„Spannende Ausgrabung“
(Dominik Troger)
Opernrarität
im Theater an der Wien: Auf dem Programm stand „Merope“,
eine Opera seria von Domènech Terradellas, uraufgeführt
im Rom des Jahres 1743.
Domènech
Terradellas wurde laut Programmheft zur Aufführung 1711 in Barcelona
geboren. (Die englische Wikipedia nennt das Jahr 1713. Wo die zwei
Jahre geblieben sind, habe ich nicht nachgeforscht.). Ausgebildet wurde
er in Neapel, ging dann nach Rom, Mitte der 1740er-Jahre findet man ihn
in London, das er aber bald wieder verlassen hat. Über seine letzten
Lebensjahre ist wenig bekannt. Sein musikalisches Oeuvre wurde von den
Zeitgenossen offenbar geschätzt, ist dann aber der Aufmerksamkeit der
Rezeptionsgeschichte entglitten. Ganz „vergessen“ wurde
Terradellas nicht, weil er als katalanischer Komponist gut dafür
geeignet war, um entsprechendes national-kulturelles Selbstbewusstsein
zu befördern.
Im Zentrum der Oper steht das Schicksal der Königin Merope von
Messenien, der übel mitgespielt wird, die zuletzt sogar glaubt, für den
Mord am eigenen Sohn verantwortlich zu sein. Aber auf eins, zwei, drei
geht die Geschichte dann doch noch gut aus. Drahtzieher ist der böse
König Polifonte, der Merope heiraten möchte, um seine Herrschaft zu
legitimieren, hat er doch Meropes Gemahl und Söhne ermorden lassen –
das heißt, einer der Söhne ist entkommen, Epitide, der in der Oper auch
eine ganz wichtige Rolle spielt.
Denn der zum Helden gereifte Jüngling ist unter falschem Namen in
Messenien unterwegs und holt sich schlussendlich den Thron zurück –
auch wenn seine Mutter fast drei Stunden benötigt, um ihn wieder zu
erkennen. Das oftmals vertonte Libretto von Apostolo Zeno treibt die
Figuren in emotionale Grenzsituationen, dass es nur so eine Freude ist.
Und auch der Komponist scheint Freude am Verkomponieren von Zenos
Versen gehabt zu haben.
Terradellas musikalische Lehrjahre in Neapel hört man seiner „Merope“
an. Man könnte jetzt Komponistenkollegen wie Leonardo Vinci und Antonio
Porpora anführen. Terradellas musikalische „Energie“ liegt vielleicht
näher beim jugendlichen „Feuer“
eines Leonardo Vinci, wobei er eine sich quasi „verselbständigende“
Virtuosität der Gesangslinie nicht so überbetont, wie es öfter bei
Porpora der Fall ist. Aber eigentlich weicht Terradella die
Schablonenhaftigkeit der Opera seria schon ein wenig auf, vor allem in
der geschickten Einbindung und Ausgestaltung begleitender Rezitative.
Schon am Beginn wird es ganz königlich, mit den Trompeten in der
Ouvertüre und der Bravourarie des Epitide, der gleich einmal seine
Tapferkeit herausstreicht, weil er vor hat, den wilden Eber zu erlegen,
der Messeniens Fluren verwüstet. Süffig komponiert, dann wieder die
Emotionen fast exzentrisch aus den Figuren pressend, erreicht
Terradella eine hohe Expressivität in Schlüsselszenen: etwa wenn
Polifonte Ängste quälen, weil er befürchtet, dass die Schatten der
Ermordeten zurückkehren könnten – oder kurz vor Schluss, wenn Merope
vor den Trümmern ihrer Existenz steht und noch einmal ihren ganzen Hass
auf Polifonte projiziert.
