auf einen einfachen Bühnenbau (Martin Hickmann) beschränkt. Die Bühne bestand aus ein paar flachen Stufenelementen und seitlich angebrachten, je nach Bedarf eingesetzten Leuchtflächen. Der Blick auf eine große Projektionswand im Hintergrund blieb frei. In der Farbgebung dominierten dunkle Blautöne. Hasti Molavian (Mezzo) und Timothy Connor (Bariton) steckten in einfachen dunklen Gewändern, langärmeliges Oberteil und Hose. Sie lassen sich auf ein interaktives Rollenspiel ein, wiederholen Sätze des jeweils anderen, ergänzen Worte, übersetzen, wenn eine der Figuren in die russische Sprache wechselt. Dass die ganze Aufführungssituation trotz „Ear-Monitoring“ mit exakter Tempovorgabe „natürlich“ wirkte, ist auch der aufopferungsvollen Probenarbeit zu verdanken, der sich die beiden unterzogen haben. Anna Sushon hat für die komplexe musikalische Feinabstimmung gesorgt.

Aber was nimmt man von diesem Abend mit nach Hause? Die Szene mit der Panikattacke der „Nachbarin“ beschreibt vielleicht am besten die emotionale Reaktion: Momente „flashartiger“ Erregung, die schnell verpuffen und mehr ermüden als Anteilnahme erwecken. Auch wenn am Premierenabend ein paar Plätze leer geblieben waren, das Publikum spendete langen, starken Applaus.