EURYDICE DIE LIEBENDEN, BLIND
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Museumsquartier
21. Oktober 2025

Österr. Erstaufführung am 16. Oktober 2025

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Juana Inés Cano Restrepo
Bühne & Kostümeg: Dietlind Konold

Lichtdesign: Norbert Chmel
Klangregie: Christina Bauer
Choreinstudierung: Bernhard Jaretz

Tonkünstler Orchester Niederösterreich
Madrigalisten des Wiener Kammerchors

Eurydice - Laure-Catherine Beyers
Orphée - Martin Achrainer
Pluton - Christoph Gerhardus
Proserpine - Lena Belkina

Madrigalisten:

Sopran: Theresa Hemedinger, Maria Weber
Alt:Marie Sophie Bauder, Elisabeth Kirchner
Tenor: Michael George Florendo, Benjamin Prieger
Bass: Markus Adenstedt, Maximilian Zöchbauer

Trojahn-Portal

Ausgedünnter Mythos
(Dominik Troger)

Orphée und Eurydice – der „Urmythos“ des abendländischen Musiktheaters ist um eine Facette reicher. Manfred Trojahn nimmt in seiner Oper „Eurydice – Die Liebenden, blind“ einen Perspektivenwechsel vor: Er rückt Eurydice in den Mittelpunkt..

Der Komponist hat die Handlung in eine nicht nähert definierte Gegenwart verlegt. Eurydice ist eine Schauspielerin, die sich auf ihrer „Todesreise“ befindet. Im ersten Akt lernt sie bei einer Zugfahrt Orphée kennen, der sich in sie verliebt. Im zweiten Akt folgt Orphée seiner von Pluton in den Hades geleiteten Geliebten. Im dritten Akt scheint es, als habe Eurydice in der Unterwelt ihren Platz gefunden. Wird sie das Angebot Orphées, sie aus dem Totenreich zu befreien, annehmen?

Die Geschichte, die erzählt wird, ist insgesamt etwas „schwebend“, aber Trojahn hat sich bei dieser Oper auf eine „eindeutige Uneindeutigkeit“ eingeschworen. Eurydice befindet sich in einem jede Regung, jedes Wort relativierenden „Traumzustand“. Außerdem plagen sie starke Selbstzweifel, die in dem Satz kulminieren: „Bin ich noch ich, war ich es je?“. Aber zumindest im Hades darf Eurydice die Königin spielen, ein Wunsch, der ihr in ihrem Leben als wenig erfolgreiche Schauspielerin offenbar versagt geblieben ist.

Trojahn hat versucht, den Mythos durch „Psychologie“ zu ersetzen. Doch die Beziehung zwischen Eurydice und Orphée befindet sich von Anfang an in einem Schwebezustand, der kein Ziel zu kennen scheint. Er wird episodenhaft durch Eurydice unterbrochen, die sich an verflossene Geliebte erinnert, hinter denen sich aber immer Pluton verbirgt, der eben dabei ist, sie in die Unterwelt zu geleiten.

Insgesamt entwickelt Eurydice als Figur nur wenig eigenständige Konturen. Manchmal hat sie etwas von einer verkappten Lulu an sich, die für Richard Strauss-Opern „schwärmt“. Hatte Eurydice nicht sogar einen Dichterfreund mit dem Namen Olivier? Und wenn Eurydice über das Verhältnis von Poesie und Musik nachdenkt, faltet sich ein Rüsche „Capriccio“-Gräfin aus ihrem „schwebezuständlichen“ Seelenkleid.

Pluton und Proserpine sind das spannendere Paar – ihre schwierige Beziehung hat auch einen Zug zum Theatralischen, der einer Oper gut tut. Und es ist zu befürchten, dass sich daran das Scheitern von Trojahns dramatischen Absichten am besten ablesen läßt: Wo sich Eurydice und Orphée mühsam aneinander abarbeiten, sind Pluton und Proserpine klar positioniert. Proserpine macht sich sogar an Orphée heran, der für die an einen kalten, „totengräberischen“ Gemahl gefesselte Frau vielleicht eine willkommene erotische Abwechslung gewesen wäre – hätte er sich darauf eingelassen.

Nun hat Trojahn in sein Libretto auch Teile aus Rilkes „Sonette an Orpheus“ eingebaut, deren Lyrik er acht Madrigalisten in die Kehle legt, die als Chor dann und wann für so etwas wie einen poetischen Kommentar sorgen. So bleibt denn alles in hohem Maße subtil, ohne ironische Brechung. Auf diese Weise entwickelt sich das Lebensschicksal einer auch mal in etwas hohlwangige Metaphern abgleitenden Schauspielerin nicht gerade zum „prallen“ Musiktheatererlebnis.