Dazu gesellen sich viele hübsche Details: wenn Licisco über die Lüge
„referiert“, ist in den Violinen zu hören wie gleichsam die Wahrheit
„verrutscht“; der Held Epitide darf auch eine liebliche „Vogelarie“ zum
Besten geben, von „zwitschernden“ Traversflöten begleitet; die
Liebesnöte des Trasimene, der hoffnungslos Merope liebt, begleiten
kurze „Celloschmerzen“. Es gab in diesen dreieinhalb Stunden (inklusive
einer Pause) jedenfalls viel zu entdecken.
Gegeben wurde eine für die Aufführungsserie (Barcelona – Madrid –
Berlin – Wien) eingerichtete Fassung, in der die ursprünglich für
Kastraten konzipierten Partien mit Frauenstimmen besetzt wurden. Francesco Corti und die Akademie für Alte Musik Berlin
sorgten für eine spannende Umsetzung. Sie hatten Terradellas
Musik fest im Griff, mit Schwung auf die dramatische Linie bedacht,
akzentuiert, ohne dabei einer nüchternen Akkuratesse zu folgen.
Die Besetzung war gut gewählt, auch unter Berücksichtigung der Figurencharaktere. Francesca Pia Vitale
zum Beispiel sang den voller jugendlicher Energie überschäumenden
Epitide mit Verve und einem leuchtend-schillernden, lyrischen Sopran.
Allerdings mischten sich einige ziemlich forcierte Spitzentöne
darunter, unter denen der Gesamteindruck dann doch ein wenig zu leiden
hatte.
Emöke Baráth ist von
früheren konzertanten Vorstellungen im Theater an der Wien in
bester Erinnerung. Ihre Stimme ist über die Jahre eine Spur
dramatischer gereift, ohne die lyrischen, in einer sopranrunden
Herzlichkeit ruhenden Wurzeln zu verleugnen. Baráth, eine stilistisch
versierte Sängerin barocken Repertoires, gelang es, die vielen
emotionalen Schattierungen von Meropes Bühnendasein sehr gut
abzudecken. Dass man aus Meropes Hass vielleicht noch „tragödischere“
Funken schlagen könnte, sei angemerkt. Barath hat die Figur mehr von
der menschlichen Seite gezeigt und nicht als Primadonna „inszeniert“.
Sunhae Ims leichter
Sopran gab der Prinzessin Argia etwas „Kammerzofenartiges“. Passend
neckisch-trotzig und mit selbstbestimmter Jugendlichkeit gestaltete
sich die Arie, in der Argia darauf besteht, sich ihren Ehemann selbst
aussuchen zu dürfen. Zeitweise klang mir ihr Sopran aber zu fragil,
scheint ihm insgesamt die verspielte Koketterie einer Opera buffa mehr
zu liegen. Eine versierte, frischgetönte Altstimme steuerte Margherita Maria Sala als Licisco bei.
Der Polifonte wurde von Valerio Contaldo in
seiner maßlosen Selbstüberschätzung und Perfidie sehr gut gezeichnet
und mit einem leicht gerauten, stilistisch weniger ausgefeilten Tenor
unterlegt. Hier stand mehr das „Theatralische-dramatische“ im
Vordergrund, was aber im Sinne der Aufführung lag, weil der
Bühnencharakter dadurch stark an Konturen gewann.
Paul-Antione Bénos-Djians
ließ einen kräftigen Countertenor hören, viril und doch mit einiger
Süße, stilistisch ausgefeilt, in der Eleganz vielleicht nicht ganz so
anschmiegsam wie andere Vertreter seiner Kunst. Anassandro wurde von Thomas Hobbs
als „naives Werkzeug“ Polifontes angelegt, das sich dann allerdings
emanzipiert. Sein etwas hölzerner Ausdruck und der mehr nüchterne
„Oratorientenor“ passten gut zur Figur dieses Handlagers.
Das Orchestergraben war wieder abgedeckt und die Sänger standen ins
Auditorium vorgeschoben an der Rampe, das kleine Orchester war dahinter
aufgestellt. Es gab rund sechs Minuten langen, starken Schlussapplaus im gut besuchten, aber nicht ganz gefüllten Haus.