MEROPE

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Theater an der Wien
28.2.2025
Konzertante Aufführung

Dirigent: Francesco Corti

Akademie für Alte Musik Berlin

Merope - Emöke Baráth
Epitide - Francesca
Pia Vitale
Trasimede - Paul-Antoine Bénos-Djian
Polifonte - Valerio Contaldo
Argia - Sunhae Im
Licisco - Margherita Maria Sala
Anassando - Thomas Hobbs


Spannende Ausgrabung

(Dominik Troger)

Opernrarität im Theater an der Wien: Auf dem Programm stand „Merope“, eine Opera seria von Domènech Terradellas, uraufgeführt im Rom des Jahres 1743.

Domènech Terradellas wurde laut Programmheft zur Aufführung 1711 in Barcelona geboren. (Die englische Wikipedia nennt das Jahr 1713. Wo die zwei Jahre geblieben sind, habe ich nicht nachgeforscht.). Ausgebildet wurde er in Neapel, ging dann nach Rom, Mitte der 1740er-Jahre findet man ihn in London, das er aber bald wieder verlassen hat. Über seine letzten Lebensjahre ist wenig bekannt. Sein musikalisches Oeuvre wurde von den Zeitgenossen offenbar geschätzt, ist dann aber der Aufmerksamkeit der Rezeptionsgeschichte entglitten. Ganz „vergessen“ wurde Terradellas  nicht, weil er als katalanischer Komponist gut dafür geeignet war, um entsprechendes national-kulturelles Selbstbewusstsein zu befördern.

Im Zentrum der Oper steht das Schicksal der Königin Merope von Messenien, der übel mitgespielt wird, die zuletzt sogar glaubt, für den Mord am eigenen Sohn verantwortlich zu sein. Aber auf eins, zwei, drei geht die Geschichte dann doch noch gut aus. Drahtzieher ist der böse König Polifonte, der Merope heiraten möchte, um seine Herrschaft zu legitimieren, hat er doch Meropes Gemahl und Söhne ermorden lassen – das heißt, einer der Söhne ist entkommen, Epitide, der in der Oper auch eine ganz wichtige Rolle spielt.

Denn der zum Helden gereifte Jüngling ist unter falschem Namen in Messenien unterwegs und holt sich schlussendlich den Thron zurück – auch wenn seine Mutter fast drei Stunden benötigt, um ihn wieder zu erkennen. Das oftmals vertonte Libretto von Apostolo Zeno treibt die Figuren in emotionale Grenzsituationen, dass es nur so eine Freude ist. Und auch der Komponist scheint Freude am Verkomponieren von Zenos Versen gehabt zu haben.

Terradellas musikalische Lehrjahre in Neapel hört man seiner „Merope“ an. Man könnte jetzt Komponistenkollegen wie Leonardo Vinci und Antonio Porpora anführen. Terradellas musikalische „Energie“ liegt vielleicht näher beim jugendlichen
Feuer eines Leonardo Vinci, wobei er eine sich quasi „verselbständigende“ Virtuosität der Gesangslinie nicht so überbetont, wie es öfter bei Porpora der Fall ist. Aber eigentlich weicht Terradella die Schablonenhaftigkeit der Opera seria schon ein wenig auf, vor allem in der geschickten Einbindung und Ausgestaltung begleitender Rezitative.

Schon am Beginn wird es ganz königlich, mit den Trompeten in der Ouvertüre und der Bravourarie des Epitide, der gleich einmal seine Tapferkeit herausstreicht, weil er vor hat, den wilden Eber zu erlegen, der Messeniens Fluren verwüstet. Süffig komponiert, dann wieder die Emotionen fast exzentrisch aus den Figuren pressend, erreicht Terradella eine hohe Expressivität in Schlüsselszenen: etwa wenn Polifonte Ängste quälen, weil er befürchtet, dass die Schatten der Ermordeten zurückkehren könnten – oder kurz vor Schluss, wenn Merope vor den Trümmern ihrer Existenz steht und noch einmal ihren ganzen Hass auf Polifonte projiziert.