Auch in der musikalischen Ausfertigung ist diese Oper mehr „erinnernd“, als mitreißend. Trojahn kennt natürlich seine Vorgänger, von einem Tristanschen Sehnen über Richard Strauss-Anklänge oder dem Aufwallen einzelner Impressionismus-Wogen wird man vieles „eindeutig-uneindeutig“ zu erkennen vermeinen, ohne dass man Trojahn jetzt als Eklektizisten bezeichnen würde. In seinem Spiel mit Klangfarben lebt noch eine romantische Sehnsucht, die an der Gegenwart zerfasert, so wie ein aus heutiger Sicht erinnerter Mythos – und Trojahn spiegelt damit auf der musikalischen Ebene, was Eurydice auf der Bühne versucht: mit dem Erinnern noch etwas vom Damals in die Gegenwart zu holen und damit zugleich für die Zukunft zu retten – ein auswegloses Unterfangen?

Von Trojahns meisterlicher Orchesterbehandlung hat auch sein Einakter „Orest“ gezeugt, der vor einigen Jahren sogar an der Wiener Staatsoper aufgeführt worden ist. Dieser „Orest“ war allerdings mit einer etwas kräftigeren „Theaterpranke“ versehen, als diese von mir insgesamt als sehr „zäh“ empfundene Todesreise Eurydices, mit einer Länge von rund eindreiviertel pausenlosen Stunden.

Außerdem bot die auf mich uninspiriert wirkende Inszenierung von Juana Inés Cano Restrepo keine Hilfestellung. Das ganz wesentliche Motiv des Reisens, das zum Beispiel den ersten Akt mit der Zugfahrt bestimmt, konnte in dem sehr abstrakt wirkenden Bühnenambiente kaum nachvollzogen werden: eine weiße Wand im Hintergrund, davor ein paar weiße Sessel. Die Bewegung wurde mehr in die Protagonisten verlagert. (Zu den  szenischen „Höhepunkten“ zählte etwa, dass Eurydice über zusammengestellte Sessel schreitet oder dass sie sich das Gesicht mit weißer Paste oder Schaum vollkleckern muss.)

Vielleicht hätten Videos geholfen, um den essentiellen Aspekt von Eurydices Todesreise optisch besser zu unterstreichen, um für das Publikum die verschiedenen Erinnerungsebenen deutlicher fassbar zu machen. Die Unterwelt im dritten Akt lag hinter dieser weißen, sich öffnenden Wand und war mit goldener Folie ausgekleidet. Die Madrigalisten verströmten ein leichtes Commedia del arte-Flair, vielleicht als eine Reminiszenz an Eurydices Schauspielerinnendasein gedacht.

Laure-Catherine Beyers hatte die schwierige Aufgabe, der Eurydice bühnenwirksame Substanz zu verleihen. Gesanglich wurde sie von Trojahn hin und wieder etwas an ihre Grenzen geführt, wenn emotionale Ausbrüche gefragt waren, mit phasenweise etwas flackrigem Sopran. Martin Achrainer verlieh dem Orphée ausreichende, mit angenehmer Baritonlyrik unterfütterte Präsenz. Christoph Gerhardus gab dem Plutone und in seinen Erscheinungsformen als früherer Geliebter Eurydikes markantes Gepräge – und Lena Belkina war eine Prosperine mit festem Mezzo und starkem Profil. Proserpine profitierte in ihrer Gesamterscheinung auch von dem mattgoldenen, barock anmutenden Kostüm, das ihren Status sehr gut repräsentierte. Die stimmungsvoll Rilke folgenden Madrigalisten des Wiener Kammerchors fungierten zum Teil auch als „Statisten“. Walter Kobéra hielt am Pult des sich auf die Klangwelten Trojahns eindrücklich einlassenden Tonkünstler Orchesters Niederösterreich die Fäden in der Hand.

Die Oper ist 2022 in Amsterdam uraufgeführt worden, für das Liebespaar wurde damals eine illustre Besetzung aufgeboten: Julia Kleiter als Eurydice und André Schuen als Orphée, inszeniert hat Pierre Audi. Die Österreichische Erstaufführung durch die Neue Oper Wien hat bereits am 16. Oktober stattgefunden. Bei der von mir besuchten dritten Aufführung war die nur bis zur Reihe 14 für das Publikum geöffnete Halle E im Museumsquartier etwa zu drei Viertel besetzt.

Das Publikum spendete minutenlangen Applaus, der mit besonderer Dankbarkeit Walter Kobera einschloss, der sich mit dieser Produktion von der Neuen Oper Wien zurückziehen wird. Ein erfahrenes Team für die Nachfolge ist mit dem Tenor Alexander Kaimbacher und der Dirigentin Anna Sushon bereits gefunden.
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