DAS SPITZENTUCH DER KÖNIGIN

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Theater an der Wien
18. Jänner 2025

Musikalische Leitung: Martynas Stakionis

Inszenierung: Christian Thausing
Bühne und Kostüm: Timo Dentler, Okarina Peter
Licht: Sebastian Alphons, Karl Wiedemann
Choreografie: Evamaria Mayer

Wiener KammerOrchester
Arnold Schönberg Cho
r

Der König - Diana Haller
Die Königin - Elissa Huber
Donna Irene - Beate Ritter
Marquise von Villareal - Regina Schörg
Cervantes - Maximilian Mayer
Graf Villalobos - Michael Laurenz
Don Sancho - István Horváth
Marquis de la Mancha - Alexander Strömer
Tanzmeister - Ilyà Dovnar
Polizeiminister - Carl Kachouh
Justizminister - Daniel Llano Cano
Finanzminister - David Neumann


„Stumpfe Spitzen“

(Dominik Troger)

Jubiläen sind dazu da, ein wenig in Archiven zu graben. Hat man den Staub von den Fundstücken weggeblasen, ist aber auch nicht alles „Gold“, was glänzt. Dem Theater an der Wien ist es jetzt anlässlich des 200. Geburtstages von Johann Strauß mit der Operette „Das Spitzentuch der Königin“ so ergangen. Die Handlung dieses Opus ist so fadenscheinig, dass einem um die Spitzen angst und bange wird.

Das heißt, von „Spitzen“ war eigentlich wenig zu bemerken. Eine Handvoll Couplets, ein, zwei Ensembles, das Terzett „Wo die wilde Rose erblüht“ und man hätte nach rund einer Stunde mit dem besten Eindruck nach Hause gehen können. (Nun bin ich zugegebenermaßen kein Operetten-Aficionado, insofern sind diese Anmerkungen vielleicht auch ein wenig „überspitzt“.)

Immerhin tröstet es zu lesen, dass bereits die Zeitgenossen das Libretto als „seicht“ eingestuft haben. Es handelt vom Dichter Cervantes, der sich in Portugal in die Staatsgeschäfte einmischt und den dauerhungrigen König und seine Königin wieder zusammenbringt, die dieser wegen Trüffel-Pasteten liebeverschmäht. Ein Spitzentuch, das die Königin mit den Worten „Die Königin liebt dich, doch du bist nicht König“ bekritzelt hat, spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Sein schädlicher Einfluss verlängert die Aufführung noch um allerhand unnötige Minuten. (Die Spieldauer betrug inklusive einer Pause knapp drei Stunden.) Wenigstens wird im Zuge dieser „Paartherapie“ der machtbesessene Premierminister abmontiert, wodurch sich die Möglichkeit zu allerhand Anspielungen auf aktuelle politische Verhältnisse ergibt.

Nun war „Das Spitzentuch der Königin“ einst offenbar als politische Parodie gedacht, sozusagen Strauss im Wettstreit mit Offenbach. Dem Programmheft entnimmt man, dass das 1880 im Theater an der Wien uraufgeführte Werk von den Zeitgenossen als Anspielung auf das Kaiserhaus und Kronprinzen Rudolf verstanden wurde. Auf der Homepage des Theaters an der Wien liest sich das so: „Die siebte Operette des Walzerkönigs wurde im Jahr 1880 umgehend zu seinem bis dahin größten Erfolg, denn offensichtlich handelte es sich um eine Parodie auf den aufmüpfigen Kronprinzen Rudolf, dessen liberale Ideen der Habsburgermonarchie zu schaffen machten. (…) Nach Kronprinz Rudolfs skandalösem Selbstmord in Mayerling 1889 verschwand das Werk schlagartig von den Spielplänen.“ *

Leider werden dazu keine Quellen genannt. Aber ich hege den Verdacht, dass bei der Novitätensucht der Wiener Theater das „Spitzentuch der Königin“ fast zehn Jahre nach der Uraufführung niemanden mehr interessiert hat – und die, die es interessiert hat, konnten nach Baden fahren (was ja von Wien nicht so weit entfernt ist). Nach meiner stichprobenartigen Recherche stand dort die Strauß-Operette sogar 1890 auf dem Spielplan und wurde in den Folgejahren im Stadttheater und in der Arena immer wieder gegeben.