Dazu gesellen sich viele hübsche Details: wenn Licisco über die Lüge „referiert“, ist in den Violinen zu hören wie gleichsam die Wahrheit „verrutscht“; der Held Epitide darf auch eine liebliche „Vogelarie“ zum Besten geben, von „zwitschernden“ Traversflöten begleitet; die Liebesnöte des Trasimene, der hoffnungslos Merope liebt, begleiten kurze „Celloschmerzen“. Es gab in diesen dreieinhalb Stunden (inklusive einer Pause) jedenfalls viel zu entdecken.

Gegeben wurde eine für die Aufführungsserie (Barcelona – Madrid – Berlin – Wien) eingerichtete Fassung, in der die ursprünglich für Kastraten konzipierten Partien mit Frauenstimmen besetzt wurden. Francesco Corti und die Akademie für Alte Musik Berlin sorgten für eine spannende Umsetzung. Sie hatten Terradellas Musik fest im Griff, mit Schwung auf die dramatische Linie bedacht, akzentuiert, ohne dabei einer nüchternen Akkuratesse zu folgen.

Die Besetzung war gut gewählt, auch unter Berücksichtigung der Figurencharaktere. Francesca
Pia Vitale zum Beispiel sang den voller jugendlicher Energie überschäumenden Epitide mit Verve und einem leuchtend-schillernden, lyrischen Sopran. Allerdings mischten sich einige ziemlich forcierte Spitzentöne darunter, unter denen der Gesamteindruck dann doch ein wenig zu leiden hatte.

Emöke Baráth ist von früheren konzertanten Vorstellungen im Theater an der Wien in bester Erinnerung. Ihre Stimme ist über die Jahre eine Spur dramatischer gereift, ohne die lyrischen, in einer sopranrunden Herzlichkeit ruhenden Wurzeln zu verleugnen. Baráth, eine stilistisch versierte Sängerin barocken Repertoires, gelang es, die vielen emotionalen Schattierungen von Meropes Bühnendasein sehr gut abzudecken. Dass man aus Meropes Hass vielleicht noch „tragödischere“ Funken schlagen könnte, sei angemerkt. Barath hat die Figur mehr von der menschlichen Seite gezeigt und nicht als Primadonna „inszeniert“.

Sunhae Ims leichter Sopran gab der Prinzessin Argia etwas „Kammerzofenartiges“. Passend neckisch-trotzig und mit selbstbestimmter Jugendlichkeit gestaltete sich die Arie, in der Argia darauf besteht, sich ihren Ehemann selbst aussuchen zu dürfen. Zeitweise klang mir ihr Sopran aber zu fragil, scheint ihm insgesamt die verspielte Koketterie einer Opera buffa mehr zu liegen. Eine versierte, frischgetönte Altstimme steuerte Margherita Maria Sala als Licisco bei.

Der Polifonte wurde von Valerio Contaldo in seiner maßlosen Selbstüberschätzung und Perfidie sehr gut gezeichnet und mit einem leicht gerauten, stilistisch weniger ausgefeilten Tenor unterlegt. Hier stand mehr das „Theatralische-dramatische“ im Vordergrund, was aber im Sinne der Aufführung lag, weil der Bühnencharakter dadurch stark an Konturen gewann.

Paul-Antione Bénos-Djians ließ einen kräftigen Countertenor hören, viril und doch mit einiger Süße, stilistisch ausgefeilt, in der Eleganz vielleicht nicht ganz so anschmiegsam wie andere Vertreter seiner Kunst. Anassandro wurde von Thomas Hobbs als „naives Werkzeug“ Polifontes angelegt, das sich dann allerdings emanzipiert. Sein etwas hölzerner Ausdruck und der mehr nüchterne „Oratorientenor“ passten gut zur Figur dieses Handlagers.

Das Orchestergraben war wieder abgedeckt und die Sänger standen ins Auditorium vorgeschoben an der Rampe, das kleine Orchester war dahinter aufgestellt.
Es gab rund sechs Minuten langen, starken Schlussapplaus im gut besuchten, aber nicht ganz gefüllten Haus.