MUDAN TING: Szenen 1-20
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Museumsquartier Halle E / Wiener Festwochen
10.5.2001

Kunju-Oper in 55 Szenen von Tang Xianzu

Gastspiel. Gemeinschaftsproduktion Lincoln Center festival, Festival d'Automne a Paris mit Unterstützung von Bloomberg News und Fondation de France

Konzeption und Inszenierung: Chen Shi-Zeng
Notation der Partitur von Ye Tang (ca. 1792)

Du Liniang - Qian Yi
Liu Mengmei - Wen Yuhang
Du Bao - Wen Fulin
Schwester Stein -
Lin Sen
Lehrer - Shan Jing
Dame Du - Song Yang
Dienerin Frühlingsduft -
Yang Bing
und viele andere


Traum beim Pflaumenbaum
(Dominik Troger)

Wer seinen Weg Donnerstag nachmittags zur E Halle im neuadaptieren Museumsquartier suchte, der musste sich zuerst durch eine Großbaustelle kämpfen...

Ja, fragen darf man sich natürlich schon, warum man den Zugang zur ersten Festwochenproduktion 2001 über Baustellenein- und ausfahrten nehmen mußte, von großen LKWs und sonstigem Transportgefährt bedroht, von unscheinbaren Festwochen-Hoststessen geleitet, die man an neuralgischen Punkten aufgestellte hatte, damit wohl keine Besucherin und kein Besucher den Abend statt bei chinesischer Oper in einer Baugrube verbringen müsste. Und zum Glück war das Wetter trocken, den Staub konnte man sich dann, hatte man den Zielhafen der Halle E erreicht, ja von den Schuhen und aus dem Sakko klopfen...

Natürlich, das ist ein wenig übertrieben, und zu den Wochenendterminen staubt die Baustelle wahrscheinlich in friedlichem Feierabend vor sich hin (und frau/man braucht zumindest keine Angst zuhaben, überfahren zu werden), aber als geglückt kann man dieses Entree nicht bezeichnen. Immerhin hatte man dabei auch gleich die Möglichkeit, die ersten architektonischen Hilflosigkeiten zu bestaunen. Man ist über eine riesigen grauen Würfel überrascht, der da plötzlich mitten drinnen klotzt, und gleichzeitig freut man sich, das zumindest der einstens geplante Turm doch noch einem ästhetischen Gefühl für die Wirkung der Fassade zur Ringstraße hin "geopfert" worden ist. Allerdings, gewisse "Freiräume" für das Publikum sind längst notwendig gewesen, und das merkt man dann sehr angenehm bei der neuen Gestaltung der Halle E. Freiräume, die ohne Zubauten nicht umsetzbar gewesen wären. Die Art und Weise, wie diese realisiert wurden, zeigt leider, dass man sich einem spröden, kubistischen Stil verschrieben hat, der den dezenten barocken Schwung der Messepalast-Architektur auf eine unangenehme Weise kontrastiert und auftrennt. Warum immer auf Gegensätze bauen und nicht auf harmonisches Verschmelzen, ist das dem Ego heutiger Architekten unzumutbar, fühlten sie sich dann von ihren Altvordern übermannt, entmannt oder ganz einfach desavouiert?

Hat man das Äußere einmal überwunden, darf man sich in dem neuen Ambiente der Halle E (bis auf eine nervöse Videoinstallation im Foyer) durchaus wohlfühlen. Das langjährige Provisorium hat sich in einen neuen, modernen Spielraum verwandelt. Die früher mehr behelfsmäßige Gerüstkonstruktion der Zuschauertribühne wich leicht bepolsterten Sitzreihen, in dessen höchste Höhen sogar ein Aufzug führt. Die Zugänge sind zwar noch etwas schmal, aber jetzt von beiden Saalseiten möglich. Die barocken Stilelemente des Saales blieben - oh Wunder - erhalten. Eine Lautsprecheranlage, die sich bereits am ersten Abend sehr gut bewährt hat, hilft der in diesem Saale immer bescheiden gewesenen Akustik auf die Sprünge. Ja, auch die Temperaturen waren angenehm, anfangs sogar etwas kühl, im Vergleich zu den frühsommerlichen Außenwerten.

Die Vorstellung begann vor einem gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Saal:
Der erste Eindruck ist zwiespältig. China Restaurant-Atmosphäre kommt auf. Statt Aquarium ein richtiger, die Bühne an der Vorderseite abgrenzender Teich, mit zwei Paaren echter! Enten, mit Goldfischen, mit besetzten Singvogelkäfigen rechts und links. Dann die Bühne, mehr ein Rahmen, der ein Haus darstellt, mit herabzulassender Kulisse für die Andeutung von Innenräumen, mit einer großen, die ganze Bühnenbreite ausspannenden chinesischen Landschaft im Hintergrund. Rechts das Orchester, 12 Musiker, links ein Aufbau, der auch bespielt wird. Dahinter rechts und links, ganz an der Seite, Tische an denen Schauspieler sitzen, Garderobeständer. Hin und wieder schnattern Enten, seltener zwitschert ein Vogel im Käfig. Dann wird es dunkel, ein Gong ertönt, kein großer, ein kleiner in der Hand gehaltener. Er hat keinen lauten, aber einen sehr eindringlichen Klang, er dient wohl dazu, um den Rezitativen, den Bewegungen der Darsteller den Rhythmus anzugeben, hin und wieder von Klanghölzern beigesellt. Es ist ein Ton, der nach und nach die Seele weichklopft, der sie sensibler macht, für diese Liebesgeschichte, für diesen Traum, der wahr werden wird, in den nächsten zwanzig Stunden. Ein Erzähler betritt die Bühne, seine hohe, eigentümliche Stimme muss erst akzeptiert werden. Es beginnt...

