Trojahn-Portal
„Ausgedünnter Mythos“
(Dominik Troger)
Orphée
und Eurydice – der „Urmythos“ des abendländischen Musiktheaters ist um
eine Facette reicher. Manfred Trojahn nimmt in seiner Oper „Eurydice –
Die Liebenden, blind“ einen Perspektivenwechsel vor: Er rückt Eurydice in
den Mittelpunkt..
Der
Komponist hat die Handlung in eine nicht nähert definierte Gegenwart
verlegt. Eurydice ist eine Schauspielerin, die sich auf ihrer
„Todesreise“ befindet. Im ersten Akt lernt sie bei einer Zugfahrt
Orphée kennen, der sich in sie verliebt. Im zweiten Akt folgt Orphée
seiner von Pluton in den Hades geleiteten Geliebten. Im dritten Akt
scheint es, als habe Eurydice in der Unterwelt ihren Platz gefunden.
Wird sie das Angebot Orphées, sie aus dem Totenreich zu befreien,
annehmen?
Die Geschichte, die erzählt wird, ist insgesamt etwas „schwebend“, aber
Trojahn hat sich bei dieser Oper auf eine „eindeutige Uneindeutigkeit“
eingeschworen. Eurydice befindet sich in einem jede Regung, jedes Wort
relativierenden „Traumzustand“. Außerdem plagen sie starke
Selbstzweifel, die in dem Satz kulminieren: „Bin ich noch ich, war ich
es je?“. Aber zumindest im Hades darf Eurydice die Königin spielen, ein
Wunsch, der ihr in ihrem Leben als wenig erfolgreiche Schauspielerin
offenbar versagt geblieben ist.
Trojahn hat versucht, den Mythos durch „Psychologie“ zu ersetzen. Doch
die Beziehung zwischen Eurydice und Orphée befindet sich von Anfang an
in einem Schwebezustand, der kein Ziel zu kennen scheint. Er wird
episodenhaft durch Eurydice unterbrochen, die sich an verflossene
Geliebte erinnert, hinter denen sich aber immer Pluton verbirgt, der
eben dabei ist, sie in die Unterwelt zu geleiten.
Insgesamt entwickelt Eurydice als Figur nur wenig eigenständige
Konturen. Manchmal hat sie etwas von einer verkappten Lulu an sich, die
für Richard Strauss-Opern „schwärmt“. Hatte Eurydice nicht sogar einen
Dichterfreund mit dem Namen Olivier? Und wenn Eurydice über das
Verhältnis von Poesie und Musik nachdenkt, faltet sich ein Rüsche
„Capriccio“-Gräfin aus ihrem „schwebezuständlichen“ Seelenkleid.
Pluton und Proserpine sind das spannendere Paar – ihre schwierige
Beziehung hat auch einen Zug zum Theatralischen, der einer Oper gut
tut. Und es ist zu befürchten, dass sich daran das Scheitern von
Trojahns dramatischen Absichten am besten ablesen läßt: Wo sich
Eurydice und Orphée mühsam aneinander abarbeiten, sind Pluton und
Proserpine klar positioniert. Proserpine macht sich sogar an Orphée
heran, der für die an einen kalten, „totengräberischen“ Gemahl
gefesselte Frau vielleicht eine willkommene erotische Abwechslung
gewesen wäre – hätte er sich darauf eingelassen.
Nun hat Trojahn in sein Libretto auch Teile aus Rilkes „Sonette an
Orpheus“ eingebaut, deren Lyrik er acht Madrigalisten in die Kehle
legt, die als Chor dann und wann für so etwas wie einen poetischen
Kommentar sorgen. So bleibt denn alles in hohem Maße subtil, ohne
ironische Brechung. Auf diese Weise entwickelt sich das Lebensschicksal
einer auch mal in etwas hohlwangige Metaphern abgleitenden
Schauspielerin nicht gerade zum „prallen“ Musiktheatererlebnis.
Auch in der musikalischen Ausfertigung ist diese Oper mehr „erinnernd“,
als mitreißend. Trojahn kennt natürlich seine Vorgänger, von einem
Tristanschen Sehnen über Richard Strauss-Anklänge oder dem Aufwallen
einzelner Impressionismus-Wogen wird man vieles „eindeutig-uneindeutig“
zu erkennen vermeinen, ohne dass man Trojahn jetzt als Eklektizisten
bezeichnen würde. In seinem Spiel mit Klangfarben lebt noch eine
romantische Sehnsucht, die an der Gegenwart zerfasert, so wie ein aus
heutiger Sicht erinnerter Mythos – und Trojahn spiegelt damit auf der
musikalischen Ebene, was Eurydice auf der Bühne versucht: mit dem
Erinnern noch etwas vom Damals in die Gegenwart zu holen und damit
zugleich für die Zukunft zu retten – ein auswegloses Unterfangen?
