„Stumpfe Spitzen“
(Dominik Troger)
Jubiläen
sind dazu da, ein wenig in Archiven zu graben. Hat man den Staub von
den Fundstücken weggeblasen, ist aber auch nicht alles „Gold“, was
glänzt. Dem Theater an der Wien ist es jetzt anlässlich des 200.
Geburtstages von Johann Strauß mit der Operette „Das Spitzentuch der
Königin“ so ergangen. Die Handlung dieses Opus ist so fadenscheinig,
dass einem um die Spitzen angst und bange wird.
Das heißt, von „Spitzen“ war eigentlich wenig zu bemerken. Eine
Handvoll Couplets, ein, zwei Ensembles, das Terzett „Wo die wilde Rose
erblüht“ und man hätte nach rund einer Stunde mit dem besten Eindruck
nach Hause gehen können. (Nun bin ich zugegebenermaßen kein
Operetten-Aficionado, insofern sind diese Anmerkungen vielleicht auch
ein wenig „überspitzt“.)
Immerhin tröstet es zu lesen, dass bereits die Zeitgenossen das
Libretto als „seicht“ eingestuft haben. Es handelt vom Dichter
Cervantes, der sich in Portugal in die Staatsgeschäfte einmischt und
den dauerhungrigen König und seine Königin wieder zusammenbringt, die
dieser wegen Trüffel-Pasteten liebeverschmäht. Ein Spitzentuch, das die
Königin mit den Worten „Die Königin liebt dich, doch du bist nicht König“ bekritzelt
hat, spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Sein schädlicher
Einfluss verlängert die Aufführung noch um allerhand unnötige Minuten. (Die Spieldauer betrug inklusive einer Pause knapp drei Stunden.) Wenigstens wird im Zuge dieser „Paartherapie“ der machtbesessene
Premierminister abmontiert, wodurch sich die Möglichkeit zu allerhand
Anspielungen auf aktuelle politische Verhältnisse ergibt.
Nun
war „Das Spitzentuch der Königin“ einst offenbar als politische Parodie
gedacht, sozusagen Strauss im Wettstreit mit Offenbach. Dem
Programmheft entnimmt man, dass das 1880 im Theater an der Wien
uraufgeführte Werk von den Zeitgenossen als Anspielung auf das
Kaiserhaus und Kronprinzen Rudolf verstanden wurde. Auf der Homepage
des Theaters an der Wien liest sich das so: „Die
siebte Operette des Walzerkönigs wurde im Jahr 1880 umgehend zu seinem
bis dahin größten Erfolg, denn offensichtlich handelte es sich um eine
Parodie auf den aufmüpfigen Kronprinzen Rudolf, dessen liberale Ideen
der Habsburgermonarchie zu schaffen machten. (…) Nach Kronprinz Rudolfs
skandalösem Selbstmord in Mayerling 1889 verschwand das Werk
schlagartig von den Spielplänen.“ *
Leider werden dazu keine Quellen genannt. Aber ich hege den Verdacht,
dass bei der Novitätensucht der Wiener Theater das „Spitzentuch der
Königin“ fast zehn Jahre nach der Uraufführung niemanden mehr
interessiert hat – und die, die es interessiert hat, konnten nach Baden
fahren (was ja von Wien nicht so weit entfernt ist). Nach meiner
stichprobenartigen Recherche stand dort die Strauß-Operette sogar 1890
auf dem Spielplan und wurde in den Folgejahren im Stadttheater und in
der Arena immer wieder gegeben.
Eigenartiger Weise wird im Programmheft zur aktuellen Aufführung nicht
erwähnt, dass 1901 sogar eine Neuproduktion des Werkes im Theater an
der Wien stattgefunden hat. Anlässlich dieser Aufführung ließ die „Neue
Freie Presse“ (8.12.1901) ihre Leser wissen, dass die Operette nach der
Uraufführung „nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder vom Repertoire“
verschwunden sei. Einen weiteren Hinweis liefert das „Deutsche
Volksblatt“ (8.12.1901) in seiner Besprechung. Dort heißt es treffend: „Der Glanz aber, der seinerzeit durch die vorzügliche Darstellung des Werkes von der Bühne ausging, ist leider verschwunden.“ Doch zurück in die Gegenwart.