Ja, dann überlegt man; dann findet man die Gewänder zwar schön, aber sie wirken nicht echt, es hat ein Flair von Glasperlen und Kreppapier. Man sucht den Staub verflossener Jahrhunderte, denn diese Oper ist doch im 16 Jahrhundert entstanden - oder nicht? (Auch wenn sie erst Ende des 18. Jahrhunderts aufgezeichnet worden ist.) Ich könnte nicht angeben, wie lange diese Adaptionsphase gedauert hat, ich hatte keine Uhr bei mir. Und während man darüber rätselt, ob dieser Darsteller jetzt ein Mann oder eine Frau ist, weil sich das anhand der Stimmlagen für ungeübte westliche Ohren kaum unterscheidet, wächst man langsam in diese Geschichte hinein, in dieses Panoptikum aus dem alten China, dieser Synthese von Monteverdi und Shakespeare - wenn man hier solch einen Vergleich überhaupt benutzen darf. Und dann versteht man endlich, dass hier alle unendlich viel Zeit zu haben scheinen. Die Handlung schreitet in homöopathischen Dosen voran, die Tochter aus gutem Hause, Vater, Mutter, die einen Lehrer für sie suchen, die karikaturhafte Gelehrtengestalt, die gewitzte Dienerin und Vertraute der Tochter, der junge, schöne Gelehrte, der viel weiß und einen leeren Magen hat, der Frühling als Stichwortgeber für Sentenzen, Gedichte, Gefühle... Hier wird auf kein Ziel zugehetzt, hier erhält jede Empfindung Raum und Zeit sich auszudrücken, in Bewegung, in Mimik, in Gesang. Und wenn es dann soweit ist, wenn gegen Ende des ersten Teils Du Liniang in diesem verlassenen Garten ihr Frühlings-Liebeserlebnis hat, ihren Traum, in dem sie ihren nie zuvor gesehenen Geliebten trifft, dann öffnet sich gleichsam die erste Blüte am Strauch des Mudan Ting, langsam und gemächlich, zu einer imaginären von der Darstellerin Qian Li weich und poetisch gezeichneten Pracht und Herrlichkeit. Aber es ist eben ein Traum, und ob er die lange, eineinhalbstündige Pause überleben kann, (die wir den Darstellern und Musikern gerne gönnen) ist die andere Frage, (eine Pause, in der dem Abend doch eine ganze Reihe an Besuchern abhanden kamen).

Aber zum Glück gibt es dann den zweiten Teil am selben Tag, von halb neun bis halb zwölf dauerte er, und er zeigt das langsame Sterben der Träumerin, die hilflosen Versuche, sie zu retten, die Dämonenaustreibung, ironisch ausgemalt. Und er endet in einer ergreifenden Sterbe- und Begräbnisszene, in der dem Orchester ganz neue, beinahe symphonische Klänge entlockt werden, eine Art von Trauermusik, freilich ohne dass hier abendländische Vergleiche das Klangerlebnis sinnvoll erhellen könnten.

Es ist bei all diesen Ausführungen überhaupt in Betracht zu ziehen, dass man als Durchschnitts-Europäer ja nur mosaiksteinchenweise an diesem großen Bauwerk des Mudan Ting teihaben kann. Dankenswerter Weise gibt es eine deutsche Übersetzung, die oberhalb der Bühne projiziert wird und die einen zumindest den einen oder anderen derben Scherz oder die ein oder andere Weisheit so weit näherbringt, dass man lachen oder die Stirn runzeln kann. Dass da soviel mehr dahintersteckt, erahnt man im Laufe der Stunden, wenn man ein bisschen ein Gefühl dafür bekommen hat, wie die Darsteller ihren Text auch dem Ausdruck entsprechend betonen, ihn ironisierend in die Länge ziehen oder das Publikum unvermittelt einbeziehen. Doch die projizierte Übersetzung kann hier nur eine sehr behelfsmäßiges Vermittlersposition einnehmen.

Viele Besucher nutzten ausgiebig die Möglichkeit während der Aufführung den Saal zu betreten und zu verlassen, ganz nach Belieben; gab es doch auch Gratis Tee in den Pausenräumen zu schlürfen - und in der Pause überhaupt ein chinesisches Abendessen (wenn man es geschafft hatte im Gedränge nicht den eigenen oder den Teller eines anderen Besuchers leerzufegen...) Leider ist die Sitzanordnung in der Halle diesem Kommen und Gehen wenig förderlich, weil der Mittelblock in einem durch zu lange ist, und jedesmal alle Besucher zu einem der beiden Gänge hin aufstehen müssen. Den Schluss um halb zwölf erlebte nur mehr ein deutlich gelichtetes Haus.

Die Anschaffung eines Programmheftes ist empfehlenswert (Preis 58,- ATS), weil es Szene für Szene in knappen Worten die Handlung beschreibt und weil es auch sonst viel Wissenswertes enthält - allerdings oft in einer zuviel Vorwissen voraussetzenden kompakten Form.