Von Trojahns meisterlicher Orchesterbehandlung hat auch sein Einakter
„Orest“ gezeugt, der vor einigen Jahren sogar an der Wiener Staatsoper
aufgeführt worden ist. Dieser „Orest“ war allerdings mit einer etwas
kräftigeren „Theaterpranke“ versehen, als diese von mir insgesamt als
sehr „zäh“ empfundene Todesreise Eurydices, mit einer Länge von rund
eindreiviertel pausenlosen Stunden.
Außerdem bot die auf mich uninspiriert wirkende Inszenierung von Juana Inés Cano Restrepo
keine Hilfestellung. Das ganz wesentliche Motiv des Reisens, das zum
Beispiel den ersten Akt mit der Zugfahrt bestimmt, konnte in dem sehr
abstrakt wirkenden Bühnenambiente kaum nachvollzogen werden: eine weiße
Wand im Hintergrund, davor ein paar weiße Sessel. Die Bewegung wurde
mehr in die Protagonisten verlagert. (Zu den szenischen
„Höhepunkten“ zählte etwa, dass Eurydice über zusammengestellte Sessel
schreitet oder dass sie sich das Gesicht mit weißer Paste oder Schaum
vollkleckern muss.)
Vielleicht hätten Videos geholfen, um den essentiellen Aspekt von
Eurydices Todesreise optisch besser zu unterstreichen, um für das
Publikum die verschiedenen Erinnerungsebenen deutlicher fassbar zu
machen. Die Unterwelt im dritten Akt lag hinter dieser weißen, sich
öffnenden Wand und war mit goldener Folie ausgekleidet. Die
Madrigalisten verströmten ein leichtes Commedia del arte-Flair,
vielleicht als eine Reminiszenz an Eurydices Schauspielerinnendasein
gedacht.
Laure-Catherine Beyers
hatte die schwierige Aufgabe, der Eurydice bühnenwirksame Substanz zu
verleihen. Gesanglich wurde sie von Trojahn hin und wieder etwas an
ihre Grenzen geführt, wenn emotionale Ausbrüche gefragt waren, mit
phasenweise etwas flackrigem Sopran. Martin Achrainer verlieh dem Orphée ausreichende, mit angenehmer Baritonlyrik unterfütterte Präsenz. Christoph Gerhardus gab dem Plutone und in seinen Erscheinungsformen als früherer Geliebter Eurydikes markantes Gepräge – und Lena Belkina
war eine Prosperine mit festem Mezzo und starkem Profil. Proserpine
profitierte in ihrer Gesamterscheinung auch von dem mattgoldenen,
barock anmutenden Kostüm, das ihren Status sehr gut repräsentierte. Die
stimmungsvoll Rilke folgenden Madrigalisten des Wiener Kammerchors
fungierten zum Teil auch als „Statisten“. Walter Kobéra hielt
am Pult des sich auf die Klangwelten Trojahns eindrücklich einlassenden
Tonkünstler Orchesters Niederösterreich die Fäden in der Hand.
Die Oper ist 2022 in Amsterdam uraufgeführt worden, für das Liebespaar
wurde damals eine illustre Besetzung aufgeboten: Julia Kleiter als
Eurydice und André Schuen als Orphée, inszeniert hat Pierre Audi. Die
Österreichische Erstaufführung durch die Neue Oper Wien hat bereits am
16. Oktober stattgefunden. Bei der von mir besuchten dritten Aufführung
war die nur bis zur Reihe 14 für das Publikum geöffnete Halle E im
Museumsquartier etwa zu drei Viertel besetzt.
Das Publikum spendete minutenlangen Applaus, der mit besonderer
Dankbarkeit Walter Kobera einschloss, der sich mit dieser Produktion
von der Neuen Oper Wien zurückziehen wird. Ein erfahrenes Team für die
Nachfolge ist mit dem Tenor Alexander Kaimbacher und der Dirigentin
Anna Sushon bereits gefunden.
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