"EXIL" - OPERNEINKATER
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Konzerthaus
20.6.2015

Musikalische Leitung: René Staar

Raumkonzept, Regie: René Zisterer
Uraufführung am 19.6.15

Ensemble Wiener Collage

Sopran - Jennifer Davison
Sopran - Albena Naydenova
Tenor - Alexander Kaimbacher
Bariton - Steven Scheschareg
Bariton - Klemens Sander
Sprechen - Ivan Shvedoff

 


„Drei Operneinakter und ein Prolog
(Dominik Troger)

Kurzopern standen Freitag und Samstag im Konzerthaus auf dem Programm. Das Ensemble Wiener Collage unter René Staar spielte die Werke in einer szenischen Einrichtung von René Zisterer. Das verbindende Thema der Opern war: „Revolution, Flucht und Exil“.

Die Aufführung war das Ergebnis jahrelanger Vorbereitungen von René Staar, der Komponisten dazu eingeladen hat, unter dem Generalthema „Exil“ Einakter beizusteuern. Der erste Teil dieses Projekts wurde jetzt im Berio-Saal des Konzerthauses präsentiert. Wie das Programmheft anmerkt, konnte das Projekt schließlich in Zusammenarbeit mit dem Konzerthaus und Förderern wie der Ernst von Siemens Musikstiftung verwirklicht werden. Ein völkerverständigender Aspekt an diesem Abend ergab sich aus der aktuellen politischen Situation, weil ein ukrainischer und ein russischer Komponist auf dem Programmzettel standen.

Der Abend begann mit einem von Steven Scheschareg gesungenen „Prolog eines Namenlosen“ in dem René Staar die aktuelle Asylproblematik aufgriff. Ein von Milizen verfolgter „Namenloser“, dem das Libretto noch eine Krücke vorschreibt, sagt es dem Publikum mal so richtig rein. Statt Milizen tauchten im Konzerthaus allerdings zwei Polizisten auf, um den hier krückenlosen Namenlosen zu verhaften. Der Prolog wurde nicht im Saal gespielt, sondern vor dem Saal beim Aufgang zum Pausenraum. Der Namenlose erschien zuerst auf der Stiege, mischte sich unter das auf dem Gang stehende Publikum und liefert sich dann mit den Polizisten eine kleine Verfolgungsjagd, ehe er ums Eck des Berio-Saales „abgeschleppt“ wurde. Das Erbteil der Zweiten Wiener Schule war musikalisch unverkennbar und die Worte des Namenlosen hatten etwas von der anklagenden Einfachheit eines Berthold Brecht. Vielleicht hat Staar auch an den Tonio in Leoncavallos „Bajazzo“ gedacht, der dem Publikum vor dem Vorhang das „wahre“ Leben ankündigt. Das Stück erfüllte seinen Zweck der etwas provozierenden Einstimmung auf ein komplexes Thema. Der Namenlose findet am Schluss des Prologs ohnmächtig geprügelt aber keine Worte mehr, um so wie Tonio „das Spiel beginnen zu lassen“.

Der ukrainische Komponist Alexander Shchetynsky präsentierte „Unterbrochenes Schreiben. Opernphantasie in einem Akt und sieben Episoden für Bariton, Tenor, Sopran und Ensemble“. Shchetynsky hat sich der Verbannung des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko im Zarenreich gewidmet. Es handelt sich um eine kurze, lockere Szenenfolge, die um Erinnerungen des Dichters kreist. Shchetynsky bedient in dem etwas über 30 Minuten dauernden Werk einen ganzen Opernkosmos – von elegischen, streicherunterfütterten ariosen Passagen „slawischer Seele“ über ein Terzett bis zum Auftritt eines Kritikers, der – natürlich ein Tenor – scharfzüngig in seinem Charakter an die bösen Intriganten der russischen Oper erinnerte. Der Komponist hat Folklore ebenso in seine Partitur gepackt wie Anklänge an die Oper des 19. Jahrhunderts, die er griffig mit atonalen Passagen durchmischt.

