ANTIGONE
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Kammeroper
30. November 2015

Premiere

Musik von Tommaso Traetta
Libretto von Marco Coltellini

Musikalische Leitung: Attilio Cremonesi

Inszenierung: Vasily Barkhatov
Ausstattung: Zinovy Margolin
Licht: Franz Tscheck

Bach Consort Wien

Antigone - Viktorija Bakan
Ismene - Natalia Kawalek
Creonte - Thomas David Birch
Emone - Jake Arditti
Adrasto - Christoph Seidl


„Grabumdrehen in der Kammeroper“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien in der Kammeroper hat eine Oper von Tommaso Traetta auf den Spielplan gesetzt. Die 1772 in St. Petersburg uraufgeführte „Antigone“ ist ein Werk der Frühklassik, dem die zeitliche Nähe zu Gluck und dem jungen Mozart (inklusive „Idomeneo“) anzuhören ist.

Traetta, Jahrgang 1727, hat sich schon Ende der 1750er-Jahre mit der französischen Oper befasst. In diesem Sinne verzichtet „Antigone“ auf ausladende Da-Capo-Arien, es gibt Tänze und den Stil zeichnet jene „Erhabenheit“ aus, die man auch so gerne Glucks Reformopern zuspricht. Der Charakter der Antigone atmet zudem jene frühklassizistisch überhauchte Tragik, in der eine schöne Stimme in seelenvoller Klarheit die mythischen Tiefen menschlichen Leidens beschwört.

Bei Traetta geht die Geschichte im Gegensatz zur antiken Tragödie allerdings gut aus, Kreon erkennt die Maßlosigkeit seines Urteils und willigt in die Heirat von Antigone mit Emone ein. Das etwas aufgesetzt wirkende „lieto fine“ ist nicht nur der Konvention geschuldet, sondern auch der Aufklärung mit ihrem positiven Glauben an eine vernunftorientierte Gesellschaft. Die Oper wurde übrigens im Jahr 2000 von Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset eingespielt. 2011 gab es eine szenische Produktion an der Berliner Staatsoper unter der Stabführung von Rene Jacobs.

In der Kammeroper war von dieser erhabenen Tragik, die letztlich dem antiken Theater nachempfunden ist (was sich etwa auch in der Behandlung der Chöre ausdrückt), wenig zu spüren. Das hatte stark mit der Inszenierung zu tun. Dem jungen russischen Regisseur Vasily Barkhatov hat das „Dekonstruieren“ offenbar viel Spaß gemacht. Braucht es dafür einen besseren Beweis, als dass er Szenen und sogar Arien immer wieder durch kurze Generalpausen unterbrechen ließ, in denen es auf der Bühne finster wurde, während eine Lichtleiste, die am Bühnenrand befestigt war, das Publikum blendete?

Barkhatov packte die ganze Familie Antigone in eine Gruft, verlegte die Handlung dermaßen in die Gegenwart, so dass Antigone sogar mit einem Smartphone ihre Grabnische ausleuchten konnte. Mit der Aktualisierung beginnen aber schon die Probleme. Woher nimmt Kreon seine Autorität? Wie plausibel wirkt diese Geschichte noch, wenn Ismene wuterfüllt die Grabplatten zerschlägt, wenn den vermeintlichen Tod Emones das Productplacement eines bekannten Sportartikelherstellers begleitet und wenn Adrasto Kreon mit einem weißen Plastiksackerl erstickt? Das Einheitsbühnenbild mit seinen Marmorplatten – auch Ödipus war auf einer solchen verewigt – erwies sich zwar als zweckmäßig, aber die Figuren, die sich dort tummelten, weckten sie überhaupt noch Interesse?

Das Filmchen zur Ouvertüre – die gut gekleidete Begräbnisgesellschaft auf dem Weg über einen herbstlichen Friedhof zur Gruft – entsprach ganz dem Tonfall der reich bebilderten Gesellschaftsrubriken in den Zeitungen und lieferte Traetta dem unhistorischen, eventbezogenen Kunstverständnis des 21. Jahrhunderts aus. Und wie hat Barkhatov den im Gegensatz zum Mythos positiven Schluss gelöst? Möglicherweise erlebt die in ihrer Grabnische eingeschlossene Antigone eine Vision: Denn plötzlich ist Eumene mit einer Flasche Sekt bei ihr, und Adrasto und Kreon drängen sich dann auch noch hinzu – während Ismene mit einem Haufen an Toten alleine in der Gruft zurückbleibt. War das noch „ernst“ zu nehmen?

Die verlangte Klarheit und Gefasstheit des emotionalen Ausdrucks in der musikalischen Umsetzung hat vor allem Jake Arditti (Emone) mit seinem Countertenor umgesetzt. Ardittis Countertenor ist nicht den süßen „Nachtigallen“ zuzurechnen, sondern etwas sehniger timbriert, getragen von jugendlicher Spannkraft. Und der Sänger vermochte seinen Gesang mit feinen Schattierungen zu beleben. Viktorija Bakan mit ihrem leicht dunklen, doch etwas unruhigen Sopran, passte gut zur Antigone dieser Produktion, die mit gestyltem Outfit und expressiver Widerständigkeit agierte. Natalia Kawalek gab die Ismene mit lyrischem, selbstbewussten Mezzo, angetan mit schwarzer Lederjacke – und beide Schwestern waren mehr „starke“ Frauen im heutigen Sinne, als „barocke Primadonnen“.

Adrasto stammt eigentlich aus königlichem Geblüt, aber in dieser Produktion blieb er als Figur (Priester, väterlicher Freund, moralische Instanz?) wenig greifbar. Christoph Seidl hat mit seiner angenehmen, jugendlichen Bassstimme den Adrasto zudem nicht wirklich auf einen Charakter festgelegt. Dass dieser Kreon schließlich umbringt, war kaum nachvollziehbar. Thomas David Birch führte als Kreon einen der Figur angemessenen, leicht baritonal gefärbten Tenor ins Treffen, der im Laufe des Abends möglicherweise von einer plötzlichen Indisposition beeinträchtigt worden ist – für mich eine mögliche Erklärung für die mangelnde Überzeugungskraft des Sängers nach der Pause.

Das Bach Consort Wien unter Attilio Cremonesi ging eher flott an die Sache heran, durchaus um dynamische Gestaltung und solistische Nuancen besorgt, aber in Summe fehlte es auch hier – wie den meisten Mitwirkenden auf der Bühne – am stilistischen Raffinement. Eine konzertante Aufführung wäre Traetta womöglich ein besserer Anwalt gewesen. Zudem reicht „Antigone“ für meinen Geschmack musikalisch an die bekannten Meisterwerke Glucks nur phasenweise heran. Und wer bedenkt, dass sich Gluck heutzutage eher eines Nischendaseins erfreut, wird diese „Antigone“ dann doch mehr nach operngeschichtlichen Aspekten beurteilen und nicht als sensationelle Wiederentdeckung behandeln.

Das Premierenpublikum war offenbar anderer Auffassung als der Schreiber dieser Zeilen und spendete starken Beifall.