Eigenartiger Weise wird im Programmheft zur aktuellen Aufführung nicht erwähnt, dass 1901 sogar eine Neuproduktion des Werkes im Theater an der Wien stattgefunden hat. Anlässlich dieser Aufführung ließ die „Neue Freie Presse“ (8.12.1901) ihre Leser wissen, dass die Operette nach der Uraufführung „nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder vom Repertoire“ verschwunden sei.  Einen weiteren Hinweis liefert das „Deutsche Volksblatt“ (8.12.1901) in seiner Besprechung. Dort heißt es treffend: „Der Glanz aber, der seinerzeit durch die vorzügliche Darstellung des Werkes von der Bühne ausging, ist leider verschwunden.“ Doch zurück in die Gegenwart.

Wer mit der Aufgabe betraut wird, diese Strauß-Ausgrabung auf die Bühne zu stellen, hat eine harte Nuss zu knacken. Regisseur Christian Thausing und sein Team haben sich im Wurstelprater umgeschaut und ein altes Ringelspiel auf die Bühne des Theaters an der Wien gestellt. Dadurch gibt es zumindest einen dosiert eingesetzten „Drehbühneneffekt“– gestützt von Kostümen, die der historischen Verortung nicht im Wege stehen. Die Tierfiguren vom Ringelspiel sorgen außerdem für auflockernde kurze Balletteinlagen. Insgesamt hat sich die Regie bei der Inszenierung angenehmer Zurückhaltung befleißigt und eine solide Arbeit abgeliefert, aber es wird auch Besucher geben, die sich szenisch mehr „Trüffel“ gewünscht hätten. 

Laut Programmheft hat das Produktionsteam aus verschiedenen vorliegenden Fassungen eine neue erstellt, um die Handlung „flüssiger“ zu gestalten. Trotzdem schleppte sich nicht nur die erste halbe Stunde langatmig dahin, mehr Striche wären unbedingt angebracht gewesen. Erst das Trüffel-Couplet des Königs weckte einen auf. Nach der Pause gab es die stärkeren Momente, für die vor allem Michael Laurenz als Premierminister sorgte – von Seiten des Ensembles mit Abstand die eindrucksvollste Bühnenerscheinung. Laurenz durfte dann auch ein paar aktuelle politische Anspielungen machen – und hatte dabei die Lacher des Publikums auf seiner Seite.

Ohne ein exzellentes Ensemble geht bei diesem Werk gar nichts. Bei der Uraufführung stand der Komponist selbst im Graben, ein Alexander Girardi auf der Bühne. Im Theater an der Wien gruppierte sich rund um den charakterstarken Premierminister ein gesangliches Mittelmaß, das viel zu wenig Charme entwickelte, um „Das Spitzentuch der Königin“ mit einigermaßen begeisternder Überzeugungskraft auszustatten.

Wenn sich wenigstens Maximilian Maier nicht nur als gewandter Cervantes, sondern auch mit schmelzendem Tenor eingeführt hätte, aber vielleicht war es nur ein Premieren-Schwächeln. Die Partie des Königs ist eine Hosenrolle und hätte einen klangvolleren und höhensicheren Mezzo erwarten lassen, als ihn Diana Haller bereitstellte. Sie passte insofern gut zum etwas schmalen Sopran der Königin von Elissa Huber. Beate Ritter hatte ich von früheren Volksoperntagen eindrucksvoller im Ohr. Regina Schörg füllte ihre sehr kleine (Sprech-)Rolle als Marquise mit  humorvoller, selbstironisch-opernhafter Theatralik. Die Minister agierten zum Teil witzig genug (Alexander Strömer), weniger konnte ich mich mit István Horváth (Don Sancho) anfreunden. Die komischen Passagen gelangen insgesamt besser als die „romantischen“. Der Arnold Schönberg Chor gab wieder einen Beweis seiner universellen künstlerischen Expertise.

Dem Wiener KammerOrchester unter Martynas Stakionis fehlten leider Esprit und süffiger Operettenschwung, vieles klang schon zu laut bzw. zu wenig dynamisch abgestuft (wobei ich diesbezüglich allerdings die neuen akustischen Verhältnisse in Verdacht habe). Die Singstimmen (mit Microports, hoffentlich nur wegen der zeitversetzten Übertragung auf 3sat?) kamen akustisch nicht so „überdeutlich“ über die Rampe wie bei den vorangegangenen konzertanten Aufführungen mit gedeckeltem Orchestergraben, aber als Nagelprobe wird sich die kommende „Norma“-Produktion erweisen. Denn, das hätte ich jetzt fast vergessen: Es war nach der verunglückten Herbstplanung die erste richtige szenische Produktion im neurenovierten Haus.

Am Schluss gab es viel Jubel für eine Produktion, die in den Folgevorstellungen hoffentlich noch viel an Schwung zulegen und bei der musikalischen Ausführung gewinnen wird.

* https://www.theater-wien.at/de/spielplan/saison2024-25/1302/Das-Spitzentuch-der-Koenigin [19.1.2025]