„Flügellahme Fledermaus“
(Dominik Troger)
Die
„Fledermaus“ gerät im Theater an der Wien zum zwangsoriginellen
Herumstochern in der österreichischen Zeitgeschichte. Mit der bekannten
Operette von Johann Strauß hatte das Ergebnis nur mehr wenig zu tun.
Bei seiner neuen „Fledermaus“-Inszenierung im Theater an der Wien holt Intendant Stefan Herheim
mit dem sprichwörtlichen „Holzhammer“ aus: Dr. Falke als resche
Hitlerkarikatur und ein zum Gefängniswärter Frosch degradierter Kaiser
Franz Josef sollen dem Publikum den „Untergang des Abendlandes“
vermitteln. Denn für alle, die es noch nicht gewusst haben: Lacht dem
Publikum nicht aus jedem Notenkopf der „Fledermaus“-Musik die
Apokalypse entgegen?
Geht es nach Stefan Herheim, dann erweist sich das Amüsement als
Trugbild, ist es unterminiert von historisch belasteten – und doch nach
wie vor aktuellen gesellschaftlichen Strömungen. Aber Herheims Problem
ist: Er kommt dem Amüsement nicht aus. Die Operette „Die Fledermaus“
dient nun mal primär der Unterhaltung – und ihre Unterhaltungsfunktion
ist so überbordend, dass sie die Ernsthaftigkeit einer
„aufdeckerischen“, historisch-determinierten Lesart trotz vieler
Eingriffe in die Handlung unabdingbar ins Lächerliche zieht. In
gewisser Weise hat sich Herheim dabei sogar zum Komplizen dieser
Unterhaltungsfunktion machen müssen, um zwischen der dem Werk
intendierten Publikumserwartung und dem persönlichen ideologischen
Anspruch nicht vollends aufgerieben zu werden.
Das Resultat ist dann auch sehr „anweifelbar“, überzeichnet den Humor
mit quälender Übertreibung, pfropft ihn dort gekünstelt auf, wo er sich
gleichsam von „selbst“ einstellen sollte. So kündet denn diese
Produktion vor allem von der selbstgefälligen Bemühtheit einer
Inszenierung, die in der „Fledermaus“ die politische und moralische
Doppelbödigkeit österreichischer Existenz entlarven möchte.
Aber war man als Besucher der Premiere überhaupt gewillt, solchen
Gedankengängen zu folgen, wenn einem am Beginn statt der „Fledermaus“
der „Fidelio“ vorgesetzt wurde? Alfred als Florestan klagte über das
Dunkel im Gefängnis. Die in Unterwäsche drapierten Sängerinnen und
Sänger des Arnold Schönberg Chors leisteten Alfred als Zellengenossen
Beistand – und erst zur nachgereichten Ouvertüre schlüpfte der Chor in
das Kostüm. Dann drehten sich auch die Gefängniszellen des Bühnenbildes
zu einer Vorderseite von Theaterlogen, spiegelten gleichsam das
Auditorium des Theaters an der Wien auf der Bühne wider, mit Logen
durch die die Gitterstäbe der Zellen blitzten. In der Tat ein sehr
seltsamer Beginn der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß.
So taumelte diese Produktion zwischen dem „Sein“ der Partitur und dem
„Schein“ eines Regiekonzeptes dahin, das durch die Musik von Johann
Strauss gleichsam selbst als untauglich entlarvt wurde. Vielleicht hat
das Herheim geahnt, vielleicht hat er deshalb versucht, im ersten Akt
dieser Operettenmusik mit einem „Opernkonzert“ Kontra zu geben – Alfred
und Rosalinde als überdrehtes Sängerpärchen auf einander loslassend,
ausgehend von Wagners „Tristan“ als ultimativem gesanglichem
„Liebesakt“, gewürzt mit weiteren Opern-„Highlights“.
So taumelte Kaiser Franz Josef zum Frosch degradiert durch diese
Produktion, schon am Beginn auf der Bühne, ein Conférencier, der in
jovialer Besoffenheit und mit ironischen Anmerkungen angereichert, dann
und wann sogar den Regisseur und Intendanten selbst aufs Korn nehmen
durfte. Das sicherte ihm ein paar verständnisvolle Lacher, rettete das
Publikum aber nicht vor der Seichtheit, der ihm in den Mund gelegten
Texte. Und war es nicht peinlich anzusehen, wie er auf Orlofskys Ball
einer auf Kaiser Franz Josefs Gattin getrimmten Rosalinde-Elisabeth
unter den Rock kriechen musste?