Alexey Krasheninnikov lieferte mit „Verfluchte Tage. Leseoper für Vorleser, Tenor, Sopran und Kammermusikensemble“ eine manchmal revuehaft und etwas grell anmutende „Revolutionsoper“, basierend auf den Tagebüchern von Iwan Bunin, der in Folge der Oktoberrevolution nach Frankreich ausgewandert ist und erst nach seinem Tod in der Sowjetunion rehabilitiert wurde. Die Aufzeichnungen Bubins wurden von einem Erzähler vorgetragen. Sie wurden um weitere Texte ergänzt wie mit einer Rede Lenins oder dem „Linken Marsch“ von Wladimir Majakowski, zu dem der Tenor (Alexander Kaimbacher) mit einem Sprachrohr seine Kommandos gab. Krasheninnikovs Einakter war eine würzige Mischung: eine Portion Schostakowitsch, eine Portion zeitgenössische Moderne, eine Portion musikalisches Volksgut und eine Portion Kirchengesang.

Den Abschluss machte eine Kurzoper nach Szenen aus dem Stück „Emigranten“ des polnischen Autors Slawomir Mrozek. Der bulgarische Komponist Wladimir Pantchev hat durch diese Wahl – im Gegensatz zu den historisch orientierten Stoffen von Shchetynsky und Krasheninnikov – einen satirisch-surrealen Zug auf das Thema „Exil“ geworfen. Mit einer musikalischen Collage-Technik, die beispielsweise Zitate aus Opern einbezog oder sogar „Stille Nacht, heilige Nacht“, um Feiertagsstimmung anzudeuten, hat Pantchev die fast zynische arrangierte Doppelbödigkeit der Konversation zweier Emigranten musikalisch unterlegt. Da kann dann sogar das Freundschaftsduett aus Verdis „Don Carlo“ eine ins skurrile spielende Funktion erhalten, um die Exil-Freundschaft zwischen diesen beiden ungleichen Männern (Tenor und Bariton) zu betonen (und mit Pathos auf ihre Beständigkeit zu hinterfragen). Der Bariton rät dem Tenor jedenfalls nicht vom Selbstmord ab, aber ob sich dieser nach dem gemeinsamen Verfassen eines Abschiedsbriefes wirklich umbringt?

Die szenische Einrichtung von René Zisterer hat das Ensemble links vorne (vom Publikum aus gesehen) platziert, rechts gab es eine Art leicht erhöhte Bühne. Dem Stück von Shchetynsky genügten ein Sessel und ein Pult, bei Krasheninnikov wurde praktisch und requisitenlos im Saal agiert. Die beiden Emigranten von Pantchevs Einakter lebten in einem karg möblierten Bühnenzimmer.

Bei den Sängerinnen und Sängern handelte es sich u. a. um bewährte und anpassungsfähige Mitstreiter der freien Wiener Opernszene. Jennifer Davison steuerte ihren Sopran bei den Werken von Shchetynsky und Krasheninnikov bei, Alexander Kaimbacher seinen Tenor und Klemens Sander seinen Bariton. Ivan Shvedoff fungierte als Sprecher, Albena Naydenova ergänzte als Sopran. Im mit 12 Musikern besetzten Ensemble Wiener Collage saß auch ein Akkordeonspieler, dazu kamen je eine Flöte, Klarinette, Trompete, Posaune, Klavier, Schlagwerk, Violoncello, Viola, Kontrabass und zwei Violinen. Bis auf Alexander Shchetynsky waren alle Komponisten anwesend und konnten am Schluss den Beifall des Publikums entgegen nehmen. Der Berio-Saal war nur mäßig gefüllt.

Wer am Vortag das Missvergnügen hatte, im Theater an der Wien den „Geistervariationen“ beizuwohnen, hat die bühnennahe Vitalität der drei Kurzopern plus einem Prolog, die im Rahmen dieser Produktion alle ihre Uraufführung erlebt haben, und ihre zum Werkcharakter passende Umsetzung mit besonderer Freude registriert.