Wer mit der Aufgabe betraut wird, diese Strauß-Ausgrabung auf die Bühne zu stellen, hat eine harte Nuss zu knacken. Regisseur Christian Thausing und
sein Team haben sich im Wurstelprater umgeschaut und ein altes
Ringelspiel auf die Bühne des Theaters an der Wien gestellt. Dadurch
gibt es zumindest einen dosiert eingesetzten „Drehbühneneffekt“–
gestützt von Kostümen, die der historischen Verortung nicht im Wege
stehen. Die Tierfiguren vom Ringelspiel sorgen außerdem für
auflockernde kurze Balletteinlagen. Insgesamt hat sich die Regie bei
der Inszenierung angenehmer Zurückhaltung befleißigt und eine solide
Arbeit abgeliefert, aber es wird auch Besucher geben, die sich
szenisch mehr „Trüffel“ gewünscht hätten.
Laut Programmheft hat das Produktionsteam aus verschiedenen
vorliegenden Fassungen eine neue erstellt, um die Handlung „flüssiger“
zu gestalten. Trotzdem schleppte sich nicht nur die erste halbe Stunde
langatmig dahin, mehr Striche wären unbedingt angebracht gewesen. Erst
das Trüffel-Couplet des Königs weckte einen auf. Nach der Pause gab es
die stärkeren Momente, für die vor allem Michael Laurenz
als Premierminister sorgte – von Seiten des Ensembles mit Abstand die
eindrucksvollste Bühnenerscheinung. Laurenz durfte dann auch ein paar
aktuelle politische Anspielungen machen – und hatte dabei die Lacher
des Publikums auf seiner Seite.
Ohne ein exzellentes Ensemble geht bei diesem Werk gar nichts. Bei der
Uraufführung stand der Komponist selbst im Graben, ein Alexander
Girardi auf der Bühne. Im Theater an der Wien gruppierte sich rund um den
charakterstarken Premierminister ein gesangliches
Mittelmaß, das viel zu wenig Charme entwickelte, um „Das Spitzentuch der
Königin“ mit einigermaßen begeisternder Überzeugungskraft auszustatten.
Wenn sich wenigstens Maximilian Maier
nicht nur als gewandter Cervantes, sondern auch mit schmelzendem Tenor
eingeführt hätte, aber vielleicht war es nur ein Premieren-Schwächeln.
Die Partie des Königs ist eine Hosenrolle und hätte einen klangvolleren
und höhensicheren Mezzo erwarten lassen, als ihn Diana Haller bereitstellte. Sie passte insofern gut zum etwas schmalen Sopran der Königin von Elissa Huber. Beate Ritter hatte ich von früheren Volksoperntagen eindrucksvoller im Ohr. Regina Schörg
füllte ihre sehr kleine (Sprech-)Rolle als Marquise mit
humorvoller, selbstironisch-opernhafter Theatralik. Die Minister
agierten zum Teil witzig genug (Alexander Strömer), weniger konnte ich mich mit István Horváth (Don Sancho) anfreunden. Die komischen Passagen gelangen insgesamt besser als die „romantischen“. Der Arnold Schönberg Chor gab wieder einen Beweis seiner universellen künstlerischen Expertise.
Dem Wiener KammerOrchester unter Martynas Stakionis
fehlten leider Esprit und süffiger Operettenschwung, vieles klang schon
zu laut bzw. zu wenig dynamisch abgestuft (wobei ich diesbezüglich
allerdings die neuen akustischen Verhältnisse in Verdacht habe). Die
Singstimmen (mit Microports, hoffentlich nur wegen der zeitversetzten
Übertragung auf 3sat?) kamen akustisch nicht so „überdeutlich“ über die
Rampe wie bei den vorangegangenen konzertanten Aufführungen mit
gedeckeltem Orchestergraben, aber als Nagelprobe wird sich die kommende
„Norma“-Produktion erweisen. Denn, das hätte ich jetzt fast vergessen:
Es war nach der verunglückten Herbstplanung die erste richtige
szenische Produktion im neurenovierten Haus.
Am Schluss gab es viel Jubel für eine Produktion, die in den
Folgevorstellungen hoffentlich noch viel an Schwung zulegen und bei der
musikalischen Ausführung gewinnen wird.
* https://www.theater-wien.at/de/spielplan/saison2024-25/1302/Das-Spitzentuch-der-Koenigin [19.1.2025]
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