Apropos Ball: Die Pause wurde dramaturgisch ungünstig mitten in den
zweiten Akt gelegt. Wahrscheinlich um danach den Csárdas (seiner
eigentlichen Funktion beraubt), als Beziehungskrise zwischen dem
Kaiserpaar zweckzuentfremden. Immerhin wurde der Ball mit ein paar
flotten Tänzen garniert, sechs Herren als Johann Sträuße tanzten nicht
nur „piccicato“, sondern durften sich auch zu strapsigen „Nazis“
entblößen. Aber das Publikum ließ sich nicht provozieren, und der
größere Teil desselben stöhnte wahrscheinlich leise unter der
„Abgedroschenheit“ solcher „Gags“.
So taumelte auch Dr. Falke als resch geführtes Hitlerzerrbild durch die
Szenen, etwa als er im ersten Akt Eisenstein mit Waffengewalt zur
Teilnahme am Ball des Prinzen Orlofsky nötigte. Am Ende des dritten
Aktes versuchte Herheim diesen Hitler-Falke und ein paar das
Bühnengefängnis stürmende SA-Kumpanen zu desavouieren – was aber keinen
zwingenden Eindruck hinterließ. Der Arnold Schönberg Chor saß dabei
wieder in Unterwäsche in den Zellen ein. Herheim hat dem dritten Akt
auch ein paar von Otto-Schenk geliehene Gags spendiert, die
darstellerisch aber viel zu lahm umgesetzt wurden.
Was bleibt also von dieser Neuproduktion in positiver Erinnerung? Hätte man die Wiener Symphoniker unter Petr Popelka
wirklich Operette spielen lassen, wäre vielleicht etwas daraus
geworden. So manche Polka, die beim Ball des Prinzen aufgespielt wurde,
machte Lust auf mehr, aber das wars dann schon. Die Besetzung war für
hiesige Ohren teils zu „deutsch“ artikulierend, gesanglich solide, aber
weitgehend ohne jenen „Schmäh“, den man in einer „Fledermaus“ so
lustvoll ausspielen könnte. Außerdem war die outrierende
„Musicalbeschallung“ des Auditoriums – die Protagonisten mit Mikroports
versehen – dem musikalischen Genuss ziemlich abträglich.
Den meisten Szenenapplaus gab es seitens des Publikums für die Adele der Alina Wunderlin (Adele wird von Herheim übrigens als Antisemitin entlarvt). Alexander Strobele
lieferte als Frosch einen Wienerischen Beitrag und musste auch nicht
lange um die Gunst des Publikums buhlen. Die restliche Besetzung
entwickelte wenig Charisma, aber ausreichende, dem Regiekonzept
angediente Konsequenz wie Leon Košavić als Dr. Hitler-Falke oder Thomas Blondelle als zu eindimensionaler Eisenstein oder Jana Kurucová als Prinz Orlofksy. Konsequent Hulkar Sabirova als Rosalinde und ihr Gesangspartner Alfred (David Fischer) in der verordneten gesanglichen Übertreibung. Krešimir Stražanac
war ein eher pointenschwacher Gefängnisdirektor. Am Schluss gab es
starken Applaus und ein paar Buhrufe, die das Regieteam aufs Korn
nahmen. Der Gesamteindruck: eine entbehrliche Sache.
PS: An der Volksoper hat man sich vor zwei Jahren eines ähnlichen
Themas in einer immer noch gespielten, sehr erfolgreichen Produktion
angenommen: In „Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938“ wurde mit
einer neu verfassten Rahmenhandlung anhand der Proben zu der
zeitgenössischen Operette „Gruß und Kuß aus der Wachau“ von den Tagen
des Anschlusses erzählt. Seine fatalen Auswirkungen nicht nur auf das
damalige Volksopernensemble wurden szenisch auf seriöse und beklemmende
Weise nachvollzogen. Auch Stefan Herheim bringt in seiner „Fledermaus“
diese Märztage ins Spiel: Auf dem Wandkalender im Bühnengefängnis
prangte das Datum des 11. März 1938. Aber welcher Unterschied in der
szenischen Herangehensweise: Herheim hat in seiner neuen „Fledermaus“
Operette und Zeitkritik zu einem albernen „Potpourri“ verrührt.
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